Zu Besuch bei der Thuringia Mega Plast GmbH Kunststofffenster Wie aus 6.000 Schafen 100.000 Fenster wurden

„Ich bin Bauer. Fensterbauer“, stellt sich Diplom-Agraringenieur Bernhard Helbing (65), von 2006 bis 2016 VFF-Präsident, noch heute vor. TMP hat er, trotz ungemütlicher Ausgangslage und dank persönlich (!) erbrachter Bürgschaften, zu einem der Top-Produzenten des Landes entwickelt.

  • Bild 1 von 2
    © Kober
    Bernhard Helbing ist mit 65 Jahren fit wie ein Turnschuh. Im Gespräch vermittelt er den Eindruck, als sei diese Fitness eine Grundlage für mentale Stärke und klare Entscheidungen. Am Hula-Hoop-Reifen versuchte er sich zunächst vergeblich, während des Urlaubs im niederbayerischen Bad Füssing. Das ließ er nicht auf sich sitzen.
  • Bild 2 von 2
    © Kober
    Jeder Mitarbeiter, der Geburtstag feiert, erhält vom Chef (re.) eine persönliche Gratulation und einen Tankgutschein; und das, obwohl Helbing selbst unter die Elektromobilisten gegangen ist.

„Ich weiß, wie du dich entscheidest.“ Diesen Satz hat am 8. März 1992 Gudrun Helbing formuliert. Ihr Mann, damals Vize-Geschäftsführer des thüringischen Bauernverbands, aber von klein auf vom Wunsch beseelt, sich selbstständig zu machen, hatte die Lehrerin für Mathe und Physik gefragt, ob er das Angebot annehmen soll, bei der aus einer LPG mit 6.000 Schafen hervorgegangenen Thuringia Mega Plast GmbH Kunststofffenster – heute besser bekannt als TMP Fenster + Türen – zum 1.6. als Geschäftsführer einzusteigen. Helbing hatte sich ausbedungen, gleichzeitig zur Riege der damals noch 104 Gesellschafter zu gehören, aus denen – als persönliche Bürgschaften für den angeschlagenen Betrieb zu erbringen waren – schnell 46 wurden; heute gehören 47 Prozent von TMP der zu diesem Behufe gegründeten GmbH, drei Viertel der natürlichen Anteile (53 Prozent) hält Helbings Familie. Seine Begründung lautete schon damals: „Wanderer muss man wandern lassen, mein Ansatz ist ein anderer. Ich möchte hier dauerhaft etwas bewegen.“ (Auf www.gff-magazin.de finden Sie ein Video, in dem der Ex-VFF-Präsident erklärt, wie er als Branchenfremder den Einstieg meisterte.) Mitarbeiter, so erklärt der erfolgreiche Geschäftsmann und gelernte Bauer, bekamen im Verkauf damals ihren Anteil unabhängig davon ausbezahlt, ob der Kunde auch wirklich kaufte bzw. die Rechnung beglich – wohlgemerkt bei einem ohnehin sehr moderaten Zahlungsziel von 104 Tagen. Damit machte Helbing noch in seinen ersten Jahren Schluss, bot zwar Ausgleichszahlungen an, die zurückzuerstatten waren, wenn der Kaufpreis am TMP-Konto eingegangen und damit der Salesman zu seiner verdienten Entlohnung gekommen war, formulierte aber einen Vertrag, der die Provision des Verkäufers an das Zustandekommen des Kaufs inklusive der Überweisung der Summe knüpfte – und löschte versehentlich den kompletten Inhalt, als er nach einem langen Arbeitstag um Mitternacht vom Büro aus mit seiner Gudrun telefonierte: „Ich glaube“, erinnert er sich noch an die Worte von damals, „es wird hell, bis ich heimkomme.“

Über Geld spricht man nicht, Geld hat man? Helbing ist sehr offen

Als auch das geschafft war, fragte der Jungunternehmer seinen Steuerberater, woran die meisten Firmen kaputtgingen: „Zu viele Entnahmen und eine zu enge Kundenstruktur“, lautete die unzweideutige Antwort. Tatsächlich spricht der heute 65-jährige Thüringer ungewöhnlich offen auch über Geld, nennt nicht nur von selbst den Umsatz von 53 Millionen Euro (bei 364 Beschäftigten an fünf Standorten in Ostdeutschland und Litauen), sondern rechnet vor, dass er sich als Mehrheitsgesellschafter keinen höheren Lohn auszahlt als den beiden Prokuristen Tobias Kern (Service, Montage) und André Leffler (Verkauf), die zum 1. Mai 2021 die operative Verantwortung übernehmen sollen. Helbing ist ein Demokrat im besten staatsbürgerlichen Sinn, der einen Werteverlust anmahnt („Wo sind wir noch eine Leistungsgesellschaft?“) und gleichzeitig Auswüchse Einzelner („Können nicht genug kriegen“) kritisiert. Und der sich nicht scheut, seine Meinung zu sagen, auch öffentlich: „Wer thesauriert, der muss richtig etwas davon haben“, forderte er schon 2005, als er mit Lutz Frischmann und Frank Fabian das Buch „Sehr geehrter Herr Bundeskanzler“ veröffentlichte; dreieinhalb Jahre später erschien „Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin“, verfasst wiederum von dem Autorentrio. So hat es bei TMP in drei Jahrzehnten keine Entnahmen gegeben, beträgt die Eigenkapitalquote des Herstellers heute 60 Prozent. Und die Kundenstruktur? Der Lieferant von Kunststoff- und Aluminiumelementen, der womöglich künftig Holzfenster-Know-how integriert, liefert zu vier Prozent an Endkunden (in der nächsten Umgebung), knapp die Hälfte macht das Bauträgergeschäft bei Einfamilienhäusern aus, 35 Prozent entfallen auf Fachbetriebe, die restlichen zirka elf Prozent sind Objekte. In allen Segmenten ist es dem 65-Jährigen wichtig, offen für jedwede Hinweise des Kunden zu sein; diese Dienstleistungsmentalität versucht er, psychologisch ausgefeilt, seinen Mitarbeitern zu vermitteln. „Eine Schwäche“, sagt er ganz offen beim mehrstündigen GFF -Termin, „ist bei uns noch immer die telefonische Erreichbarkeit. Da wird oft auf Anschlüsse umgeleitet, die dann nicht besetzt sind.“ Das habe er, gentlemen-like, der Empfangsdame mitgeteilt als einen Punkt, für den er gemeinsam mit ihr in Zukunft eine Lösung finden wolle; darauf habe die Mitarbeiterin selbstständig reagiert. Tatsächlich nutzt sie am Tag unseres Besuchs ohne Unterbruch ein Headset.

Das mannlose Aufmaß – geht das?

Auch sonst verschließt der Unternehmenslenker, der zu DDR-Zeiten nach dem Studium in die SED eintrat, um zu verändern, was ihn störte, vor den sog. Zukunftsthemen nicht die Augen. Zunächst mit Bechtle, jetzt mit SVA arbeitet er an der Digitalisierung der TMP-Prozesse mit dem Ziel, beispielsweise Bedarfe auf Baustellen schnellstmöglich zu versorgen – und nicht öfter als maximal zweimal hinzufahren, auch weil Helbing das Aufmaß irgendwann auf Grundlage des Plans erledigen will, ohne dass ein Mitarbeiter vor Ort wäre. In seinem Büro liegt ein Muster Vakuumisolierglas (VIG), Exoskelette lässt TMP schon heute von seinen Mitarbeitern testen – zu keinem Zeitpunkt des Gesprächs erscheint der Vater von zwei erwachsenen Kindern und Opa von drei Enkerln als Vorruheständler, der in zwei Jahren das Ruder den von ihm mit Bedacht ausgewählten und aufgebauten Nachfolgern überlässt. Doch zurück zum Abend des 8. März 1992, als der Autor dieser Zeilen noch die Schulbank drückte: Als Gudrun Helbing ihren Mann nach getaner Arbeit in Empfang nimmt, fällt sie aus allen Wolken. Die Mathelehrerin hatte sich verrechnet. „Ich weiß, wie du dich entscheidest“, hatte sie ihrem Mann zugerufen. Er belehrte sie eines Besseren und nahm an.

Und wird nicht müde, ihr zu danken, „wie sie mir seither den Rücken freigehalten hat“. Thüringen, die sog. Neuen Bundesländer und Deutschland könnten mehr Bernhard Helbings gebrauchen. „Ich persönlich“, sagt er dem Reporter, „wollte zeigen, dass ich in der Lage bin, hier etwas aufzubauen. Aber wichtiger ist es, als Einzelner Verantwortung zu übernehmen und sich in der Gesellschaft zu engagieren.“ Übrigens: Schließt TMP Fenster + Türen ein Geschäftsjahr über Plan ab, erhalten operativ Verantwortliche je nach Ergebnis Zuschläge von sechs bis 15 Prozent. Leistungsanreize statt Wohltaten nach dem Gießkannenprinzip – das fordert Helbing auch von der Politik.