Marktchance für die Glasbranche Neue Forschungstrends in der Oberflächenbeschichtung

Forschung und Entwicklung eröffnen der Branche neue Marktchancen. GFF hat für Sie wissenschaftliche Fortschritte bei der Oberflächenbeschichtung unter die Lupe genommen.

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Funktionale Beschichtungen spielen bei der Herstellung und Verarbeitung von Fenstern, Glas und Fassaden bereits heute eine Rolle. Allerdings bergen neue wissenschaftliche Verfahren noch ein ungenutztes Potenzial für die Branche, die mit fortschrittlichen Techniken ihre Marktchancen steigern und auch bisher kritische Kunden überzeugen sollte.

Experten des Fraunhofer-Instituts für Schicht- und Oberflächentechnik (IST) in Braunschweig arbeiten daran, Beschichtungen mit neuen Funktionen für die Praxis nutzbar zu machen. Im Fokus der Entwicklung stehen dabei die Aktivierung und Beschichtung von Oberflächen mit dem Atmosphärendruck-Plasmaverfahren und Verfahren zur Erzeugung photokatalytisch aktiver Oberflächen. Beide Techniken spielen ihre Stärke in unterschiedlichen Anwendungsbereichen aus.

Mit dem Atmosphärendruck-Plasmaverfahren wird bei Luftdruck ein Hochspannungsfeld erzeugt, dabei entstehen Mikroentladungen, die aussehen wie Miniblitze. In der Entladung bilden sich Radikale, Elektronen und aktive Moleküle, die mit der zu behandelnden Oberfläche reagieren und dadurch eine reaktivere Schicht schaffen. Diese Technik aktiviert Oberflächen gezielt an bestimmten Stellen oder großflächig in Breiten bis zu zehn Metern, was den Einsatz zum Beispiel in der Folienindustrie möglich macht. Für die Fensterbranche eröffnet die Plasmamethode zwei wichtige Einsatzgebiete: Profile lassen sich so vorbehandeln, dass Lacke, Farben oder andere Funktionsbeschichtungen besser haften. Der zweite große Vorteil ergibt sich beim Dauerthema Verklebung von Fenstern. Wird die Oberfläche von Kunststoffen, Metallen, Glas oder Holz mit Plasma aktiviert, erhöht sich die Haftung beim anschließenden Verkleben. Mit Hilfe des Verfahrens fügen die Wissenschaftler chemische Gruppen ein und finden so für jedes Material den richtigen Reaktionspartner. Werk- und Klebstoffe lassen sich optimal aufeinander abstimmen. Das Produkt Plasma-Jet kommt in der Praxis bereits zum Einsatz. Mit dem stiftartigen Gerät bearbeitet der Nutzer eine Oberfläche direkt mit Plasma. Das System eignet sich für kleine Flächen. Besondere Erfahrung hat das Fraunhofer IST mit der Plasmabehandlung von Kunststoffen gesammelt: „Bei Kunststoffen konnten wir die Verklebbarkeit bereits deutlich erhöhen. Mit Glas haben wir zwar weniger Erfahrung beim Verkleben, aber die Technik ist auf jeden Fall dafür geeignet“, erläutert Dr. Michael Thomas, Gruppenleiter Atmosphärendruckplasmaverfahren am Fraunhofer IST.

Weitere Potenziale für innovative Produkte bietet die fotokatalytische Beschichtung von Oberflächen. Die Wirkung beruht auf einer Katalysatorschicht, die mit UV-Licht reagiert und alle organischen Substanzen zersetzt. Als Katalysator kommt meist das anorganische Material Titandioxid zum Einsatz, das sich nicht verbraucht und daher auch nicht aufgefrischt werden muss. Dadurch entsteht eine wasserliebende (hydrophile) Oberfläche mit selbstreinigendem und antibakteriellem Schutzfilm. Als Zusatznutzen bildet sich ein dauerhafter
Wasserfilm, der das Entstehen von Wassertropfen verhindert – gerade auf Fensterflächen ein interessanter Vorteil, den einige Firmen aus der Branche bereits für Produkte mit leicht zu reinigenden Glasflächen nutzen. Darüber hinaus bekämpft die wasserliebende Schicht auch das Problem beschlagender Glasflächen bei hochisolierenden Fenstern. Ein weiteres Einsatzgebiet eröffnet das Fotokatalyseverfahren im Wintergartenbau. Die unbehandelten großen Glasflächen verschmutzen schnell und bieten einen Nährboden für Moos. Die Fotokatalyse zersetzt organische Stoffe und verhindert so den Bewuchs und die Ansammlung von Schmutzpartikeln. Für die Kunden verringert sich der Pflegeaufwand erheblich. Diesen Vorteil betont auch Jochen Grönegräs, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Flachglas: „Das macht sich besonders positiv beim alljährlichen Frühjahrsputz bemerkbar, denn das behandelte Glas ist viel leichter zu säubern, es wird weniger Reinigungsmittel benötigt und die Glasscheiben bleiben insgesamt länger sauber.“

Durch die antibakterielle Wirkung kann die Technik zusätzlich vor multiresistenten Keimen auf Oberflächen in Krankenhäusern und Arztpraxen schützen. Fotokatalysebeschichtungen kommen im Putz auch an Fassaden zum Einsatz. Ein wasserliebender Film löst den Schmutz an und erleichtert die Reinigung. „Das Verfahren ist kein Wundermittel. Die Fassade reinigt sich nicht selbst, sieht aber nach den Ergebnissen unserer Tests deutlich sauberer aus – auch nach langer Zeit“, erläutert Dr. Michael Vergöhl vom Fraunhofer IST als Sprecher der
„Fraunhofer Allianz Photokatalyse“. In jüngster Zeit setzen die Forscher alternative Materialien wie Zinkoxid statt Titandioxid als Katalysator ein. Dadurch wird die Fotokatalyse auch ohne UV-Licht in Innenräumen bei normalem Kunstlicht möglich. Für die Herstellung aktiver Oberflächen mit fotokatalytischen Verfahren eignen sich verschiedene Applikationsmethoden wie Magnetron-Sputtern, thermisches Aufdampfen, Sol-Gel-Verfahren, thermische Spritzverfahren oder CVD-Technik. Die Partikel lassen sich in Glas einbrennen, als Plasmabeschichtung auftragen oder spritzen und in Putz oder Lacke mischen. Dabei sollten aber keine organischen Binder verwendet werden, da der Katalysator alle organischen Stoffe auflöst. Das macht die Verwendung mit Kunststoffen schwierig. Aktuell arbeiten die Forscher an einer Lösung dieses Problems und entwickeln Barriereschichten, die unter der aktiven Schicht auf Holz oder Kunststoff aufgebracht werden. „Jedes Herstellungsverfahren hat seine Vorteile. Produzenten sollten das passende Verfahren nach den Eigenschaften der zu beschichtenden Materialien und den gewünschten Nutzschichten wählen“, rät Vergöhl. Acht Institute der Fraunhofer Gesellschaft forschen gemeinschaftlich an Methoden, um die fotokatalytische Aktivität und damit die Qualität der verschiedenen Herstellungsmethoden zu messen. „Im Labor ist die Effizienz bereits gut messbar. Jetzt arbeiten wir an einem mobilen Schnellver fahren, das Produzenten und Verarbeiter flexibel einsetzen können“, erläutert Vergöhl.

Beide Wissenschaftler des Fraunhofer IST stellen ihre Verfahren und neue Entwicklungen auf der achten International Conference on Coatings on Glass and Plastics ICCG8 vom 13. bis 17. Juni 2010 in Braunschweig vor. Auf der Veranstaltung referieren weitere Experten zum Thema Oberflächenbeschichtung von Glas und Kunststoffen. Die Konferenz bietet die Möglichkeit, sich über Technologien, Trends und Marktreife zu informieren. Weitere Informationen finden Interessierte unter www.iccg.eu.

Fotokatalytische Beschichtungen
Technik: Katalysatorschicht reagiert mit Licht und zersetzt organische Stoffe
Wirkung: selbstreinigende, bewuchshemmende, antibeschlagende und antibakterielle Oberflächen
Einsatzgebiete: Glasflächen, Fassaden (Putz), Lacke

Atmosphärendruck-Plasmaverfahren
Technik: Im Plasma bilden sich Elektronen, Radikale und aktive Moleküle, die mit der zu behandelnden Oberfläche reagieren und dadurch eine reaktivere Schicht schaffen, die gezielt bestimmte chemische Funkionen ermöglicht.
Wirkung: Die Reaktivität der Materialoberflächen steigt – so lassen sich die Haftfestigkeit und Stabilität auf unterschiedlichen Materialien deutlich erhöhen.
Einsatzgebiete: Lacke und Beschichtungen auf Kunststoff, Metall, Holz und Glas sowie das effektive Verkleben dieser Materialien