Nachgefragt „Ich will mich nicht einfach abschütteln.“

Mit seinem Entschluss, für das Merkendorf-Aus Verantwortung zu übernehmen und sich mit Bruder Günther aus der Gruppenleitung zurückzuziehen, stieß Hans-Joachim Arnold (51) z.T. auf Unverständnis. GFF ließ sich den Sachverhalt in einem exklusiven Interview erklären.

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    Hans-Joachim Arnold freut sich nach dem Rückzug aus der Gruppenleitung auf viele spannende Projekte.
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    Mit Reinhold Kober von GFF sprach Hans-Joachim Arnold (re.) über die Gründe für seinen Entschluss und darüber, wie die Gruppe Sonnenschutzglas neu erfand.

GFF: Herr Arnold, Deutschland hat eine veraltete Verkehrsinfrastruktur. Schade, dass die Autobahnen nicht aus Glas gebaut werden, oder?

Arnold: Ich finde, unsere Branche sollte sich lieber an die eigene Nase fassen. Wer sein Hirn anstrengt, wird in allen Segmenten reichlich Potenzial für Veränderung, für Verbesserung und Innovation finden.

Haben die Glasleute Probleme?

Na ja, aus der Automobilbranche kamen vergangenes Jahr zu wenige Aufträge, dazu behinderte das schlechte Wetter die Branchenkonjunktur. Im Vergleich dazu sind wir in diesem Jahr natürlich weitaus komfortabler gestartet. Alleine in Stuttgart, hier um die Ecke, entstehen mit dem Gerberviertel, Milaneo und dem Bräunlinger-Areal aktuell drei Quartiere, in denen Glas en masse verbaut wird. Sorgen macht mir eher, dass es vielfach nicht gelingt, vernünftige Preise für qualitativ hochwertige Produkte und Dienstleistungen zu erzielen.

In Zusammenhang mit der Insolvenz am Standort Merkendorf haben Sie Ihren persönlichen Rückzug aus der operativen Führung der Unternehmensgruppe erklärt. Warum?

Das ist komplett einfach, im Wesentlichen gibt es zwei Gründe. Meine persönliche Lebensplanung hatte schon immer vorgesehen, mich mit 55 Jahren aus der Gruppenleitung zurückzuziehen. Natürlich werden mein Bruder, der sich auch künftig des Themas Brandschutz am Standort St. Egidien bei Chemnitz annimmt, und ich Arnold in anderer Funktion begleiten. Das bleibt ja ein Familienunternehmen. Aber es ist durch das operative Tagesgeschäft während der zurückliegenden 20 Jahre vielleicht nicht immer ausreichend Zeit gewesen, die Gruppe strategisch weiterzuentwickeln. Dem möchte ich mich nun im Aufsichtsrat widmen. Wir haben einige Bastelthemen, und damit möchte ich unsere Produkte nach vorne bringen.

Das klingt aber nicht nach der klassischen Kontrollfunktion eines Aufsichtsratsvorsitzenden.

Nun ja, es gibt einfach Themen, bei denen ich die Gruppe in Zukunft mehr unterstützen möchte.

Und der zweite Grund?

Der hat mit Verantwortung zu tun. Ich kann mir doch nicht auf die Fahnen ­schreiben, Dinge anders zu tun (der Arnold-Claim; d. Red.), und mich dann einfach abschütteln, wenn 190 Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verloren haben.

Einfach abgeschüttelt haben sich die Gesellschafter nicht, Merkendorf war über Jahre ein Zuschussgeschäft.

Das ist richtig, da ist jedes Jahr viel Geld geflossen. Dennoch möchte ich das nicht einfach so stehen lassen. Wer anderer als ich, der Vorstandsvorsitzende, soll denn verantwortlich sein?

Es gab ja sicherlich Verantwortlichkeiten vor Ort.

Natürlich gab es die, aber die Leute haben doch wir in der Gruppenleitung eingesetzt. Das heißt übrigens nicht, dass die Geschäftsführer alle nichts geleistet hätten. Aber wir haben es einfach nicht geschafft, diesen Standort in die Philosophie von Arnold zu integrieren, wir haben es nie geschafft. Dazu kommt natürlich die negative Entwicklung in der Photovoltaik, wo uns nach dem Rückzug von Schott einfach ein sehr wichtiger Lieferant fehlte.

Welchen Anteil hatte denn PV in Merkendorf?

Um die 20 Prozent, vielleicht etwas weniger.

Das Thema dümpelt doch seit Jahren vor sich hin, mal abgesehen von der verfehlten Förderpolitik. Wie viele Architekten wollen denn Photovoltaik-Fassaden?

Das ist schon richtig, aber da sind wir als Branche eben auch in der Pflicht. Statt nur auf die letzten Watt Peak zu schielen, sollten wir die Vielzahl an positiven Effekten wie die Schutzwirkung für die Fassade, das Thema Dämmung und zusätzlich die Energiegewinnung darstellen. Das Problem ist das Themen-Hopping, jetzt ist gerade wieder Windkraft angesagt. Ich glaube, BIPV wird wieder nach vorne kommen. Übrigens haben wir bei Arnold mit unseren semitransparenten Modulen dazu beigetragen, die Ästhetik dieser Lösungen zu verbessern.

Welche Themen sind es denn, bei denen Sie künftig die Gruppe unterstützen wollen?

Zunächst wird es erst mal eine Innovationsoffensive geben. Damit wollen wir für die Sparte Isolierglas unsere Leistungsfähigkeit zum Markt hin verbessern. Das betrifft zum einen turnusmäßige Ersatzinvestitionen, aber eben auch die Optimierung innerbetrieblicher Abläufe. Da haben wir mit Blick auf die sehr hohen Standards der Automobilindustrie noch Potenzial.

Welchen Gesamtumfang hat diese Investitionsoffensive, wie viel Prozent dieser Summe soll in das Thema Isolierglas fließen?

Zum Umfang in absoluten Zahlen kann ich im Augenblick noch nichts sagen, aber 30 bis 40 Prozent veranschlagen wir für Iso. Der Anteil von Isolierglas in der Unternehmensgruppe liegt übrigens immer noch bei etwa einem Drittel.

Wo investieren Sie noch?

Wir haben das Sonnenschutzglas neu erfunden. Tatsächlich können wir vier verschiedene Sonnenschutzbeschichtungen mit unterschiedlichen Lichttransmissionseigenschaften – die Abstufung beträgt 70, 60, 50, 40 – so produzieren, dass es keine wahrnehmbaren Differenzen in der Ästhetik gibt.

Das heißt, ich kann an der Südfassade eine Scheibe mit niedrigerer Lichttransmission einsetzen, weil ich dort mehr Sonnenschutz brauche, und im Norden, wo ich vielleicht mehr Licht will, eine andere Qualität wählen, ohne dass dabei die homogene Optik verloren gehen würde?

Genau, das ist der Oberhammer. Ich kann alle vier Beschichtungen im gleichen Objekt einsetzen. Damit bin ich so flexibel wie nie zuvor. In der Produktion kommt dazu der Vorzug, dass ich eine Einstellung fahren kann, die zwischen den vier Beschichtungen extrem kurze Wechselzeiten erlaubt. Wir sind überzeugt, mit dieser Innovation der gesamten Wertschöpfungskette, vom Bauherrn und Architekten über den Fassadenbauer bis hin zum Isolierglashersteller, signifikante Vorteile bieten zu können. Unsere wichtigsten Zielgruppen haben wir schon angesprochen.

Das klingt nach einem Thema mit Potenzial.

Das ist aber noch nicht alles. Wir werden unser Vogelschutzglas Ornilux komplett neu herausbringen. Dahinter steckt eine vollständig andere Technologie. Ich will noch nicht zu viel verraten. Aber es geht um die Aufbringung eines bestimmten UV-reflektierenden Materials mit einem neu entwickelten Verfahren. Die letzten Versuche in den USA laufen gerade.

Herr Arnold, danke für das Gespräch.

„Wir können vier verschiedene Sonnenschutzbeschichtungen mit unterschiedlichen Lichttransmissionseigenschaften so produzieren, dass es keine wahrnehmbaren Differenzen in der Ästhetik gibt. Damit sind wir flexibler als je zuvor.“