Glass Performance Days (GPD), 26.-28. Juni in Tampere Exhibition and Sports Centre Glas: Sind wirklich schaltbare Oberflächen der Game Changer?

Taxi nach Tampere: Ein Spezialist für Pre-Processing berichtet gleich auf der Fahrt vom Flughafen über seinen Input für die erste Produktion von Mercks Flüssigkristallglas in den Niederlanden. Es erweist sich als Ausgangspunkt einer Woche voller Ideen und bereichernder Ansätze.

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    Tampere, Hotspot der IIHF Hockey World Championship 2022: Studio Daniel Libeskind designte die 560 Millionen Euro teure 15.000 Plätze-Arena, die Stadionexperte und Ex-Profi Mika Sulin in einem Atemzug mit Staples Center L.A. und Rogers Place in Edmonton nennt.
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    Miles Barr, Ph.D. – Gründer und CTO des MIT Spin-offs mit dem sperrigen Namen Ubiquitous Energy – hat das Next Big Thing aus Kalifornien nach Finnland gebracht.

Vorbei scheint die Zeit, als die GPD sich wie ein Klassentreffen einer weltweiten Old Boys Connection anfühlte, deren Mitglieder ihre Schäfchen ob der allerorten Jahr für Jahr zunehmenden Bautätigkeit im Trockenen wähnten. Wer damals dabei war, hat die Worte von Scott Thomsen noch im Ohr, der als President der Flachglassparte von Guardian die Teilnehmer der Eröffnungsveranstaltung 2013 gewarnt hatte: „Wenn unsere Industrie die Entwicklungsgeschwindigkeit nicht signifikant erhöht, wird künftig weniger Glas in Fassaden verbaut werden“ – Vogelschutz, Energieeinsparung in Herstellung und Nutzung, Recycling stellen neue Anforderungen. Zugleich heißt Stadtplanung heute, mehr Menschen auf weniger Fläche unterzubringen und dabei durch Lärmschutz und vernünftig klimatisierte Innenräume zeitgemäßen Wohnkomfort sicherzustellen. Die von Thomsen geforderte Beschleunigung der „Clockspeed of Innovation“ (die herausragende Rede finden Sie auf YouTube) griffen die GPD Organisatoren um den scheidenden Gründer und Chairman des Organisationskomitees, Jorma Vitkala, 2017 auf, indem sie das Step Change Program als Plattform für den Austausch zwischen Branchenriesen und Start-ups installierten: mehr als drei Dutzend Ideengeber, die meisten aus Finnland und den USA, fühlten sich 2019 angesprochen; auch die Flüssigkristallglas-Entwicklung von Merck hat solche Ursprünge. Es ist bezeichnend, dass am Kongressdonnerstag Glaston Event Coordinator Victor Jason die AAA-Player der Branche zum Pitch darüber antreten lässt, wer die Ideenschmiede seiner Wahl kontakten darf, nicht andersherum. In Tampere selbst tut sich viel, seit die Stadt den Zuschlag von der IIHF als Hauptspielort für die Eishockey-WM 2022 in Finnland erhielt. Mika Sulin, erst Spieler, dann Generalsekretär des Olympischen Komitees Finnlands, heute mit seiner Agentur Starsquad preisgekrönter Stadionexperte, skizziert unter dem Aspekt „Smart Buildings – smarter Business“ das 560 Millionen Euro-Projekt Tampere Deck and Arena auf einem der GPD-Eröffnungsfeier in TähtiAreena vorgeschalteten Management Forum. Er spricht von der modernsten Downtown Location Europas, die bis 2021 fertig sein soll; inspiriert von der T-Mobile Arena in Las Vegas, ausgestattet mit einer medial bespielbaren Oberfläche aus Glas und Mesh-Gewebe („Smart Tampere“), einem Hotel, Casino, unzähligen Restaurants, 15.000 Plätzen und doppelt so vielen PV-Zellen am Dach wie der bisherige kontinentale Spitzenreiter Stade de Suisse Wankdorf Bern. Wie Stefan Blach, Partner im ausführenden New Yorker Büro Daniel Libeskind, im Plenum ergänzt, beinhaltet die Neugestaltung des City Centers fünf mehr als 100 Meter hohe Wohntürme. Womöglich geht Sulins Wunsch in Erfüllung, und die nächsten GPD finden an diesem für den angestrebten Ausbau Tamperes zum internationalen Technologiestandort wegweisenden Ort statt.

Mutig agiert auch der türkische Milliardenkonzern Sisecam beim Angriff auf die Top Drei der weltgrößten Glasproduzenten. „Kürzlich haben wir zwei italienische Produzenten übernommen, die nach zwei Jahren aufgegeben hatten – heute laufen beide Standorte sehr gut“, sagt Prof. Sener Oktik zur GFF-Frage nach dem Erfolgsrezept. Rangierte das schnell wachsende Konglomerat hinter Asahi (6,6 Milliarden Dollar; 32 Floatwannen), NSG (4,9 Mrd. Dollar; 35), Saint-Gobain (6,4 Mrd. Dollar; 31) und mutmaßlich Guardian (k.A.; 24) 2017 mit einem jährlichen Turnover von 1,2 Milliarden Dollar in dieser Sparte und 13 Wannen noch auf Rang fünf, verkündet der stolze CTO am Eröffnungstag, gerade in einem Joint-Venture die erste Produktionsstätte in den USA in Betrieb genommen zu haben – Investment: eine Milliarde Dollar – und beansprucht in Europa bereits die Spitzenposition. Glas, sagt er dem Reporter, müsse leichter werden – und: „Wir müssen stärker auf erneuerbare Energien zurückgreifen.“ Der Treiber für die Entwicklung multifunktionaler Schichten sei derzeit die Automobilindustrie.

The Next Big ThingFrom California

Ein spezielles Coating zeigt Ubiquitous Energy aus dem Silicon Valley an einem der Messestände. Vor sechs Jahren als Spin-off aus dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge hervorgegangen, bringt das junge Unternehmen einen dreieinhalb mal fünf Meter großen Fassadenprototypen nach Finnland, dessen transparente Flächen quadratisch sind. Das Besondere ist die Energieerzeugung, denn die transparente Schicht absorbiert mit einer ClearView Power (CVP) genannten Solartechnologie die Ul-traviolett- und Infrarotbestandteile des natürlichen Lichtspektrums – bei einem Transparenzgrad von 50 bis 70 Prozent. Wie Miles Barr, Ph.D. – Gründer und CTO – sagt, läuft der Probebetrieb auf einer komplett automatisierten Linie. Nun geht es um Produktion unter Wettbewerbsbedingungen, GFF erfuhr in Tampere von einem 30 Millionen-Deal mit AGC und NSG: „Zwei der größten vier Glashersteller“, kommentiert Barr. „Um Marktakzeptanz zu erreichen, brauchen wir eine möglichst große Abdeckung seitens der Industrie.“ Bei Dow lenkt Marketing Manager EMEA Markus Plettau anstelle der 2017 inszenierten, medial bespielten Fassadensegmente die Aufmerksamkeit auf Themen wie das Warm Edge-Dichtmittel Dowsil 3364, das den Ucw um bis zu fünf Prozent zu verbessern hilft und für das zwischenzeitlich die PHI-Zertifizierung vorliegt. Vielfältige Designs ermöglichen soll der glasklare Klebstoff Dowsil Transparent Structural Silicone Adhesive (TSSA), der dreidimensional gebogene Scheiben ohne Bohren in der Fassadenkonstruktion hält. Und selbst eine Lösung für die flüssige Laminierung dekorativer Gläser, die sich laut Plettau an kleinere oder mittlere Fertigungseinheiten wendet und Kunden gezeigt wird, um die Anforderungen bei Größe, Farbe, Robustheit/Dicke zu erfahren, ist – wenn man so will – ein systemimmanenter Fortschritt: Das (funktional und hinsichtlich der Bearbeitungsprozesse verbesserte) Glas bleibt also Glas, könnte man den Schritt beschreiben, der in Teilen von der Medienfassade wegzuführen scheint. So sprechen die Amerikaner von Ubiquitous Energy von ClearView Power (CVP)-Fenstern, die noch ein Stück entfernt vom Massenmarkt sind. Doch könnte beim Next Big Thing aus dem Silicone Valley der Wow-Faktor anders als bei (im Übrigen an den Hotspots der Welt längst über die Fassaden flimmernden) Filmen darin bestehen, dass sich so irgendwann jedermann sein unsichtbares Kraftwerk in die Gebäudehülle holt.