Volles Haus beim Karlsruher Sachverständigen Forum Mit Fachwissen eigene Meinung vertreten

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96 Teilnehmer informierten sich beim Karlsruher Sachverständigen Forum 2015 über neueste Entwicklungen in der Technik der Branche, neuen Regelwerken und aktueller Rechtsprechung. Eine Diskussionsrunde stellte die Befestigung von Fenstern auf den Prüfstand.

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    Sachverständige aus der Fensterbranche brachten sich in Karlsruhe auf den neuesten Stand der Technik.
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    Die Experten Eberhard Achenbach, Peter Ertelt und Wolfgang Jehl (v.li.) diskutierten über die Befestigung mit Blick auf die technischen Regelwerke.

Prof. Dr.-Ing. Christian Schuler informierte über die Neuerungen der DIN 18008 und stellte Gläser nach der neuen und alten Norm rechnerisch gegenüber. Er zeigte, welche Gläser aktuell besser bzw.schlechter gestellt sind. Thermisch vorgespannte Gläser sieht der Experte als Gewinner der Neuregelung an, weil sich nach der Berechnung für sie eine um zehn bis 15 Prozent höhere Traglast ergibt. Dagegen büßten Floatverglasungen bei Langzeitbelastung sowie Kantenbeanspruchung ein. Für Lastfallkombinationen empfahl Schuler den Einsatz von Software. Die neue Norm lässt nach seiner Einschätzung andere Lagerungstypen sowie größere Abmessungen und Aufbauten zu.

Befestigung unter dem Mikroskop

Dipl.-Ing. Wolfgang Jehl vom ift Rosenheim zeigte die neuen Inhalte der Technischen Richtlinie (TR) 20 zur Montage von Fenstern. Dazu orientierte er sich in  weiten Teilen am neuen RAL-Leitfaden zur Montage, der in manchen Punkten dem Stand der Technik und in anderen den anerkannten Regeln der Technik entspreche. Jehl betonte, dass durch den Einsatz neuer, thermisch optimierter Mauerwerkssteine, die über mehr Kammern und dünnere Wandungen als die altbekannten Mauerwerksarten verfügen, die Tragfähigkeit für Befestigungsmittel um bis zu 60 Prozent nachgelassen hat – auf 0,11 bis 0,26 Kilonewton pro Befestiger.

Er hatte einen Tipp für die Montage parat: Dübel tragen in Verbindung mit Montagewinkel mehr als beim Einsatz als Maueranker oder Rahmendübel. Auf die ausreichende Dimensionierung des Winkels sollten die Fachbetriebe allerdings achten. Aufgrund der schwierigen Befestigungssituation v.a. in Neubauten stellt in der TR 20 die Aufteilung der Befestigung in Standardfall, Sonderfall 1 sowie Sonderfall 2 eine wichtige Neuerung dar.

Hitzige Diskussion über Befestigung

Diese Kategorisierung stand auch im Fokus der Diskussionsrunde mit Jehl, Dipl.-Ing. Eberhard Achenbach und Dipl.-Ing. Peter Ertelt, welcher die Einteilung als „unglücklich“ bezeichnete, weil zu viele Fenster aus dem Standardfall herausfallen würden. Das verunsichere die Monteure auf der Baustelle und sorge für mehr Rückfragen beim Chef sowie höhere Lagerhaltungskosten. Jehl betonte die Orientierungsfunktion der Einteilung, die einen Überblick über anspruchsvollere Befestigungssituationen geben soll. Die Tabelle stelle aktuell keine anerkannte Regel der Technik dar. Der Experte vom ift Rosenheim erklärte die Bereitschaft, über Einwände zu diskutieren, die sich in der Praxis herauskristallisieren. „Die Montage muss funktionieren, und dahin führen viele Wege. Der RAL-Leitfaden ist einer davon“, sagte Jehl.

Achenbach betonte den Empfehlungscharakter von Verbandsrichtlinien: „Wenn Sie eine funktionierende Lösung haben und gut argumentieren, müssen Sie sich nicht an diese Empfehlungen der Verbände halten. Sie dienen als Argumentationshilfe für den Gutachter.“ Er sagte, in Bestandsgebäuden mit bekannt solidem Mauerwerk sei die Montage neuer und teilweise auch schwererer Elemente mit bewährten Befestigungsmitteln durchaus möglich: „Muss ein zweiflügeliges Standardfenster wirklich einen Standsicherheitsnachweis haben?“ Teilnehmer sowie Sachverständiger Jürgen Sieber nannte einen neuralgischen Punkt: „Je komplizierter die Richtlinien werden, desto größer werden die Probleme für Fensterbauer in der Umsetzung, gerade mit Blick auf die Billigkonkurrenz. Die Umsetzung muss wieder einfacher und damit günstiger werden.“

So klappt es mit Richtern und Anwälten

Der ehemalige Richter am Oberlandesgericht Dr. Helmut Hoffmann beleuchtete die Rolle des Sachverständigen im Konflikt zwischen Gericht und Anwälten. Er betonte die große Bedeutung der Kommunikation der Beteiligten. Missverständnisse seien häufig die Ursache für sich dann hochschaukelnde Konflikte, die bis zu erfolgreichen Befangenheitsanträgen gegen den Sachverständigen reichten.

Manche Anwälte würden diese Taktik gezielt anwenden, um einen für ihren Mandanten unbequemen Experten loszuwerden. Der Schlüssel sei hier, ruhig und sachlich zu bleiben und sich nicht auf eine persönliche Ebene der Kommunikation ziehen zu lassen. Gutes Fachwissen und eine verständliche Sprache seien die Erfolgsfaktoren dafür.

Sachverständiger und Glasermeister Jürgen Simon nahm neue Erkenntnisse von der Tagung mit: „Sicher erfahren wir hier viel Neues, das für die Tätigkeit als Gutachter unverzichtbar ist. Allerdings werden einige Punkte in den Regelwerken zu starr betrachtet, da müssen wir als Gutachter vor Gericht letztlich unsere eigene Meinung fundiert vertreten.“

Fazit – Stimmen zum Spiel

Sein Kollege und Glasermeister Götz Gegg betonte die Bedeutung des Forums in Karlsruhe: „Wir müssen als Gutachter auf dem neuesten Stand bleiben, und solche Fortbildungen erfüllen dieses Kriterium. Ein Dauerbrenner wird die TR 20, weil Fensterbauer gerade bei Neubauten immer häufiger auf schwaches Mauerwerk treffen.“

Ausrichter Waldemar Dörr, Geschäftsführer des GFF Baden-Württemberg und Leiter der GFF-Fachschule, war zufrieden mit dem Verlauf der Veranstaltung. „Bei der Besucherzahl haben wir zugelegt im Vergleich zu 2013. Die Rückmeldung der Teilnehmer zur Themenauswahl und Organisation ist bisher ebenfalls positiv gewesen.“ Die Abwechselung zwischen juristischen sowie technischen Themen sei gut bei den Experten angekommen. Die Regeln müssen seiner Ansicht nach für Praktiker mit einfachen Mitteln umsetzbar sein.

Auffrischung für Meister

Weiterbildung und Auffrischung spielten eine wichtige Rolle. Die GFF-Akademie bietet Meistern, die ihre Qualifikation dort erworben haben, eine kostenlose Nachschulung zu aktuellen Themen an. Fachlehrer und Glasermeister Andreas Richter hatte das Sachverständigen Forum maßgeblich organisiert.  Er nannte die Vorträge, die gut bei den Sachverständigen ankamen: „Interesse hatte Prof. Dr.-Ing. Christian Schuler mit seinen Glasbemessungs-Beispielen zur DIN 18008 geweckt. Die Tipps von Dr. Helmut Hoffmann als ehemaligem Richter haben sicherlich vielen Teilnehmern neue Erkenntnisse gebracht.“

Mehr zu den Themen Befestigung und DIN 18008 verraten Experten auf den GFF-Praxistagen in Karlsruhe am 30. und 31. Oktober 2015. Informationen zum Branchenkongress finden Sie auf www.gff-praxistage.de.