Bemessung von Bauglas Die DIN 18008 – und was sich mit ihr ändert

Viel Aufwand für wenig Erfolg: So lautet die wenig positive Bewertung von GFF-Glasexperte Peter Kasper zur neuen DIN 18008 für die Bemessung von Bauglas. Lesen Sie selbst seine Begründung.

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Die Vorgabe bestimmt seit Monaten die Diskussionen in der Fachwelt. Vergleichsrechnungen zeigen jetzt, wer von der neuen DIN 18008 profitiert – und wer damit zu kämpfen hat. Den Entwurf zur DIN 18008, Bemessungs- und Konstruktionsregeln für Glas im Bauwesen, hat das Deutsche Institut für Normung (DIN) vor mehr als einem Jahr vorgelegt. Vielfach entsprechen die künftig nötigen Nachweise den bisherigen Technischen Regeln für linienförmig gelagerte Verglasungen (TRLV), teilweise ferner jenen für punktförmig gelagerte Verglasungen (TRPV) sowie in Spezialanforderungen den bekannten Regelungen für absturzsichere oder begeh-/ betretbare Verglasung. Doch benachteiligt die völlig neuartige Herangehensweise fast alle thermisch nicht vorgespannten Glasprodukte wie Float- und Ornamentgläser.

Ferner berührt das neue Prinzip kleinformatige Isolierglasscheiben und jene mit einem stark differenzierten Seitenverhältnis (Schallschutzverglasungen). Sind die aus nicht vorgespanntem Glas, trifft es sie doppelt. Erstmalig basieren ab sofort alle Nachweise auf dem Konzept der Teilsicherheitsbeiwerte. Die DIN 18008 passt damit wie die bereits vorher überarbeiteten Normenreihen des Stahlund Holzbaus (DIN 18800, DIN 1052) in das System der Lastannahmen gemäß DIN 1055. Daraus ergibt sich für Metall- und Holzbauer ein einheitliches Nachweiskonzept. Doch damit hören die Vorteile schon fast auf. Machten es die seit 2007 stark differenzierten und vielschichtigen Lastannahmen schon schwierig, die bei Handwerkern sehr beliebten Bemessungstabellen zu erstellen, ist das infolge hochkomplexer Nachweise auf der Materialseite nun praktisch unmöglich. Denn alles hängt jetzt von allem ab – und ohne elektronische Kalkulationshilfe geht nichts mehr.

Wer auf der Baustelle die einfache Frage nach der richtigen Dicke beantworten will, zückt in Zukunft also wohl am besten Net- oder Notebook. GFF verdeutlicht Ihnen Konsequenzen des neuen Bemessungsverfahrens mithilfe von Beispielfällen, wie sie für den handwerklich geprägten Fenster- und Wintergartenbau typisch sind. Die bisherigen Hochrechnungen zeigen, dass die häufig im großflächigen Fassadenbau zu findenden Glasarten aus vorgespannten Gläsern weniger beeinflusst werden; sie bleiben daher hier außen vor.

Praxisfall 1: Überkopfisolierverglasung
Wir betrachten zunächst eine Überkopf - isolierverglasung aus sechs Millimeter Floatglas und acht Millimeter VSG, wie sie im Wintergartenbau typisch ist. Alle Scheiben haben eine Höhe von zwei Meter, sind 0,5 bis 1,6 Meter breit und weisen 20 Grad Dachneigung auf. Die Schneelast beträgt 0,68 kN/m², die Windlast 0,36 kN/m² Druck und 0,40 kN/m² Sog (Bild 1). Bisher ließen sich alle Scheiben statisch nachweisen. Bei der Bemessung gemäß DIN 18008 könnten nur noch Scheiben zwischen 0,9 und 1,4 Meter Breite verwendet werden. Dies kann dazu führen, dass die Anordnung von Passfeldern schwieriger wird bzw. Auflageprofile zusätzlich eingebaut werden müssen.

Es sei denn, das Isolierglas ist aus fünf Millimeter ESG und acht Millimeter VSG aufgebaut (Bild 2). Alle anderen Abmessungen und Lasten bleiben unverändert. Die neue DIN erlaubt dann Breiten von 0,45 bis 1,45 Meter – mehr als mit nicht vorgespannten Glasprodukten, aber nicht so breit gefächert wie im Falle der klassischen Nachweise. Erhöht sich die Schneelast auf 1,12 kN/m² bei ansonsten unveränderter Situation (Bild 3), war der Floatglasaufbau bisher bis knapp 90 Zentimeter Scheibenbreite verwendbar. Das neue Nachweiskonzept lässt mit diesen Produkten hier keine Lösung mehr zu: Bei zu geringen Breiten führen Klimalasten zum Ausschluss, bei größeren Breiten ist es Schnee. Mit einer äußeren ESG-Scheibe (Bild 4) und dem Kombiaufbau ESG/VSG lassen sich laut klassischem Nachweiskonzept Breiten von ca. 100 Zentimeter erzielen, nach der neuen DIN 18008 ist bei 80 Zentimeter Schluss. In der Folge sind oft Konstruktionsteile (Pfostenoder Riegelprofile) erforderlich, dadurch wird der relative Anteil der Glasfläche kleiner. Das lässt sich im Fall des Glaswintergartens höchs tens noch unter Verweis auf den besseren sommerlichen Wärmeschutz wegen einer erhöhten Schattierwirkung verkaufen.

Bestehen solche Überkopf-Isolierverglasungen aus reinen Floatglasaufbauten, benachteiligt das neue Nachweisverfahren diese erheblich; umso mehr, je höher die Schneelast ist. Die Verwendung von ESG für die äußere Scheibe bringt Vorteile, wenn sie in der Dicke reduziert wird. Gut funktionieren Kombinationen aus ESG 5 und VSG 8 oder ESG 6 und VSG 10. Bei kleinformatigen Scheiben ist eine Kombination aus ESG 4 und VSG 6 möglich, wenngleich bei Glasproduzenten sowie der Bauaufsicht dünne Sicherheitsglasscheiben wenig Freunde haben. Sie sind weich genug, die bei den kleinformatigen Isolierglasscheiben auftretenden hohen Klimalasten wegzubauchen.

Praxisfall 2: Überkopfeinfachverglasung
Die betrachtete Überkopfeinfachverglasung aus zehn Millimeter VSG ist typisch für Vordächer oder Pergolaverglasungen sowie vierseitig linienförmig gelagert. Alle Scheiben sind zwei Meter hoch und 0,5 bis 1,4 Meter breit. Sie weisen eine Dachneigung von zwölf Grad auf. Die Schneelast beträgt 0,68 kN/m² und die Windlast 0,47 kN/m² Druck beziehungsweise 0,56 kN/m² Sog (Bild 5). Der Nachweis nach TRLV endet bei einer Breite von 1,1 Meter, mit der DIN 18 008 ist weit mehr drin – beängstigend mehr. Hier sind unbedingt Durchbiegungsbeschränkungen zu beachten! Nicht nur das konstruktive Herausziehen der Glasscheibe aus dem Klemmprofil als Folge von Längenverkürzung unter Durchbiegung, auch das Fließen der PVB-Folie unter lang anhaltenden Lasten ist ein Problem. Die Scheiben können sich quasi plastisch verformen; ein Effekt, der ja beim Kaltbiegen von VSG bewusst eingesetzt wird.

Eine so vorgebogene Scheibe kann bei neuerlicher Belastung in diese Richtung dermaßen durchbiegen, dass der für die Lastübertragung notwendige Glaseinstand nicht mehr gewährleistet ist. Es ist außer dem statischen Nachweis solcher Verglasungen immer eine konstruktive Betrachtung der Einbausituation empfehlenswert. Erhöht sich die Schneelast auf 1,28 kN/m², ergibt sich bei sonst unveränderten Bedingungen ein zwölf Millimeter dickes VSG (Bild 6). Der klassische Nachweis nach TRLV endet bei gut einem Meter Breite. Mit der DIN 18008 sind 1,1 Meter machbar. Man erkennt, dass der anfängliche Vorteil der Bemessung nach DIN 18008 mit höheren Schneelasten schnell schwindet. In schneereichen Gebieten ist der Vorteil schnell weg und kehrt sich ins Gegenteil um, da das neue Bemessungskonzept Mehraufwand und dickere Gläser bedeutet.

Praxisfall 3: Vertikalisolierverglasung
Auch die klassische Fensterverglasung wird durch die DIN 18008 beeinflusst. Die Standardverglasung par excellence besteht aus einer Zweifachverglasung Float à vier Millimeter mit 16 Millimeter Scheibenzwischenraum. Als Höhe seien zwei Meter angenommen, die Scheibenbreite liegt zwischen 0,5 und 1,2 Meter. Bei der Windlast ist zu rechnen mit 0,48 kN/m² Druck oder 0,76 kN/m² Sog. Gemäß bisherigen Nachweisen ist bei 1,2 Meter Breite die Grenze erreicht. Nach DIN 18008 könnten sich Scheiben, die schmaler als 55 Zentimeter sind, nicht nachweisen lassen, deutlich breitere aber schon. Und zwar so breite, dass ein verantwortungsbewusster Mensch diese nie und nimmer ausführen würde. Statisch möglich heißt nicht unbedingt technisch vernünftig. Oft beschränken Isolierglashersteller im Zuge ihrer Gewährleistung, was die Dichtigkeit des Randverbunds anbelangt, die zulässige Durchbiegung auf ein Zweihundertstel der kürzeren Kante, die einfache oder doppelte Dicke der Glasscheibe oder auf acht Millimeter. Überschreitet man die Verformungsgrenzen, bleibt man schnell auf Gewährleistungsansprüchen sitzen.

Was ist mit Schallschutz-Isolierverglasungen fürs Fenster? Anders als gerade beschrieben wird eine Vier- gegen eine Sechs-Millimeter- Floatscheibe getauscht, alles andere bleibt gleich. Die bisherigen statischen Nachweise führten zu Breiten von mehr als 1,2 Meter. Erst ab 70 Zentimeter Breite lässt sich der neue Nachweis führen.

Für größere Breiten ist zwar im Vergleich mit dem klassischen Verfahren ein Vorteil denkbar, er ist aber nicht so deutlich ausgeprägt. Auch hier sollten Sie Durchbiegungsbegrenzungen setzen!

Zu den Nachweiserleichterungen für kleinformatige Vertikalverglasungen: Wie bisher nimmt die DIN 18008 Isolierverglasungen mit bestimmten Anforderungen bis zu einer Größe von 1,6 Quadratmeter aus. So wollte man für oft eingesetzte Fensterverglasungen den Aufwand mit Blick auf Nachweise sowie Dokumentationen beschränken.

Auch da das Gefährdungspotenzial gering ist, würde der sonst in keinem Verhältnis mehr stehen. Die bei kleinformatigen Isolierglasscheiben sehr problematischen Klimalasten lassen sich so nicht aus der Welt schaffen.

Es ist Sache der bauausführenden Firma, ob sie auf die nach der Erfahrung bewährten Aufbauten zurückgreift und schon mal den Gewährleistungsfall in Kauf nimmt; oder ob sie den Glasnachweis für kleinere Scheiben führt und ggf. auf vorgespannte Gläser ausweicht.

Zusammenfassung
Überkopfisolierverglasungen, insbesondere aus Floatglas und VSG aus Floatglas, werden klar benachteiligt. Ein statischer Nachweis gelingt im Vergleich mit dem bisherigen Nachweisverfahren nur noch in wenigen Fällen. Das Perfide: Größere Glasdicken verschlimmern die Situation noch, weil die Scheiben steifer werden und empfindlicher auf Klimabeanspruchungen reagieren. Einzige Aushilfe: statt Floatglas TVG verwenden.
Überkopfeinfachverglasungen aus VSG aus Floatglas werden begünstigt, auch wenn das der ursprünglichen Absicht der Bauaufsicht, die Tragfähigkeit bei VSG abzuschwächen, widerspricht. Bei geringen Schneelasten sind das bis zu 20 Prozent! Bei größeren Schneelasten wird der Vorteil abgeschmolzen und verkehrt sich in schneereichen Gebieten in das Gegenteil. Dieser Schneemalus gilt übrigens auch für Überkopfisolierverglasungen, wo es keinen Vorteil auszugleichen gibt. Diese Regelung entpuppt sich allzu oft als Floatglaskiller.
Vertikalisolierverglasungen, also die klassischen Fensterverglasungen, werden ab einer gewissen Mindestgröße begünstigt. Diese Begünstigung ist teilweise so stark, dass die Gefahr von Durchbiegungs-Schäden wie dem Blindwerden von Isolierglasscheiben besteht. Hier sollte der Anwender mit Blick auf die Gewährleistung auf die Durchbiegungsbeschränkung seines Isolierglasherstellers achten. Kleinformatige Isolierglasscheiben sind stark benachteiligt, es ergeben sich anders als bei bisherigen Nachweisen teilweise mehr als doppelt so hohe Auslastungen. Hier kann es zum Problem werden, dass im baurechtlichen Sinn für Verglasungen bis 1,6 Quadratmeter der Nachweis entfallen kann. Weil eine bauausführende Firma zivilrechtlich aber zur Lieferung der geeigneten Verglasung verpflichtet ist, geht es ohne Nachweise freilich doch wieder nicht. Die zu den symmetrischen Isolierverglasungen gemachten Aussagen verschieben sich bei der Schallschutz - verglasung zum Negativen: Bei großen Scheiben fällt der statische Vorteil weniger groß aus, kleinformatige Scheiben sind noch stärker benachteiligt. Auch hier gilt als einzige Aushilfe: statt Floatglas TVG verwenden.

Die neue DIN 18008: Gewinner und Verlierer
Gewinner:Metall-/Holzbauer profitieren von einem für sie einheitlichen Nachweiskonzept; vorgespannte Gläser wie TVG und ESG, VSG im Falle höherer Schneelasten.
Verlierer: alle thermisch nicht vorgespannten Glasprodukte, z.B. Float- und Ornamentgläser, ferner kleine Formate wie Schallschutzverglasungen; für Handwerker ist die elektrische Kalkulationshilfe unabdingbar, Bemessungstabellen haben ausgedient.

Kommentar
Glasbemessung – schwer gemacht

Die neue DIN 18008 steht vor den Toren. Die Frage „Wolle mer se reinlasse?“ stellt sich für Verarbeiter aber längst nicht mehr. Die neuen Bemessungsregeln für Glas im Bauwesen sind längst beschlossene Sache, auch die Einsprüche sollen dem Vernehmen nach eher kurz abgehandelt worden sein.

Freilich stellt sich unabhängig davon wie so oft die Frage, ob unter denen, die ihre Stimme erhoben, genug von jenen waren, die das Ganze auf der Baustelle maßgeblich betrifft. Denn wer nicht vorgespannte Gläser wie Float in der Mache hat, der sieht sich materialseitig mit einer Schlechterstellung konfrontiert; Überkopf-Isolierverglasungen, wie sie im Wintergartenbau an der Tagesordnung sind, lassen sich bei höheren Schneelasten damit gar nicht mehr bewerkstelligen. Das trifft unstrittig vor allem Inhaber kleinerer Handwerksbetriebe, für die die längeren Lieferzeiten bei vorgespannten Produkten uninteressant sind.

Und die alten Bemessungstabellen? Derzeit sieht es aus, als wären die ein Fall für das moderne Antiquariat. Profis wie Landesinnungsmeister Karl Kress, GFF Baden-Württemberg, sagen voraus, dass es ohne teure Glasstatiksoftware künftig nicht mehr geht. Oder man verlässt sich auf andere – und ist im Ernstfall verlassen. Dazu kommen inhaltliche Zweifel, weil bei der Standardverglasung fürs Fenster plötzlich Ausmaße denkbar sind, die über Verformungsgrenzen hinauszugehen drohen. Zu empfehlen ist ein solches Vabanquespiel nicht.

Auch wenn der Ansatz einer Harmonisierung, was die Bemessung von Baumaterialien angeht, Charme hat, heißt gut gedacht eben noch nicht: gut gemacht. Denn dass handwerkliche Strukturen, ja kleinere Betriebe in der Branche durch die jüngsten Entwicklungen, auch und gerade in der Normung, unter Druck stehen, zieht niemand ernsthaft in Zweifel. Die neue DIN 18008 macht das nicht besser.

kommentiert von Reinhold Kober