Wandelbares Multitalent Die Aufgaben von Isolierglas in Abhängigkeit von den klimatischen Gegebenheiten

Das Glas im Fenster hat sommers wie winters genauso unterschiedliche Aufgaben wie die Reifen eines Autos. Aber nur die Pneus werden saisonal gewechselt.

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Groß und hell sollen die neuen Fenster sein, im Winter schön warm, im Sommer aber kühl. Wer kennt sie nicht – die Wünsche vieler Kunden, die sich entschlossen haben, neu zu bauen oder ihre Fenster modernisieren zu lassen. Klimaschutz ist hierbei ein Wort, das in verschiedener Weise zu interpretieren ist: Außer dem winterlichen Schutz vor Wärmeverlusten gibt es den sommerlichen Schutz vor Überhitzung der Räume; und alles sollte der Verarbeiter unter dem Gesichtspunkt der effizienten Energieverwendung betrachten.

Überlegungen zur Vermögenssicherung und der privaten Altersvorsorge vieler Kunden werden zunehmend wieder von den Gedanken über den Kauf oder den Bau einer Immobilie mitbestimmt. Galten bislang vor allem die Lage des Grundstücks und die architektonische Gestalt des Hauses als schlagende Argumente für die Kaufentscheidung, interessieren sich heute viele Kunden für den Energieverbrauch eines Gebäudes. Doch der Verbrauch an Energie kann mit einer Wärmedämmung an der falschen Stelle eher steigen als sinken: Reines Wärmeschutz-Isolierglas macht den Raum zum Treibhaus, der bei der ersten Sonneneinstrahlung eine energieintensive Kühlung erfordert.

Mit den heute üblichen Isoliergläsern erzielen Fachleute bei hoher Lichttransparenz sehr gute Wärmedämmwerte. Die niedrigst-emissiven Beschichtungen moderner Wärmeschutz-Isoliergläser reflektieren dabei bis zu 98 Prozent der langwelligen Infrarotstrahlung – Festkörper-Wärmestrahlung mit Wellenlängen von 3.000 bis 50.000 Nanometer – wieder ins Rauminnere zurück. Diese Art von Isoliergläsern hat durchaus ihre Berechtigung, doch bei großen Glasflächen wird die Technik zum Problem. Gar nicht so selten spuken Kunden die Geschichten von Hochtemperatur-Wintergärten durch den Kopf, weil sie aufgeschnappt haben, dass ein Handwerker mal einen unschattierten vollverglasten Wintergarten mit reinem Wärmeschutz-Isolierglas verglast hat. Die altbekannten Anforderungen des winterlichen Wärmeschutzes hat der Handwerker damit vielleicht erfüllt, jedoch spätestens im Sommer ist der Wintergarten nicht mehr zweckbestimmt nutzbar. Der als Ort der Entspannung gedachte Glasanbau wird schon bei geringer Sonneneinstrahlung zur Wärmefalle. Selbst eine üppig dimensionierte Klimaanlage kommt im Hochsommer gegen die dann entstehende Hitze kaum an. Das gleiche Problem besteht in Räumen, die hinter Fassaden mit einem hohen Glasanteil liegen. Dabei liegen solche „Glaspaläste“ voll im Trend.

Bei der Auswahl einer Isolierglaseinheit sollte der Monteur aber in Verbindung mit dem Ug-Wert auch immer den Lichttransmissionsgrad und den Gesamtenergiedurchlassgrad g berücksichtigen. Eine hohe Lichttransmission hat nicht nur den Vorteil, dass Menschen die visuelle Wahrnehmung im Gebäudeinneren als natürlicher empfinden. Besonders in den Wintermonaten bewirken die helleren Gläser Einsparungen in der Raumbeleuchtung. Da auch die Preise für die Elektroenergie steigen, ist das ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Energetisch betrachtet kann auch ein hoher g-Wert vorteilhaft sein. Er führt zu höheren solaren Gewinnen, die insbesondere im Winter sehr willkommen sind. Speziell bei südlicher Orientierung der Glasflächen sollten Handwerker dann aber in den Sommermonaten eine ausreichende Verschattung vorsehen, damit sich die Räume nicht zu stark aufheizen. Die gute Wärmedämmung behindert die nächtliche Auskühlung der Räume.

Um im Sommer einen ausreichenden Schutz vor Sonneneinstrahlung zu erreichen, sollte bei südorientierten Fassaden der g-Wert total nicht sehr viel mehr als 20 Prozent betragen. Dahinter verbirgt sich der Anteil der von der Sonne eingestrahlten Energie, der unter Berücksichtigung von eventuellen Sonnenschutzvorrichtungen im Rauminneren ankommt. Im Winter ist dagegen eine Lichttransmission von wenigstens 60 Prozent wünschenswert, bei nordorientierten Fenstern sollten es sogar mehr als 70 Prozent sein, wobei hier der g-Wert üblicherweise keine große Rolle spielt. Zusätzlich besteht das Begehren nach einer farbneutralen Durchsicht und einem Wärmedämmkoeffizienten von wenig mehr als einem W/m2K. Eine denkbare Lösung ist die Verwendung von speziellen Sonnenschutz-Isoliergläsern. Noch vor Jahrzehnten wurden dazu die Gläser mit Eigenschaften ausgestattet, die eine Strahlungsreduktion oft nur über die gesamte Spektralbreite bewirkten – der klassische Sonnenbrilleneffekt. Die Räume konnten im Sommer gut abgedunkelt werden und blieben zunächst auch recht kühl. Ein sehr großer Nachteil dieser Variante ist aber die hohe Energieabsorption in der Scheibe selbst, die durch den Nachheizeffekt mit einer zeitlichen Verzögerung dann doch noch zur Raumaufheizung führt. Moderne Glasbeschichtungen vermögen hingegen eine spektrale Selektion: Das sichtbare Licht wird weitestgehend farbneutral hindurchgelassen und die im Sonnenlicht enthaltene Wärmestrahlung wird überwiegend reflektiert. Der Anteil der in der Scheibe absorbierten Strahlung reduziert sich dabei auf ein Minimum.

Dieser permanente Sonnenschutz, also die Reflektion kurzwelliger Infrarotstrahlung – eine Sonnenwärmestrahlung im Bereich von 790 bis 2.500 Nanometer – bewirkt aber für besonders niedrige g-Werte auf Grund der begrenzten Selektivität, deren technische Grenze bei einem Wert von etwa 2,0 liegt, oft auch eine deutliche Reduzierung der Transmission im sichtbaren Bereich. Während des üppigen Lichtangebots in den Sommermonaten merkt man das kaum. Wenn im Winter durch kürzere Tage und einen niedrigen Sonnenstand das Tageslicht
merklich schwächer wird, fällt die geringe Raumausleuchtung schon auf. Die Nutzung der Räume fordert dann einen erhöhten Aufwand an künstlicher Beleuchtung.

Weil immer größere Fassadenflächen verglast werden, nehmen auch die Streitfälle wegen zu hohen Raumtemperaturen im Sommer zu. Die VOB schreibt unter der Überschrift „Mängelansprüche“ einer bauausführenden Firma vor, dass sie dem Auftraggeber eine Leistung frei von Sachmängeln zu erbringen hat (§ 13 VOB/B). Das setzt voraus, dass neben der Beachtung der anerkannten Regeln der Technik auch die vereinbarte Beschaffenheit eingehalten werden muss. Ist, wie leider so oft, nichts Konkretes vereinbart, muss sich die Leistung für die nach dem Vertrag vorausgesetzte oder für die gewöhnliche Verwendung eignen und eine Beschaffenheit aufweisen, die bei gleichartigen Werken üblich ist und vom Auftraggeber erwartet werden kann. Kommt es zu einem Gerichtsverfahren, entscheidet oft ein Gutachter, was denn in den Sommermonaten als „üblicherweise zumutbare Temperatur“ anzusehen ist. Für Räume, die zum dauerhaften Aufenthalt von Personen gedacht sind, regeln konkrete Werte, welche Raumtemperaturen und relativen Luftfeuchtigkeiten anzustreben sind. So formuliert die DIN 1946 als Vorgabe einen Wert von plus 22 Grad Celsius bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent plus/minus 15 Prozent. Für den sommerlichen Wärmeschutz gilt außerdem, dass bis zu Außentemperaturen von plus 32 Grad Celsius eine Raumtemperatur von plus 26 Grad Celsius nicht überschritten werden darf. Erst darüber hinaus gilt es als hinnehmbar, wenn die Raumtemperatur mit einem Abstand von sechs Grad Celsius einer weiteren Erhöhung der Außentemperatur folgt. Im Winter ist es erforderlich, dass die Raumtemperatur bis zur tiefsten anzunehmenden Außentemperatur, die je nach Klimazone bei minus zehn bis minus 16 Grad Celsius liegt, gehalten werden kann. Nur bei tieferen Außentemperaturen gilt es als zumutbar, dass die Raumtemperatur unter diese Sollvorgabe abfällt. Eine bauausführende Firma ist grundsätzlich immer dafür verantwortlich, dass sich die errichteten Gebäude für die vorgesehene Verwendung eignen. Besonders in den Fällen, in denen kein Architekt mit der unmittelbaren Baubetreuung beauftragt ist, muss der Handwerker zukünftige Gebäudenutzer selbst aufklären. Manchmal ist dieser zum Zeitpunkt der Planung und Ausführung aber noch nicht bekannt, weil es zum Beispiel um vermietete Objekte geht. In einem solchen Fall muss der Verarbeiter eine übliche, dem geplanten Zweck des Bauwerks – zum Beispiel Büro- oder Wohngebäude – angepasste Ausführung des Projekts zu Grunde legen.