Vorsicht, Schwelle Auf die Form kommt es an

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Ein Forschungsprojekt des ift Rosenheim kommt zum Ergebnis, dass es bei der barrierefreien Ausführung von Schwellen auf das Kriterium der Überrollbarkeit ankommt, nicht mehr auf die Schwellenhöhe. GFF erläutert, was das für ausführende Betriebe heißt.

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    © Metzger
    Wie muss eine Schwelle beschaffen sein, damit sie für den Nutzer sicher passierbar ist?
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    © ift Rosenheim
    Mit seinem Forschungsprojekt macht das ift das Kriterium der Überrollbarkeit zum Maßstab.

Nach der aktuellen Fassung der DIN 18040 ist in Deutschland die Schwellenhöhe bzw. die Schwellenlosigkeit das alleinige Kriterium für eine barrierefreie Passierbarkeit. Jetzt deutet sich allerdings ein Paradigmenwechsel an. Im Forschungsprojekt „Barrierefreiheit von Bauelementen“ kommt das ift Rosenheim zur Auffassung, dass stattdessen bei künftigen Ausführungen das Kriterium der Überrollbarkeit maßgeblich sein sollte. „Mit der Forderung nach einer guten Überrollbarkeit wird – nach Auffassung des ift Rosenheim – dem eigentlichen Schutzziel einer sicheren Passierbarkeit deutlich besser Rechnung getragen“, sagt Dipl.-Ing. (FH) Knut Junge, Leiter der technischen Auskunft am Institut in Rosenheim.

Schutzziel erreichen

Mit anderen Worten: Neben der Schwellenhöhe sind vor allem die Ausgestaltung und Form der Schwelle entscheidend. Eine abgerundete zwei Zentimeter hohe Schwelle ist demnach für Rollstuhl- und Rollatornutzer einfacher zu bewältigen als ein Schwellenprofil mit rechteckigem Querschnitt. Gleichzeitig sei davon auszugehen, dass mit einer guten Überrollbarkeit auch die Gefahr des Stolperns sinkt. „Somit ist das Kriterium der Überrollbarkeit weiter gefasst und trifft die Intention nach einer barrierefreien Zugänglichkeit besser als lediglich eine Vorgabe hinsichtlich der Schwellenhöhe“, erläutert Junge. Als Mitglied des zuständigen Normenausschusses wird das ift nach seinen Angaben einen entsprechenden Hinweis für die Anpassung des Normtextes einreichen.

Praxisnahe Versuchsreihen

Die Auffassung des ift ist gut begründet. Im Verlauf des Forschungsvorhabens hat das Institut umfangreiche Versuche zur Überrollbarkeit mit Probanden, aber auch mit einem Rollwagen vorgenommen. „Bei der subjektiven Beurteilung durch die Probanden wurden Schwellen mit einer runden Formgebung bzw. mit einer Schräge (kleinen Rampe) durchweg besser beurteilt als solche mit einem rechtwinkeligen Querschnitt“, erläutert der ift-Experte im GFF -Gespräch. Bei der objektiven Ermittlung der Kräfte mittels eines eigens hierfür konstruierten Messwagens seien diese Ergebnisse bestätigt worden. Zum Überwinden von Schwellen mit runder Formgebung im Vergleich zu anderen Schwellen mit gleicher Höhe waren demnach zum Teil 30 Prozent weniger Kraft notwendig. Fazit: Die Formgebung beeinflusst die Überrollbarkeit und damit die Barrierefreiheit deutlich.

Richtlinie klassifiziert Schwellen

Mit der neuen ift-Richtlinie BA-01/1 „Ermittlung und Klassifizierung der Überrollbarkeit von Schwellen“ steht voraussichtlich Ende des Jahres 2018 als Ergebnis des Forschungsvorhabens eine Prüfvorgabe zur Verfügung, die eine Bewertung und Klassifizierung von Schwellen zulässt. Im Ergebnis lässt sich damit eine Aussage hinsichtlich der guten oder weniger guten Überrollbarkeit von Schwellen treffen. Ebenfalls sind vergleichende Aussagen zur Überrollbarkeit unterschiedlicher Schwellensysteme möglich. „Es lässt sich somit sagen, welche Schwelle für radgebundene Hilfsmittel, wie z.B. Rollstühle, Rollatoren, Kinderwägen, Einkaufstrolleys, einfacher überrollbar und somit besser geeignet ist“, führt Junge aus.

Tipps für Profis

Die am Bau Beteiligten wie auch der ausführende Betrieb nutzen diese Erkenntnisse. Indem sie auf eine geringe Schwellenhöhe und günstigere Formgebung (abgerundet, angeschrägt) gemäß der Richtlinie achten, tragen sie der Intention nach gut überrollbaren Schwellen Rechnung. „Im Zuge einer seriösen Kundenberatung bzw. Hinweispflicht kann die ausführende Firma entsprechende Empfehlungen aussprechen“, sagt Junge. Das heißt konkret: Der Fachmann kann die in der DIN 18040 enthaltene Forderung „Untere Türanschläge und Schwellen sind nicht zulässig. Sind sie technisch unabdingbar, dürfen sie nicht höher als zwei Zentimeter sein“ deutlich differenzieren, indem er darauf hinweist, dass die Schwellenhöhe alleine noch keine gute Überrollbarkeit gewährleistet.

Der Planer wiederum kann laut Junge eine konkrete Überrollbarkeits-Klasse ausschreiben und somit die Barrierefreiheit nach der DIN 18040 in diesem Punkt sicherstellen. Er gewinne damit Planungssicherheit. Praxistipp: Um falschen Erwartungen oder gar Reklamationen zu begegnen, sollte vor der Ausführung einer Schwelle nach der DIN 18040 mit dem Kunden geklärt werden, wie hoch die vorgesehene Schwelle tatsächlich ist.

Stimmen aus der Praxis

Stefan Taig, Geschäftsführer der Wertwin Projektgesellschaft und Spezialist für barrierefreies Bauen, sieht die Differenzierung der Schwellenhöhen insofern skeptisch, als etwaige Besucher, Pflegekräfte oder zukünftige Bewohner nicht berücksichtigt werden. Als Bauträger plädiert er für den Ansatz des universellen Designs. „Eine Differenzierung z.B. bei Schwellenhöhen mag für die konkreten Bedürfnisse eingeschränkter Personen möglich sein. Solche Entwicklungen gehen jedoch unserer Meinung nach nicht weit genug: Eine Nullschwellen-Lösung ist möglich und für ausnahmslos alle Personengruppen am komfortabelsten.“ Nachholbedarf sieht Taig jedoch bei der Produktpalette, aktuell müsse auf Sonderlösungen zurückgegriffen werden. „Es fehlt eine zu Ende gedachte Lösung für die Nullschwelle“, sagt der ehemalige Wertbau-Mann. „Eine umfassende Barrierefreiheit – auch ohne gesetzliche Zwänge – kann nur gewährleistet werden, wenn die Produktpalette entsprechend angepasst wird.“

Eine andere Auffassung vertritt Volker Grosinski, der beim Hamburger Verein Barrierefrei Leben vor allem Privatkunden zum barrierefreien Bauen berät. „Es müssen nicht immer null Millimeter sein, um das Schutzziel der sicheren Passierbarkeit zu erreichen“, sagt der Berater. „Hinsichtlich der Schwellenausführung beraten wir individuell mit Blick auf die Örtlichkeit und die Einschränkungen des Nutzers.“ Aus Sicht des ausführenden Betriebs lobt Glasermeister und ö.b.u.v. Sachverständiger Jürgen Sieber die Forschungsarbeit des ift. „Aus bauphysikalischen Gründen ist die Umsetzung einer Nullschwellenlösung manchmal gar nicht ohne Weiteres möglich. Insofern ist der Begriff der Überrollbarkeit Gold wert.“