Aktuelle Forschungsergebnisse zum Thema Schallschutz Antischall soll Lärm an Fenster und Fassade verhindern

Antischall als aktiver Schallschutz für Fassaden und Fenster kann künftig unerwünschte Schwingungen und Lärmgeräusche verhindern. GFF spiegelt für Sie die Forschungsergebnisse.

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Die Reduktion von Umgebungs- oder Eigengeräuschen wie zum Beispiel Straßenlärm oder Körperschallschwingungen wird bisher durch passive Schallschutzmaßnahmen wie Doppel- oder Dreifachverglasung und Dämmmaterialien erreicht. Die Zunahme von Masse und Volumen ist dabei eine ungewollte Nebenerscheinung. Diese Techniken haben sich für die Schallreduktion bei mittleren und hohen Frequenzen bewährt, sind allerdings vor allem für tiefere Frequenzen mit einer deutlichen Zunahme der Masse und des Volumens der Fassade verbunden. Das kann im modernen Leichtbau problematisch oder sogar nicht mehr realisierbar sein. Forschungsergebnisse aus der Maschinen- und Fahrzeugakustik zeigen neue Ansätze, lassen sich jedoch nicht 1:1 auf die Bauakustik anwenden. Antischall – über Lautsprecher erzeugt – oder anpassungsfähige adaptronische Elemente können bei Fenster und Fassaden unerwünschte Schwingungen eliminieren.

In einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt „Aktive Fassaden zur Reduzierung der Schallimmission in Gebäuden“ beschäftigte sich daher ein Forscherteam vom Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF und der TU Darmstadt mit industriellen Partnern mit neuen Einsatzmöglichkeiten multifunktionaler Materialien und aktiver Gegensteuerungen. Gemeinsam mit der Firma Schüco International wurden Grundlagen für aktive Systeme entwickelt, die die störenden Vibrationen und Schwingungen bekämpfen, bevor diese in der Lage sind, Schallabstrahlung von Strukturen zu verursachen. Dabei leiten mehrere auf der Struktur verteilte piezokeramische Aktoren entgegengesetzte Schwingungen in die Fassade ein, die so zur gegenseitigen Auslöschung führen. In Verbindung mit einem geeigneten Regelsystem kann so breitbandig Lärmabstrahlung verringert werden. Das angewandte ASAC-Prinzip („Active Structural Acoustic Control“) kann in leicht abgewandelter Form auch dazu verwendet werden, die Schalllängsleitung, den so genannten Körperschall, zu dämpfen. Im Akustikprüfstand an der TU Darmstadt wurde dazu eine Demonstratorfassade aus Doppelglasfenstern und Aluminiumpaneelen getestet. Durch das ASAC-Prinzip wird hier mit piezokeramischen Aktuatoren an der Fassade eine Verringerung der Strukturschwingungen erzielt, die durch den eindringenden Luftschall verursacht werden. Im Versuch wurde bereits eine deutliche Schallreduktion im Innenraum erreicht. Dabei kommt eine adaptive Regelung zum Einsatz.

„Aktiver Schallschutz, wird bei künftigen multifunktionalen Fassaden eine zunehmende Rolle spielen. Während tiefe Frequenzen bereits heute durch Antischall eliminiert werden können, stehen die Entwicklungen zur Schalleliminierung beispielsweise bei Leichtbaukonstruktionen oder eigenerzeugten Geräuschen der Fassade erst am Anfang. Anders als im Maschinenbau, wo die Quelle der Schallamplituden reproduzierbar aufgefangen und umgewandelt werden kann, sind Geräusche mit Frequenzen von mehr als 100 Hertz bei Fassaden und die Verwendung aktiver Schallschutzelemente derzeit noch nicht ausreichend erforscht“, sagt Bernd Saß Schallschutzspezialist beim ift Rosenheim.

Als Ergebnis des europäischen Forschungsprojekts „InMAR“ (Intelligent Materials for Active Noise Reduction) unter Leitung des Fraunhofer LBF in Darmstadt wurden sensorische und aktorische Funktionen der Werkstoffe mit elektronischen Reglern verknüpft, die gezielt auf veränderliche Betriebsbedingungen reagieren können. Je nach Schwingungsfrequenz werden gegengleiche Strukturschwingungen in der Struktur angeregt. Dies reduziert die Ausbreitung der Schallwellen, die Lärmquelle wird aktiv gedämpft. Trifft Schall auf eine Fassade, kann er auf verschiedene Weisen in die Räume dringen: Zum einen lässt er das Fenster schwingen, diese Schwingung überträgt die Geräusche in das Gebäude. Zum anderen läuft der Schall über die Punkte, an denen die Fassade aufgehängt ist, ins Innere des Hauses. Auf beiden Wegen haben die Forscher Hindernisse für den Schall eingebaut. Bei den Fenstern klebt auf dem Glas ein kleiner Beschleunigungssensor, der die Schwingung der Scheibe misst. Ein dünnes Piezoplättchen, das ebenfalls auf dem Fenster befestigt ist, gleicht die gemessene Schwingung aus: Es erzeugt eine Schwingung in der gleichen Tonlage, die der des Schalls genau entgegengesetzt ist – es bewegt die Scheibe also in die entgegengesetzte Richtung. „Bei den Aufhängepunkten der Fassade haben wir eine ähnliche Lösung gefunden, bei der statt des dünnen Piezostreifens ein ganzer Stapel von Piezoplättchen der Kraft entgegenwirkt“, erläutert Prof. Thilo Bein, Geschäftsfeldleiter Public Private Partnership am LBF.

Das Fenster kann Testsignale im Frequenzbereich zwischen 50 und 1000 Hertz um durchschnittlich sechs Dezibel verringern. Die Lautstärke einzelner Testsignale kann sogar um bis zu 15 Dezibel reduziert werden. „Nach der erfolgreichen Entwicklung eines Prototypen wurde in den vergangenen Jahren die Steuer- und Leistungselektronik der Piezoplättchen optimiert und wir rechnen mit den ersten marktfähigen Lösungen ab 2012“, zeigt Bein die künftige Entwicklung auf. Aktive Lärmminderung kann auch über Lautsprecher mit akustischen Überlagerungen erreicht werden. Unter Antischall wird umgangssprachlich künstlich erzeugter Schall, der mittels destruktiver Interferenz störenden Schall (Lärm) auslöscht, verstanden. Um das zu erreichen, wird ein Schalldruck erzeugt, der exakt dem des störenden Schalls entspricht, nur mit entgegengesetzter Polarität. Erfolgreiche Anwendungen sind bisher Kopfhörer mit aktiver Geräuschunterdrückung und aktive beziehungsweise hybride Schalldämpfer in Lüftungskanälen. Praktische Anwendungen haben sich bereits in anderen Bereichen bewährt.

Mikrofone nehmen beispielsweise bei Fenstern den von außen hineindringenden Lärm auf. Ein Computer analysiert blitzschnell die Schallwellen und erzeugt über Lautsprecher die ermittelte Antiwelle. Dieser Antischall kann sich im gesamten Hohlraum zwischen den Scheiben ausbreiten und reduziert dort den Lärm. Zur Neutralisierung der Schwingungen zwischen den Scheiben muss dieser Gegenschall mit möglichst geringer Zeitverzögerung über „Lautsprecher“ vertont werden. Fenster dieser Bauart können unter günstigen Voraussetzungen ein um bis zu zehn Dezibel höheres Schalldämmmaß besitzen, wobei insbesondere tiefe Frequenzen abgefangen werden. Bisherige Ergebnisse zeigen, dass der Antischall sogar bei gekippten Fenstern für ein ruhigeres Wohnklima sorgt.

„Bereits im Jahre 2002 wurde die Grundlagenforschung erfolgreich abgeschlossen und ein Demonstrator in Berlin zeigt die Möglichkeiten. Nun geht es um die Implementierung der Forschungsergebnisse“, erläutert Akustikspezialist Dr. Andrè Jakob aus Berlin. Mit einer Neuentwicklung der Uni Linz könnte diese Variante in den nächsten Jahren einen riesigen Schritt nach vorne machen. Elektronisch aufladbare Plastikfolien senden elektronische Signale und erlauben künftig die Herstellung hauchdünner Lautsprecher, die Antischall erzeugen und Lärm neutralisieren.

An neuen Lösungen wird auch weiterhin geforscht. Mit der Einrichtung des Loewe-Zentrums „AdRIA“ (steht für Adaptronik-Research, Innovation, Application) werden bis 2011 im Projekt „leises Büro“ die komplementären Einzelkompetenzen von Fraunhofer LBF, der Technischen Universität Darmstadt sowie der Fachhochschule Darmstadt zusammengeführt und dem Markt nachhaltig angeboten. Im Rahmen des Leitprojekts sollen exemplarisch für flächige Gebäudeelemente (Fenster, Fassaden, Trennwände), haustechnische Anlagen (Rohrleitungen, Heiz- und Klimaanlagen) sowie Bürogeräte kostengünstige Systemlösungen zur Optimierung des Schallschutzes in Bürogebäuden bis zur prototypischen Marktreife entwickelt werden. Betrachtet werden dabei generische Lösungen zur Reduktion von Strukturschwingungen, der Schalltransmission und -abstrahlung flächiger Strukturelemente, Reduktion der Körperschallübertragung
und Anpassung der Anbindungsimpedanzen für Lager- und Koppelelemente. Auch an einer Erhöhung der Schallabsorption, Minimierung von strömungsinduzierten Geräuschen sowie an kosteneffizienten Simulationswerkzeugen zur Beschreibung und Identifizierung von Körperschallbrücken und der Schalltransmission und -abstrahlung forschen die Wissenschaftler. Die Systemlösungen müssen dabei nicht nur technischen, sondern auch ästhetischen Anforderungen genügen, die Architekten, Innenarchitekten oder Industriedesigner bestimmen. Hierunter fallen unter anderem die Form und Struktur der Gebäudeelemente, deren Platzierung sowie der Einsatz unterschiedlicher Materialien. Gerade Glas spielt für flächige Gebäudeelemente eine bedeutende Rolle, so dass die Aktor- und Sensorsysteme an diesen Werkstoff angepasst werden müssen.

Für The Art Institute of Chicago, dessen Erweiterungsbau The Modern Wing von Renzo Piano entworfen und im Mai 2009 eröffnet wurde, hat Gartner 40 verschiedene Fassadentypen von insgesamt mehr als 8.000 Quadratmeter gefertigt. Darunter befindet sich auch eine Zweite-Haut-Fassade, die außen einfach und innen zweifach verglast ist. Der Fassadenzwischenraum ist geschlossen und wird bauseitig belüftet. Außen- und Innenfassade sind entkoppelt aufgehängt und ergeben eine Durchgangsdämmung von 56 Dezibel.

„Die Anforderungen an den Schallschutz steigen vor allem bei Fassaden in Innenstädten und in der Nähe von Flughäfen. Aber nicht nur der Verkehrslärm, auch die Schallübertragung im Gebäude muss gerade in Büros und besonders in Konzerträumen begrenzt werden. Im Wesentlichen kann der Schall bei Fassaden über die Gläser gedämmt werden. Dies geschieht durch die Verwendung von Schallschutzfolien im Glas, einen asymmetrischen Glasaufbau oder eine Kombination beider Maßnahmen. Auch ist auf eine schallentkoppelte Fassadenkonstruktion zu achten, deren Teile unabhängig voneinander schwingen können. Bei den Gartner-Fassaden für The Art Institute of Chicago und die Mercedes-Benz-Niederlassung in München wird in Teilbereichen des Gebäudes eine Durchgangsdämmung von 56 Dezibel erreicht. In Innenstädten wie in Frankfurt werden durchschnittlich 40 bis 44 Dezibel gefordert, an besonders sensiblen Gebäudeteilen aber auch deutlich mehr“, erklärt Klaus Lother, Geschäftsführer von Josef Gartner.

Mit der DEGA-Empfehlung 103 „Schallschutz im Wohnungsbau – Schallschutzausweis“ hat sich die Deutsche Gesellschaft für Akustik e.V. der Frage des baulichen Schallschutzes angenommen und ein neues, mehrstufiges, auch für den Laien transparenteres Konzept entwickelt.