Glasschäden Teil 3 Wurmsprung – wo ist denn da der Wurm drin?

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Glasschäden

Die Gründe für einen Glassprung sind unterschiedlich, zumeist spielen Kräfte eine Rolle. Fachbuchautor Ekkehard Wagner stellt in diesem Beitrag den sog. Sauger-Wurmsprung vor und gibt Tipps, wie sich diese Art von Glasbruch vermeiden lässt.

Wurmsprünge entstehen dort, wo kurzfristig hohe Temperatureinwirkungen auf dicke Gläser auftreten. - © Beham

Glas als spröder Körper kündigt sein Versagen – anders als beispielsweise Metalle – nicht erst durch Ermüdungserscheinungen an, sondern der Bruch löst spontan aus. Bei durchgehenden Sprüngen mit typischen Markierungen wie einem Bruchspiegel, Wallner-Linien und eventuell sogar einem deutlich erkennbaren Bruchzentrum mit Glaskrümelung lässt sich das bruchauslösende Ereignis oft relativ einfach ermitteln.

Kein Glasbruch ohne Krafteinwirkung

Anders sieht es aus, wenn kaum erkennbare Merkmale vorhanden sind oder der Bruch bisweilen nur als Einriss erkennbar ist. In solchen Fällen ist nach Aussage von Ekkehard Wagner das detektivische Gespür des Sachverständigen notwendig, um die tatsächliche Bruchursache zweifelsfrei ermitteln zu können – sofern dies überhaupt möglich ist. Oft helfe auch Kollege Zufall, um Ursachen zu erkennen.

Die Fraktometrie, also die Wissenschaft um die Zusammenhänge bei der Entstehung von Brüchen und die Untersuchung der Bruchoberflächen, ist nur wenigen Sachverständigen wirklich bekannt. Dabei ist es kein Versagen, wenn die tatsächliche Bruchursache dem Beteiligten oder Sachverständigen unbekannt bleibt. Denn Tatsache ist, dass man zum Zeitpunkt der Bruchentstehung nicht anwesend ist und deshalb die einwirkenden Kräfte zum Zeitpunkt des Bruchereignisses oft nur vermuten kann. Grundsätzlich lässt sich eines mit Sicherheit feststellen: Kein Glasbruch entsteht ohne Krafteinwirkung. Im Folgenden wird eine Besonderheit innerhalb der auftretenden Glasbrüche betrachtet: der Wurmsprung. Damit ist ein Anriss gemeint, der weder von der Glaskante ausgeht, noch zu dieser ausläuft. Also ein Anriss irgendwo in der Scheibenfläche.

Besonderheit Wurmsprung

Bisher war dieser Glasbruch bekannt dafür, dass er meist bei dickeren Gläsern und hoher Temperatureinwirkung irgendwo innerhalb der Glasfläche entsteht – eben dort, wo hohe Temperaturunterschiede kurzfristig auftreten, große Zugspannungen erzeugen und so partiellen Anriss entstehen lassen. Zum Beispiel durch Schweißarbeiten in direkter Glasnähe ohne Oberflächenberührung oder -beschädigung durch Schweißspritzer.

 Deshalb die Bezeichnung Wurmsprung, da sich der kurze Anriss wie ein sich windender oder schlängelnder Wurm innerhalb der Scheibenfläche zeigt.

Risikofaktoren

Es ist allseits bekannt, dass bei Neuverglasungen und neuen Fenstern fast nur noch hochwärmedämmendes Dreifach-Isolierglas verbaut wird. Dadurch erhöht sich nicht nur die Gesamtdicke des Isolierglases, auch das Glasgewicht erhöht sich um zirka 50 Prozent erhöht, da anstelle von zwei mal vier Millimeter jetzt Glas mit einem Aufbau von drei mal vier Millimeter oder auch dicker – je nach Anforderung und Glasgröße – verarbeitet wird. Um die Mitarbeiter beim Verglasen der Fenster in der Fertigungslinie nicht durch zu hohe Glasgewichte gesundheitlich zu schädigen, setzen Betriebe Glassauger ein, die als Einzelsauger oft Gewichte von bis zu 500 Kilogramm tragen. Dadurch ist das Handling von sehr großen und schweren Elementen für Schalldämmung oder Angriffshemmung durch eine einzige Person möglich, sowie das weitere Bewegen der fertig verglasten Fensterelemente.

Dass solche Sauger, insbesondere wenn sie nur aus einem großen Saugteller bestehen, sehr stark ansaugen müssen, erschließt sich. Dies führt nun dazu, dass sich die angesaugte Glasscheibe zum Saugteller hin biegt. Dies allein ist meist noch kein Problem, denn das Ansaugen geschieht nicht spontan. Das Anheben sorgt dafür, dass sich der Saugteller etwas weiter verformt, was zu einem zusätzlichen Unterdruck unter dem Teller und noch stärkerer Zugbelastung der Glasoberfläche führen kann. Wenn zusätzlich eine starke ruckartige Bewegung des Saugers hinzukommt – bei schneller Entnahme der Glasscheibe vom Transportbock – oder das gesamte Fensterelement an diesem Sauger hängt, entstehen gerade an der Glasoberfläche innerhalb des Saugtellers sehr große, örtlich stark begrenzte Durchbiegungen und damit punktuell sehr hohe Zugspannungen. Diese können zu einem kurzen, meist örtlich stark begrenzten Anriss führen. Sobald dieser entstanden ist, sind die Spannungsspitzen abgebaut und der Anriss läuft meist nicht weiter. Oft wird erst nach Einbau des Fensterelements im Gebäude bei der Endreinigung des Nutzers oder durch das Reinigungsunternehmen festgestellt, dass ziemlich in der Glasmitte ein kleiner Anriss vorhanden ist, der nicht erklärbar ist.

Der Sauger-Wurmsprung

Die Vermutungen reichen von einem Steinwurf, einem Einschluss/Anriss bei der Glasherstellung bis hin zu Vandalismus. Viele Aussagen sind hier bekannt, die aber alle an der tatsächlichen Bruch­ursache vorbeigehen: Es handelt sich hierbei um einen durch starke Saugwirkung, hohe Gewichte und/oder ruckartiges Aufnehmen der meist schweren Isolierglas- bzw. Fenstereinheit entstandenen Wurmsprung. Folglich um einen sog. Sauger-Wurmsprung. Wagner betont, ihm seien inzwischen diverse Fälle bekannt, in denen die Oberflächenanrisse oder gar kurze Sprünge meist mittig in der angesaugten Glasscheibe durch diese Art der Saugerhandhabung entstanden sind.

Zugspannungen führen zu Schäden

Ursächlich sind hierbei sehr hohe, kurzzeitig einwirkende Zugspannungen an der Glasoberfläche unterhalb des Saugtellers, verursacht durch starkes Ansaugen und ruckartiges Bewegen der angesaugten Isolierglaseinheit. Deshalb ist auch nur ein sehr kleiner – wenige Millimeter bis einige Zentimeter großer – Einlauf an dieser Glasscheibe erkennbar. Er tritt nur an der angesaugten Glasscheibe auf, was meist die Glasscheibe an der Glashalteleistenseite betrifft. Nur in den Fällen, in denen er durch zusätzliches Ausbauchen oder andere Belastungsarten dieser Glasscheibe weitere Energie bekommt, läuft er weiter und kann eventuell den Glasrand erreichen. Dies wäre dann der Fall, wenn beispielsweise zwischen Herstellort und Einbauort große Höhendifferenzen entstehen, wie bei der Verglasung in sehr großen Höhen ohne Druckausgleich. Bei genauer Analyse lassen sich mittels Bruchspiegel und Wallner-Linien meist – auch nicht in jedem Fall – Entstehungsort und Bruchverlauf erkennen.

Um Sauger-Wurmsprünge zu vermeiden, empfiehlt der Autor, das Mehrscheiben-Isolierglas etwas gefühlvoller vom Transportgestell zu nehmen und möglichst große sowie mehrere Saugteller zu verwenden. Bei schwereren Einheiten und Fensterelementen seien Greifer oder Untergreiffüße sinnvoll. Damit kann der Fensterbauer diesen Glasbruch sehr schnell und dauerhaft vermeiden.