Nachhaltige Revitalisierung, zirkuläres Weiterbauen Ohne Bauen im Bestand keine Zukunft

80 Prozent der Gebäude, die 2050 genutzt werden, sind heute bereits gebaut. Der Spielraum für klimaneutrales Bauen liegt somit zum Großteil im Bestand – mit dem Neubau allein sind die ambitionierten Klimaziele nicht zu erreichen. Vor diesem Hintergrund widmete sich das 10. Next Expertenforum im Frankfurter Next Studio der Frage: Wie gelingt nachhaltige Transformation im Bestand – technisch, wirtschaftlich und architektonisch?

Die Protagonisten beim 10. Next Expertenforum (v.li.): Sebastian Schuster, Thomas Blacher, Alexander Dill, Jan Kertscher, Hans-Georg Schmitt, Stephanie Brendel und Christian Mettlach. - © Wicona/Mediashots

In seinen einleitenden Worten wies Moderator Christian Mettlach (Next Studio Manager bei Wicona) auf eine Premiere beim 10. Next Expertenforum hin: Erstmals berichteten Referenten aus allen relevanten Perspektiven – von Bauherrenschaft über Planung und Architektur bis hin zum Fassadenbau – über ihre konkreten Projekte und zukunftsweisende Konzepte für die Weiterentwicklung des Gebäudebestands.

Mehr als eine Alternative: Repositionieren statt neu bauen

Den Start machte Jan Kertscher, Associate Director/Property Business Leader bei Arup, mit der These: Repositionierte Gebäude sind die besseren Neubauten. Und seine Argumente klangen überzeugend: Repositionierungen bieten Vorteile beim Baurecht, befinden sich oft in innerstädtischen Top-Lagen, sind Teil der gebauten Identität – und erheblich klimaschonender. "70 Prozent der Büroimmobilien in Deutschlands Top-7-Städten drohen bis 2030 zu stranden, also den Anforderungen an Betrieb und Nachhaltigkeit nicht mehr zu genügen", sagte Kertscher. "Der Umbau von Bestandsgebäuden kann hier den Unterschied machen – mit bis zu 67 Prozent geringeren CO₂-Emissionen im Vergleich zum Neubau."

Praxisbeispiele wie der Euston Tower in London – hier wurden nach der Entkernung zahlreiche Materialien wiederverwendet – oder die kreative Potenzialstudie zur Revitalisierung des Eurotowers in Frankfurt zeigten die Möglichkeiten auf: Statt Abriss und Ersatzneubau dachten die Planer von Arup über urbane Umnutzung, Mixed-Use-Konzepte und die Wiederverwendung von Bauteilen nach.

Personenbahnhöfe weiterentwickeln "unter rollendem Rad"

Bahnhöfe sind mehr als Verkehrsbauwerke – sie sind gebaute Identität, städtische Visitenkarte und logistische Herausforderung zugleich: So lautete das Credo von Stephanie Brendel, Leiterin Planung und Architektur bei DB InfraGO. In ihrem Vortrag machte die Architektin deutlich, wie komplex nachhaltiges Planen und Bauen gerade in diesem Bereich ist: "Wir arbeiten im laufenden Betrieb, mit Denkmalschutz, unter höchsten Sicherheitsstandards – und dennoch mit dem Anspruch, lebenswerte Orte zu schaffen." Dies illustrierte Brendel anhand zahlreicher Projektbeispiele wie der Sanierung des Bahnhofs Zoologischer Garten in Berlin – diese erfolgt komplett "unter rollendem Rad".

Nicht zuletzt beleuchtete die Referentin die Aktivitäten der Deutschen Bahn beim zirkulären Bauen: Dabei werden zum Beispiel Bauteile wie Brandschutztüren, Bodenfliesen oder Fassadenelemente systematisch auf Wiederverwendung geprüft. "Zirkularität ist bei uns keine Vision, sondern gelebte Planungsrealität – bei jedem neuen Projekt ein Stück mehr."

Fassadensanierung als Hebel für Energieeffizienz und Zukunftsfähigkeit

Thomas Blacher, Geschäftsführer des Metallbau-Unternehmens Heidenbauer Aluminium, zeigte am Beispiel dreier ambitionierter Projekte, wie energetische Fassadensanierung zur tragenden Säule nachhaltiger Gebäude-Transformation wird. Beim Bürokomplex Omega Haus in Offenbach wurde ein wirtschaftlich tragfähiges Sanierungskonzept nach dem hohen EGB 55-Standard umgesetzt – unter Einsatz eines gemeinsam mit Wicona entwickelten Sanierungsfensters und konsequenter Materialkreislaufwirtschaft.

Ein weiteres Highlight: Bei der Sanierung des Donauzentrums in Wien wurde eine Photovoltaik-Anlage auf die bestehende Stahltragkonstruktion des Daches montiert – so wird sowohl die sommerliche Überhitzung spürbar gesenkt als auch Energie für den Gebäudebetrieb gewonnen. Auch die Fassade des Bürokomplexes Spherion in Düsseldorf ließ sich mit einem intelligenten Ansatz gezielt ertüchtigen. Hier wurden die Tragkonstruktion saniert und die Isoliergläser durch Jalousiegläser ersetzt – für eine Optimierung der Energieeffizienz und die nachhaltige Wertsteigerung des gesamten Gebäudes.

Konsequentes Weiterbauen mit Substanz und kreativen Ideen

Auch die Architekten Sebastian Schuster und Alexander Dill, Partner beim Büro Schmidt Plöcker Architekten, sprachen sich für das Weiterbauen als architektonische Kernaufgabe aus. Ihr Ansatz: präzise Analyse, kreative Interpretation und sensible Eingriffe. "Wir sehen Revitalisierung nicht als Sparmaßnahme, sondern als gestalterischen Auftrag", sagte Dill. Wichtig sei, bereits in der Leistungsphase 2 (HOAI) mögliche Rückbau- oder Umnutzungsszenarien mitzudenken.

Die vorgestellten Projekte reichten von der denkmalgerechten Umnutzung des Crespo-Hauses in Frankfurt über die Transformation der Neckarspinnerei in Wendlingen zum Wohn- und Gewerbestandort bis hin zur Neuinterpretation leerstehender Bürogebäude in Eschborn. Anhand einer Studie zum seit Jahren im Rohbau befindlichen Kaiserlei-Hochhaus in Offenbach zeigten die Architekten, wie durch kreatives Denken, den Einsatz modularer Bauweisen und Re-Use-Konzepten kompletter Bauteile aus bestehender Bausubstanz zukunftsweisende Architektur entstehen kann.

Systemischer Blick aufs Bauen im Bestand

Zum Abschluss zeigte Hans-Georg Schmitt aus seiner Sicht als Technischer Bereichsleiter Bauen im Bestand beim Generalunternehmer Ed. Züblin, wie sich das Thema Revitalisierung systematisch und strukturiert angehen lässt – über alle Leistungsphasen hinweg. Mit dem bei Züblin eigens entwickelten Modell Bestand Check – Bestand Plan – Bestand Build – Bestand Service werden Projekte von der ersten Bestandsaufnahme bis zur langfristigen Nutzung begleitet. Schmidt machte deutlich: "Was wir brauchen, ist Know-how ganz am Anfang – nicht erst auf der Baustelle."

Beispiele wie die Zentralbibliothek Köln oder das Bienenkorbhaus in Frankfurt zeigten, wie sich komplexe Maßnahmen unter Denkmalschutz und im laufenden Betrieb realisieren lassen. Gleichzeitig unterstrich der Experte, dass Bauen im Bestand auch wirtschaftlich attraktiv ist – wenn Planung und Ausführung ineinandergreifen. "Oft sehen wir CO₂-Schleudern, Klimarisiken und drohenden Wertverlust. Mit dem richtigen Team und der richtigen Strategie werden daraus wieder vermarktbare Assets mit Zukunft."