Forschung und Entwicklung Nachrüstung von Fenstern und Glasfassaden: Mit elektrochromen Folien den Lichteinfall steuern

Licht und Wärme durch Fenster und Glasfassaden auf Knopfdruck regeln, Energie sparen und trotzdem den Durchblick behalten – das ermöglichen schaltbare, elektrochrome Folien. Ein Forschungsprojekt macht die Lösungen jetzt fit für die Nachrüstung von Bestandsgebäuden.

Lichtdurchlässigkeit je nach Bedarf einstellen: elektrochrome Folie im dunklen (links) und hellen Zustand (rechts). - © Fraunhofer ISC

In den Sommermonaten verbrauchen Klimaanlagen enorme Mengen an Strom, um die durch Glasfassaden und Fenster von der Sonne aufgewärmten Zimmer zu kühlen. Im Winter wiederum soll die Wärme idealerweise ins Zimmer gelangen und dort verbleiben. Wie schön wäre es also, schaltbare Folien auf Fenster und Glasfassaden aufzubringen, die je nach Bedarf Wärme ins Gebäude lassen oder abblocken?

Verarbeitung direkt auf der Baustelle

Im Verbundprojekt Flex-G 4.0 entwickelt das Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP in Dresden gemeinsam mit sechs Partnern eine kostengünstige Nachrüstlösung mit schaltbaren Folien, die sich möglichst einfach auf bestehende Glasflächen aufbringen lässt.

Das Ziel ist es, innerhalb der nächsten vier Jahre den Stand der Technik bis zum Prototypenstadium zu bringen. Im Vorgängerprojekt Flex-G wurden bereits technologische Grundlagen dafür geschaffen – elektrochrome Folien im Labormaßstab, die nun im Hinblick auf eine industrielle Fertigung weiterentwickelt werden. Dabei schlägt das aktuelle Projekt zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen sollen die Fenster einer Dresdner Schule nachgerüstet werden, zum anderen werden die Schüler aktiv in die Technologieentwicklung einbezogen, um die Berufsorientierung zu fördern. "Schaltbare Folien können signifikant zur Senkung des g-Werts und damit des Energiebedarfs eines Gebäudes beitragen", erklärt Dr. Cindy Steiner, Projektkoordinatorin am Fraunhofer FEP. "Uns ist es ein großes Anliegen, die Ergebnisse des Projekts in realer Umgebung zu demonstrieren und hierfür junge Menschen mit einzubeziehen – Schüler einer Dresdner Schule, die auch im Unterricht von der Arbeit profitieren."

Hauptziel des Projekts ist die Erforschung geeigneter Systemdesigns und Fertigungstechnologien für großflächige elektrochrome Folien zur Verarbeitung direkt auf der Baustelle. Außerdem sollen Verfahren für eine einfache Applikation der Folien auf Fenster und Fassaden in Bestandsgebäuden entwickelt werden. Für die Demonstration und das Monitoring ist geplant, die Nachrüstfolien an einem Bestandsgebäude, der 46. Oberschule Dresden sowie im Neubau eines Labor- und Technikumsgebäudes des Fraunhofer FEP zu integrieren. Zusätzlich stellen die Fraunhofer-Institute FEP und ISC Unterrichtsmaterialien für naturwissenschaftliche Fächer bereit und bieten Orientierungspraktika für Schüler an. Ebenso ist deren Einbeziehung in die Messungen und Ergebnisauswertungen geplant. Damit soll das Interesse der nächsten Generation für technische und wissenschaftliche Berufsfelder und nachhaltige Technologien aller Bildungswege von Hauptschule bis Hochschulreife geweckt werden.

Vom Labor- zum Industriemaßstab

Zur Weiterentwicklung der Folien widmen sich die Projektpartner Tesa, Fraunhofer ISC und Coatema den Laminationsverfahren und der Materialoptimierung der elektrochromen Zelle. Konkret werden Materialien und Rolle-zu-Rolle (R2R)-Applikationsverfahren für einen Polymer-elektrolyten erforscht. Dieser verbindet die zwei Teilfolien der elektrochromen Zelle wie eine Art Haftkleber miteinander, ist ionenleitend und isoliert gleichzeitig elektrisch, was entscheidend für den Schaltvorgang ist. Für das Aufbringen der Folien auf Fensterglas wird außerdem ein langlebiger Laminierklebstoff entwickelt. Ein baustellentauglicher Applikationsprozess soll das Projekt komplettieren.

Fraunhofer FEP und ISC steuern Know-how und Anlagentechnik für R2R-Verfahren bei, um elektrochrome Schichten und Schutzschichten auf Folien aufzubringen. Die R2R-Verfahren beruhen sowohl auf Vakuumdünnschichtverfahren als auch auf Beschichtungen unter Atmosphärendruck. Integraler Bestandteil des Projekts sind auch Entwicklungen zur Charakterisierung der elektrochromen Folien und zur Qualitäts- und Prozesskontrolle der Fertigungstechnologien. Um anlagentechnische Fragestellungen zur Überführung der Prozesse in die industrielle Fertigung kümmert sich der Anlagenbauer Coatema. Um die Folien ansteuern zu können, werden Lösungen für die netzunabhängige Energieversorgung z. B. über Solarzellen erarbeitet. Dazu beschäftigt sich der Projektpartner Enerthing mit IoT-Systemen, der Auslegung der Energieversorgung, den Sensortechnologien für die kabellose und automatisierte Steuerung des Schaltzustands der Folien sowie der Einbindung der Sensorik in die bestehende Gebäudeleittechnik. Mit diesem System wird eine Optimierung der Energieeinsparung angestrebt.

Umsetzung der Ergebnisse vor Ort

Die fertigen Nachrüstfolien werden zunächst an den beiden Gebäuden in Dresden angebracht, um das Energieeinsparpotenzial zu ermitteln. Hierzu finden Abstimmungen zwischen Entwicklern des Konsortiums, Stadt Dresden und Schule statt, um später die Integration der elektrochromen Folie sowie deren Vereinigung mit IoT-Systemen umzusetzen.

Was theoretisch an Energieeinsparung möglich ist, berechnet vorab die Hochschule für Technik Stuttgart mittels Gebäudemodellierungen. Diese werden mit den Eigenschaften der hergestellten Nachrüstfolien an den Schulfenstern und den Ergebnissen von Labormessungen abgeglichen, um Verbesserungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Ergänzt werden die Untersuchungen durch Betrachtungen des Produktlebenszyklus und der Kosten über die gesamte Lebensdauer. Über zwölf Monate hinweg wird das Einsparpotenzial bezüglich des Kühl- und Heizenergiebedarfs in den beiden Demonstrationsgebäude bestimmt. Hier sollen auch die Schüler in die Forschungsarbeit des Projekts einbezogen werden.

Über das Projekt Flex-G 4.0

  • Titel: Flex-G 4.0 - Technologien für innovative schaltbare Folien als Nachrüstlösung für energiesparende Fenster und Glasfassaden – gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK)
  • Laufzeit: 1. August 2022 bis 31. Juli.2026
  • Partner: Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP, Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC, Hochschule für Technik Stuttgart, Tesa SE, Coatema Coating Machinery GmbH, Enerthing GmbH, Landeshauptstadt Dresden