Wiko-Metallbautechnik setzt beim Fachkräftemangel auf Flüchtlinge Mehr Bewerber als offene Stellen

Die Vollbeschäftigung in der Produktion? Das bleibt für viele Unternehmen in Deutschland ein unerfüllter Wunsch. Ganz anders bei Wiko-Metallbautechnik: Beim Lübbecker Fensterhersteller herrscht Vollbeschäftigung. GFF erzählt, wie es dazu kam.

Der syrische Flüchtling Ramzi Slaibi ist bereits seit dreieinhalb Jahren bei Wiko-Metallbautechnik angestellt. - © wiko Metallbautechnik

Innerhalb der vergangenen fünf Jahre hat Wiko-Metallbautechnik 20 neue Mitarbeiter gewonnen und beschäftigt nunmehr 80 Personen. Wie hat das Unternehmen, das aus Schüco-Systemteilen Fenster und Türen herstellt, geschafft, wovon so viele träumen? Die Antwort lautet: durch die Integration von Flüchtlingen. „Wir haben mehr Bewerber als offene Stellen – und ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit ihnen motivierte und langjährige Mitarbeiter gefunden haben“, sagt David O’Sullivan, Prokurist und kaufmännischer Leiter von Wiko.

Stammbelegschaft miteinbeziehen

„Wir haben 2015 mit unserem Projekt begonnen, Flüchtlinge für unsere freien Stellen zu akquirieren“, erzählt O’Sullivan, der auch Personalleiter ist. „Uns fehlten Arbeitskräfte, aber es ging uns auch darum, einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Wenn niemand Flüchtlinge einstellt, gibt es mehr Sozialhilfeempfänger – und das Rentensystem stößt weiter an seine Grenzen.“ Um die Belegschaft bei der Idee mit ins Boot zu holen, gab es zunächst eine Betriebsversammlung. „Dort haben wir deutlich gemacht, dass es nicht darum geht, unsere Mitarbeiter gegen Billigarbeitskräfte auszutauschen. Wir hatten und haben genug Arbeit und Aufträge für alle – es ging nur darum, genug Manpower für die Bearbeitung zu haben.“

„Wenn niemand Flüchtlinge ein-stellt, gibt es mehr Sozialhilfeempfänger, das Rentensystem stößt noch mehr an Grenzen.“

Als Wiko 2015 zum ersten Infotag für Flüchtlinge im Unternehmen einlud – zuvor sprach man die Volkshochschule und anliegende Jobcenter an, um das Projekt kundzutun – kamen zwölf Interessenten. „Wir haben denen nichts von unserer Geschichte erzählt, in unserer Präsentation ging es nur um die Arbeitsschritte“, sagt O’Sullivan. So und durch die anschließende Betriebsführung, in der das Gehörte noch einmal demonstriert wurde, wussten die Interessierten, worauf sie sich einließen. Die Präsentation übersetzte damals ein Dolmetscher, der für die Mitarbeiter auch später noch verfügbar war. Es folgten zwei Probearbeitstage. Mitarbeiter aus der Stammbelegschaft fungierten als Paten. Sie halfen den Flüchtlingen und durften bei deren Bewertung mitwirken – hier waren Sprache, Pünktlichkeit, Manieren und Motivation wichtig. Gemeinsam traf das Wiko-Team die Entscheidung, mit wem man es als Mitarbeiter versuchen wolle. „Die Integration von Flüchtlingen im Betrieb geht nicht von oben herab. Das war auch nie der Weg, den wir gehen wollten“, sagt O’Sullivan.

Nach dem ersten Infotag hat Wiko fünf Flüchtlinge übernommen. Einer verließ das Unternehmen, weil ihm die Arbeit nicht lag. Einer zog um, um in einer anderen Stadt sein Glück zu versuchen, und ein weiterer hat bei einem Betrieb in der Nähe eine neue Anstellung gefunden. Die Syrer Ramzi Slaibi und Sharwin Nassir sind noch da und gehören mittlerweile zur Stammbelegschaft. Nur zwei von fünf? Das ist für O’Sullivan kein Grund zur Traurigkeit: „Die Hauptsache ist, sie sind angekommen, haben einen Job gefunden und sind integriert. Solange sie arbeiten, kann ich damit leben.“

Selbstständiges Arbeiten belohnen

In der ersten Zeit haben sowohl Wiko als auch die neuen Mitarbeiter vieles lernen müssen. „Wir haben schnell erkannt, dass wir die Flüchtlinge für eine erfolgreiche Integration voneinander trennen müssen. Wenn sie sich in Gruppen aufhalten, dann tun sie, was jeder Mensch an ihrer Stelle tun würde – sich in ihrer Landessprache zu unterhalten“, sagte O’Sullivan. Die Integration sei zudem wesentlich besser gelungen, als man den Dolmetscher immer seltener kommen ließ. So wurde der Spracherwerb ein Muss. Um für die neuen Mitarbeiter die selbstständige Arbeit weiter zu vereinfachen, schaffte sich Wiko Fertigungsterminals an, die einen Teil der Arbeitsschritte als Video anzeigen.

„Die Integration von Flüchtlingen im Betrieb geht nicht von oben herab – dies war nie der Weg, den wir gehen wollten.“

Woran es nie hakte, war der Wille, zu arbeiten. „Von unseren neuen Mitarbeitern hatte keiner ein Auto, sie kamen alle mit dem Fahrrad – und wer jeden Tag 20 Kilometer auf sich nimmt, um zu uns zu kommen, der ist motiviert“, sagt der Personalleiter. „Für uns war aber schnell klar, dass das kein Zustand ist, wenn sie im Sommer erschöpft und verschwitzt ankommen oder bei Regen völlig durchnässt sind. Daher hatten wir in der Anfangsphase einen Abholservice ins Leben gerufen.“ Ausgewählte Mitarbeiter sammelten die Flüchtlinge an drei ausgemachten Treffpunkten in Nachbarorten ein und fuhren mit ihnen gemeinsam zur Arbeit. Diese Leistung entlohne der Fensterhersteller für Fahrer auch. Um die Flüchtlinge dazu zu motivieren, sich selbst ein geregeltes Transportmittel zur Arbeit zu organisieren, führte Wiko ein Entlohnungssystem ein. „Wer nicht auf uns angewiesen war, um zur Arbeit zu kommen, hat einen Euro pro Stunde mehr bekommen“, sagt O’Sullivan. Einer der Flüchtlinge hatte daraufhin einen Führerschein erworben und die anderen ab diesem Zeitpunkt mitgenommen. Alle profitierten so von einer Gehaltssteigerung. Wiko beteiligte sich außerdem mit bis zu 30 Prozent am Führerschein. Einige Mitarbeiter zogen sogar für die Arbeit in die nähere Umgebung. „Wenn das kein Einsatz ist, dann weiß ich es auch nicht“, sagt der Personalleiter.

Flüchtlinge gehören zur Stammbelegschaft

Einige Zeit später veranstaltete Wiko einen zweiten Infotag. „Wir haben mit 20 Bewerbern gerechnet und plötzlich kamen mehr als 40“, sagt O’Sullivan. Davon übernahm das Unternehmen noch einmal zwölf, von denen heute noch mehr als die Hälfte da ist. „Mittlerweile gibt es keinen Unterschied mehr zwischen den Mitarbeitern – wir sind ein Team.“ Anfangs zahlte das Unternehmen neu dazugekommenen Flüchtlingen nur den Mindestlohn und belohnte sie zusätzlich mit einer kleinen Gehaltssteigerung für Dinge, wie selbstständig zur Arbeit zu kommen, oder die einjährige Betriebszugehörigkeit. Heute sei das aber nicht mehr so. Mittlerweile führe Wiko auch mit den Flüchtlingen Verhandlungsgespräche. „Ein Lohnsystem wie das unsere funktioniert nur bis zu einem gewissen Grad, dann muss es individuell werden. Die restlichen Mitarbeiter müssen schließlich um jede Lohnerhöhung kämpfen“, sagt O’Sullivan. „Wir wollen keine Zweiklassengesellschaft haben. Wir haben die Flüchtlinge auf ein Basislevel hochgezogen, mit dem sie leben können, und von da an bewerten wir sie wie alle anderen nach ihrer Leistung.“