Structural Glazing-Fassaden Makellose Transparenz als treibende Kraft

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In Structural Glazing-Bauweise lassen sich große Glasfassaden in flächenbündiger Optik realisieren. Lesen Sie, welches Zukunftspotenzial die Montagetechnik hat, wo die besonderen Herausforderungen für Fassadenbauer liegen und wer für die Sicherheit haftet.

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    © Simon Kennedy
    Für das Main Zero Bürogebäude in Frankfurt hat Josef Gartner eine geschuppte Structural-Glazing-Glasfassade mit redundater Verklebung realisiert.
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    © Josef Gartner
    Visual Mock-up der Ostfassade des Büroturms 21 Moorfields in London mit Structural Glazing – die Fassade des 80 Meter hohen Hauptgebäudes besteht aus Stahlträgern mit Elementgrößen von bis zu drei mal acht Meter.
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    © Stefan Liebl/Dillingen
    Das 22 Bishopsgate, höchster Wolkenkratzer in der City of London, wurde mit einer Closed Cavity Fassade und Structural Glazing verkleidet.

Große, elegante Glasflächen und filigrane Konstruktionen im rahmenlosen Design prägen das Erscheinungsbild in der modernen Architektur. Mit Hightech-Klebstoffen bzw. -Klebebändern lassen sich mittlerweile Festigkeiten im Fassadenbau erzielen, die Structural Glazing (SG)-Fassaden höchster Stabilität ohne vorstehende Rahmenteile ermöglichen. Die Nachfrage nach solchen Lösungen steigt, da Architekten und Bauherren zunehmend auf Transparenz und lichtdurchflutete Räume setzen.

„SG-Fassaden liegen im Trend – mit ihnen können ebene, glatte Fassaden mit großen Glasflächen realisiert werden“, beschreibt Helmut Ehrmann, Manager Testing der Josef Gartner GmbH, die Vorteile derartiger Konstruktionen. „Auch in Deutschland ist der Markt in Bewegung und das Vertrauen in Verklebungen steigt.“ Gartner fertigt SG-Fassaden vor allem für Bauprojekte im Ausland, weil keine aufwändigen Zustimmungen im Einzelfall wie in Deutschland nötig sind. In London oder der Schweiz führt der Fassadenspezialist beispielsweise Teilbereiche der Gebäudehülle oder komplette Hochhausfassaden wie z.B. den 278 Meter hohen 22 Bishopsgate in London in SG-Konstruktion aus. Verkleidet wurde der im Jahr 2020 fertiggestellte Büroturm mit einer Closed ­Cavity Fassade und Structural Glazing. Er ist der höchste Wolkenkratzer in der City of London.

Gutachter prüfen SG-Verklebungen

Die Anforderungen an Structural Glazing-Fassaden sind hoch – grundsätzlich müssen die Verklebungen den jeweiligen Richtlinien oder Normen der einzelnen Länder entsprechen. „Da SG-Fassaden in Deutschland nicht geregelte Bauprodukte sind, dürfen sie nur mit einer allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (Europäische Technische Zulassung – ETA) oder einer Zustimmung im Einzelfall verbaut werden“, erklärt Ehrmann. „Die Baubehörden der Bundesländer beauftragen in der Regel Gutachter, welche die SG-Verklebungen während der Fertigung und auf der Baustelle prüfen.“ Zudem werden bei Einbauhöhen von mehr als acht Meter mechanische Halterungen gefordert. Bei der Realisierung des Main Zero im Zentrum des Frankfurter Bankenviertels konnte Gartner z.B. diese Halterung durch eine zweite, redundate Verklebung ersetzen.

In Europa gilt als Richtlinie die ETAG 002 „Leitlinie für die europäisch technische Zulassung von geklebten Glaskonstruktionen“, in den USA der Standard ASTM C 1401. International müssen nur diese Regelwerke eingehalten werden. „Weitere Beschränkungen gibt es in der Regel nicht, da der Fassadenbauer die Verantwortung für die SG-Fassaden übernehmen muss“, weiß der Testmanager von Gartner.

Bei Bedarf bomben- und erdbebensicher

Bei der konstruktiven Umsetzung müssen verschiedene Herausforderungen berücksichtigt werden. Ein entscheidendes Konstruktionsdetail ist laut Ehrmann die SG-Fuge. Ihre Breite sei in Abhängigkeit von den Wind- und Temperatureinflüssen zu berechnen. Manchmal gelte es auch, Sprengwirkungen wie beim Headquarter des Bloomberg-Bürogebäudes in London oder Erdbebenanforderungen zu berücksichtigen. Da sich Aluminium und Glas bei Temperaturveränderungen unterschiedlich ausdehnen, müsse die Fuge komplexe Scherwirkungen aufnehmen. Das betreffe auch Closed Cavity Fassaden mit hohen Temperaturen in der Kavität.

Bei Bomb Blast-Anforderungen dürfen die VSG-Scheiben nicht aus dem Rahmen fallen und bei Erdbeben dürfen die Erschütterungen keinen Kontakt zwischen Glas und Rahmen verursachen. Bei verklebten Iso-Gläsern müsse der Randverbund ebenfalls mit zugelassenem Silikonklebstoff bezüglich der Wind- und Temperaturlasten berechnet und verklebt sein. „Übrigens sollte bereits in der Planung von SG-Fassaden ein möglicher Austausch beschädigter Glasscheiben berücksichtigt werden“, rät Ehrmann. „Statt einer Direktverklebung kann z.B. auch eine Adapterrahmenverklebung verwendet werden.“

Was das Zusammenspiel mit anderen am Bau beteiligten Projektpartnern betrifft, sollten sich Fassadenbauer eng mit dem Glashersteller, dem Oberflächenlieferanten sowie dem Klebstoffhersteller abstimmen. „Wir liefern dem Klebstoffhersteller beispielsweise vorab Materialstücke für erste Testungen. Denn der Klebstoff muss für die Glasbeschichtung mit Siebbedruckung geeignet sein“, beschreibt er. Gartner verwende deshalb meist nur Edelstahl oder eloxiertes Aluminium und keine lackierten Oberflächen, da Klebstoffe dort kritischer sein können.

Aufwändige Verfahren sichern Top-Qualität

Und wer haftet für die Sicherheit geklebter Glaskonstruktionen? Dazu Ehrmann: „Haftung und Verträglichkeit sind objektbezogen vorab zu prüfen. Auch sind werkseigene Produktionskontrollen nach ETAG 002 notwendig.“ In aufwändigen Verfahren werde die Qualität von zusätzlichen Klebeprüfkörpern mindestens zweimal täglich während der Produktion überwacht. Die Funktionsfähigkeit der Silikonverarbeitungsmaschinen und das Mischungsverhältnis der Komponenten werden ebenfalls ständig geprüft. Dazu hat Gartner ein eigenes Labor aufgebaut.

„Wir dokumentieren die verklebten Komponenten der einzelnen Elemente und bewahren die Probekörper zur Nachverfolgung mindestens zwölf Jahre auf“, beschreibt Ehrmann. „Auch schulen wir unsere Mitarbeiter regelmäßig.“ Besonderen Wert lege das Unternehmen auf die richtige Disponierung der Materialien. Die Haltbarkeit von Silikon, Reiniger, Primer und nicht zu alte Profiloberflächen stehen dabei im Fokus. Auch die notwendige Aushärtezeit des Silikons müsse bei der Taktung der Fertigung beachtet werden. Deshalb erstelle Gartner jeweils projektbezogene Arbeitsanweisungen für jede SG-Werksverklebung und die notwendigen Baustellenverklebungen.

Extreme Transparenz in New York

Mit Ganzglaskonstruktionen kennt sich auch der unweit von Gartner ansässige Fassadenbauer Seele aus. Die realisierten Konstruktionen weichen dabei des Öfteren von den Vorgaben der ETAG ab. 2009 beispielsweise wurde in New York die ­Juilliard School, Privathochschule für Musik und Schauspiel, erweitert. Der Projektbericht dazu findet sich im Jahrbuch Glasbau 2019, in welchem Seele umfassend auf strukturelle Klebungen im konstruktiven Glasbau eingeht. Die zirka 950 Quadratmeter große Hauptfassade in der oberen Gebäudehälfte, die zum Broadway hin zeigt, ist den Ausführungen zufolge als Ganzglasfassade realisiert und ermöglicht den Passanten Einblicke in den Bau. Nicht nur die Fassadenscheiben bestehen aus Glas. Die lastabtragenden Elemente sind Glasschwerter und erhöhen die Transparenz. Die Systemhöhe dieser Fassade beträgt bis zu 15 Meter, wobei die Unterkante bereits 14 Meter über der Verkehrsfläche liegt. Fassadenscheiben und Glasschwerter sind nicht sichtbar durch Halter verbunden, die in den Randverbund der Isolierglasscheiben greifen und mit einem Flachstab verbunden sind. Dieser ist wiederum auf die Laminatkante des Glasschwerts aufgeklebt.

Jenseits der ETAG 002

Somit werden Soglasten durch zwei Klebungen abgetragen: Zum einen wird die äußere Scheibe des Isolierglases nur über die Randverbundklebung gehalten, zum anderen ist die Verbindung zum Glasschwert eine reine Klebung. Das Fugenverhältnis dieser zweiten Klebung verlässt mit 7,7 deutlich den von der ETAG 002 abgedeckten Bereich. Außerdem gibt es keinen Tragrahmen aus Metall, sondern die Fassadenscheiben werden auf die Kante weiterer Glaselemente geklebt.

Der Vorteil an diesem Konzept ist laut Seele, dass der Flachstab werksseitig auf die Laminatkante aufgeklebt wird und sich die Fertigungsbedingungen somit genau einstellen und kontrollieren lassen. Allerdings sei durch die Verbindung an der Laminatkante auf die Kompatibilität zwischen Silikonklebstoff und Zwischenschichtfolie zu achten und von beiden Herstellern freizugeben, da der Verbund auf keiner Seite negativ beeinflusst werden darf. Dieser Projektbericht ist Bestandteil des Jahrbuchs Glasbau 2019, in welchem Seele umfassend auf strukturelle Klebungen im Konstruktiven Glasbau eingeht.

Wo die Zukunft gegenwärtig ist

Dass sich auch mit Systemfassaden optisch ansprechende Ganzglaskonstruktionen umsetzen lassen, zeigt das Futurium in Berlin. Die dort ausgestellten Zukunftswelten können Besucher dank zweier großformatiger SG-Fassaden aus dem Stahlprofilsystem VISS SG von ­Schüco Stahlsysteme Jansen jederzeit mit der Realität der Außenwelt in Verbindung bringen. Die zu den Vorplätzen im Süden und Norden ausgerichteten Stahl-Glas-Konstruktionen erscheinen von außen als glänzende Screens, dem Display eines überdimensionierten Smartphones nicht unähnlich. Sie messen 28 mal acht Meter nach Süden bzw. 28 mal zwölf Meter nach Nordosten. Neben den gestalterischen Anforderungen an maximale Scheibenformate und minimierte Tragstruktur galt es die baulichen Anforderungen an Schallschutz, Wärmeschutz, Sonnenschutz, Verdunklung, Windlast, Brandschutz und Absturzsicherheit zu erfüllen.

Umkehr der Lastableitung

Die hier in einer hängenden Pfosten-Riegel-Konstruktion eingesetzten Dreifach-Isolierverglasungen sind zirka 2,3 mal vier Meter groß und als SG-System ohne sichtbare Glashalter befestigt. Gleichzeitig übernehmen sie die Funktion der Absturzsicherheit. Die umlaufenden opaken Randfelder sind rückseitig schwarz bedruckt, wodurch sie als Teil der transparenten Glasfläche wahrgenommen werden. Der statische Kunstgriff für die Konstruktion der großformatigen SG-Fassade liegt in der Umkehr der Lastableitung.

Die Eigen- und Nutzlasten der im Norden elf und im Süden 18 Meter weit auskragenden Geschossdecke werden über stählerne Zuglamellen abgetragen, die jeweils an einem Stahl-Hohlkastenträger hängen. Dadurch bleiben die Lamellen immer unter Zugbeanspruchung und ließen sich sehr schlank ausbilden. Auch die Lasten der beiden SG-Fassaden werden über diese Stahlschwerter abgetragen. Umkehr des statischen Systems bedeutet, dass nicht die Pfosten, sondern die horizontal gespannten Riegel die Windlast aufnehmen. Die vertikalen Pfosten sind lediglich dazwischen gesteckt.

Spezielle Glashalteanker entwickelt

Die beiden Panoramafassaden sind eine objektspezifische Lösung, wie sie sich nur mit Stahlprofilen realisieren lässt. Die Architekten entschieden sich für das Profilsystem VISS SG in einer Profiltiefe von 150 Millimeter und einer schlanken Ansichtsbreite von 60 Millimeter. An der Nordostfassade ließ sich fast das maximale Glasformat ausreizen, das die Zulassung für dieses Ssystem gestattet.

Im Dialog mit dem ausführenden Betrieb, einem Ingenieurbüro für Glasstatik und einem Prüfinstitut wurde ein spezieller Glashalteanker entwickelt. Deshalb sind die Silikonfugen der Ganzglasfassaden in der vertikalen Anordnung 20 Millimeter breit, in der horizontalen dagegen 30 Millimeter – angesichts der gewaltigen Dimensionen der Gesamtfassade ein vernachlässigbarer Unterschied.