Nachgefragt Köster: "Wir haben den ewigen Kampf gewonnen."

Dr.-Ing. Helmut Köster leitet das Entwicklungsbüro Köster Lichtplanung und hat weltweit mehr als 600.000 Quadratmeter an Lichtlenksystemem für Glasdächer und Fassaden in der Umsetzung begleitet. Im Interview beantwortet er Fragen zu den Vorteilen dieser Technik.

Dr. Helmut Köster hat Lösungen für intelligentes Tageslichtmanagement entwickelt. - © Erbrich

GFF: Herr Dr.-Ing. Köster, was sind die Vorteile der Tageslichttechnik?

Köster: Die Tageslichtumlenkung ermöglicht es, Innenräume mithilfe von Spiegeln oder Prismen in großen Raumtiefen wirkungsvoll auszuleuchten und/oder die Innenräume – mithilfe der Lichtauslenkung der Sonnenstrahlung zurück in Richtung Himmel – vor einer Überhitzung zu schützen.

Auch weiße Lamellen reflektieren sehr gut. Wo ist der Unterschied?

Auch weiße Lamellen können mit einem sehr hohen Reflexionsvermögen versehen werden. Jedoch reflektiert eine weiße Lamelle diffus, das heißt, das Licht wird ungezielt, gleichmäßig gestreut. Ein Teil des reflektierten Lichts wird nach innen, ein Teil nach außen und ein Großteil wird auf die Unterseite der oberen Lamelle gelenkt und löst dort entweder aufgrund große rHelligkeit eine Blendung des Innenraumnutzers aus oder – wenn die Unterseite dunkler gefärbt ist – wird das Licht absorbiert und damit in Wärme gewandelt. Der Innenraum heizt sich auf.

Was können die sog. Retro-Spiegel besser al weiße Lamellen?

Die Retro-Technik verwendet Spiegel­oberflächen, die nach den Gesetzen der Spiegeloptik (Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel) hochpräzise ausgeformt sind. Durch eine spezielle Lamellenkontur wird die Sonne gezielt zurück in den Himmel und/oder an die Innenraumdecke sowie in die Innenraumtiefe umgelenkt. Dies ermöglicht eine exakte Bestimmung der g-Werte, der Lichttransmissionswerte und der Tageslichtautonomie im Innenraum.

Auch ein Jalousiebehang mit weißen, geschlossenen Lamellen ermöglicht einen niedrigen g-Wert.

Richtig. Aber die Durchsicht ist verhindert, wernn der Behang geschlossen wird. Der Innenraum ist abgedunkelt. Die Lichter gehen an, obwohl draußen die Sonne scheint – welch kontraproduktive Gebäudetechnik. Ein unnötiger Energieverbrauch für die Beleuchtung und eine zusätzliche Aufheizung durch interne Lichtquellen.

Können die Retro-Behänge offenstehen und trotzdem die Sonne auslenken?

Ja, die Lamellen werden so berechnet, dass in horizontaler Lamellenlage das Licht ausgelenkt wird. Dies wird durch eine Stufung der Lamellenkontur erreicht. Um genau zu sein: Die Lamellenkontur bildet einen Fresnell-Reflektor, der ähnlich einer fragmentierten Parabel ausgebildet ist. Der Fresnell-Reflektor hat seinen Brennpunkt außen vor der Fassade. Das Licht wird ausgelenkt, ohne die Lamellen zuzudrehen. Deshalb kann das diffuse Himmelslicht gleichzeitig zwischen den offenen Lamellen in den Innenraum eindringen. Eine Verdunkelung des Innenraums ist damit vermieden. Der Nutzer kann ungehindert durch die offen gestellten Jalousien nach außen schauen. Der Außenbezug ist bestens gesichert.

Es gilt, dass Sonnenwärme, die im Raum ist, auch nicht mehr nach außen zurückreflektiert werden kann.

Sonnenlicht ist kurzwellige Strahlung ohne langwellige Wärmeanteile im Strahlenspektrum. Der Weltraum hat minus 275 Grad Celsius. Wärme entsteht durch Energiewandlung der kurzwelligen in langwellige Strahlung, das heißt durch Absorption. Die Intelligenz der Tageslichtumlenksysteme besteht darin, die Sonne in den Himmel zurückzureflektieren, ohne die Strahlung zu absorbieren. Dies gelingt einerseits mit hochwertigen Reflektoren und andererseits durch eine ganz spezifische Lamellengeometrie mit spiegelnden Oberflächen, die gewährleistet, dass die Sonne mit einer einzigen Reflexion wieder nach außen reflektiert wird – Stichwort: Monoreflektivität.

Welche g-Werte erreichen Sie im Sommer bei offener, flacher Lamellenstellung?

Dies ist primär abhängig von der äußeren Verglasung und von der Position der Lamellen – z.B. hinter einer Prallscheibe in einer geschlossenen Kavität, im Isolierglas oder im Innenraum hinter einer Zweischeiben- oder Dreischeiben-Verglasung. Mit einer Oberflächenreflexion von 96 Prozent der Lamellen erreicht man mit den Behängen in einer geschlossenen Kavität hinter einer Prallscheibe und einer Zweifach- oder Dreifach-Wärmeschutzverglasung an der Innenseite g-Werte zwischen 0,05 und 0,07 ohne Sonnenschutzschicht. Bei Anordnung der Jalousien im Innenraum empfehlen wir ein farbneutrales Sonnenschutzglas, z.B. Typ 66/32. Mit solchen Verglasungen lassen sich g-Werte von 0,1 bei offener Jalousie und hoch stehender Sommersonne erzielen.

Wenn Sie die Sonne auslenken, können Sie nicht gleichzeitig die Innenräume in der Tiefe ausleuchten. Wie lösen Sie diesen Widerspruch?

Ich habe das Prinzip der bifokalen Lamellen entwickelt. Diese verfügen über mindestens zwei Teilstücke: ein erstes Teilstück, das das auftretende Sonnenlicht nach außen lenkt und ein zweites Teilstück, das das einfallende Licht nach innen lenkt. Solche dichometrischen Lamellenstrukturen lassen sich im unteren Fensterbereich einsetzen, um die hohe Sommersonne komplett auszublenden. Diffuses Licht und flache Sonne jedoch werden steil und für den Nutzer blendfrei bis an die Innenraumdecke gelenkt. Im oberen Behangbereich werden die Lamellen um eine vertikale Achse um 180 Grad gedreht und lenken dann Zenitlicht in die Innenraumtiefe. Damit erhält ein Jalousiebehang zwei unterschiedliche Funktionszonen mit einer hochkomplexen Spiegeloptik, die jedoch einfach beherrschbar wird, da der Behang auf maximale Durchsicht in horizontaler Lamellenlage gestellt ist. Ein Schließen der Behänge erfolgt nur bei flacher Sonne, also wenn der Sonneneinfallswinkel weniger als 30 Grad beträgt.

Spiegel können extrem blenden. Wie beherrschen Sie dieses Problem der Blendung?

Mithilfe von sog. Raytracern (Strahlenverfolgungssoftware) erkennen wir für jeden beliebigen Einfallswinkel der Sonne die Richtung der Lichtumlenkung nach innen oder außen. Es ist eine hohe Kunst, die Reflektoren so zu berechnen und zu fertigen, dass das Licht zurück in den Himmel reflektiert wird, ohne gegenüberliegende Gebäude oder den Straßenraum mit störenden Reflexionen zu belasten. Die Lichtstrahlung, die nach innen umgelenkt wird, wird im unteren Fensterbereich steil bis an die Decke und ab etwa 1,80 Meter Raumhöhe horizontal in die Raumtiefe gelenkt, so dass eine Blendung im menschlichen Auge verhindert ist.

Ist das alles noch Theorie oder haben Sie schon Bauvorhaben mit Ihren Licht­lenksystemen umgesetzt?

Mit einfacheren Spiegelgeometrien haben wir die ersten Bauvorhaben bereits im Jahr 1988/89 fertiggestellt. Hier wurden Lichtlenksysteme in das Isolierglas als fixierte Systeme integriert. Beispielhafte Bauvorhaben mit Retro-Lamellen aus meinen Patenten sind die Dachverglasung des Audi-Übergabepavillons in Ingolstadt, die Dachverglasung des Plenarsaalsdes ehemaligen preußischen Landtags in Berlin oder die Fassade des debis-Gebäudes am Potsdamer Platz von Lord Richard Rogers in Berlin.

Seit 2001 fertigt die Firma Retrosolar weitere Licht­lenksysteme für Isolierglas und innen liegende Jalousien sowie Raffstores mit Lichtlenkung. Die Firma Schlotterer in Salzburg fertigt seit 2013 Tageslichtraff­stores mit einer bifokalen Lamellenoptik. Einige bekannte Bauvorhaben sind: Blue-Win Hochhaus in Zürich mit zirka 3.000 Quadratmeter (RetroFlex 80 Millimeter), Energy Tower in Linz mit zirka 3.000 Quadratmeter (RetroFlex 80 Millimeter), Sopharma Litex Triple Towers in Sofia mit zirka 10.000 Quadratmeter (RetroFlex 80 Millimeter), Bank Santander in Sao Paulo mit zirka 10.000 Quadratmeter (RetroFlex 25 Millimeter), Allianz Versicherung in Sao Paolo mit zirka 10.000 Quadratmeter (RetroFlex 25 Millimeter), Stadtwerke Bochum mit zirka 3.000 Quadratmeter (RetroLux 50 Millimeter), Central Bank of Kuwait (RetroLuxTherm 20 Millimeter), Regierungsgebäude in Seoul (RetroLuxTherm 12 Millimeter), Museumsbauten in Peking und Shenzen sowie Bauvorhaben von Beidu (RetroLux 50 Millimeter).

Weitere Bauvorhaben sind der Schweizerische Rundfunk in Zürich oder der Bayerische Rundfunk in München. In Frankreich hat die Firma Maritoneinige Banken in Paris mit bifokalen Lamellen der Firma RetroSolar ausgerüstet. Größere Bauvorhaben sind in Planung.

Betonen möchte ich, dass wir in der Entwicklung von der DBU und dem Bundesministerium für Wirtschaft unterstützt wurden, zum Teil im Rahmen von Gemeinschaftsforschungsvorhaben zusammen mit Fraunhofer-Instituten und der TU Berlin, die die lichttechnischen und g-Wert-Messungen durchgeführt haben.

Wer profitiert von der Lösung?

Nicht nur wir – der Fassadenbau wird profitieren, weil wir den ewigen Kampf gegen die Überhitzung von Glasfassaden gewonnen haben – insbesondere bei den CC-Fassaden. Wir reduzieren die Temperaturen in der Kavität und die Temperatur an der Innenverglasung. Das bringt thermischen Komfort. Die gleichzeitige Durchsicht und die optimierte Tageslichtausleuchtung erhöhen den visuellen Komfort. Die weiteren Gewinner sind die Energiebilanz und der CO2-Footprint von Gebäuden. Wir weisen anhand ausgeführter Bauvorhaben einen um bis zu 30 Prozent verminderten Gesamtenergieverbrauch in Folge reduzierter Kühllasten und der wesentlich verbesserten Tageslichtautonomie nach. Die künstliche Beleuchtung hat einen Anteil von 30 Prozent am Gesamtenergieverbrauch von Verwaltungsgebäuden. Diesen Verbrauch reduzieren wir um 50 Prozent und damit gleichzeitig die Kühlasten. Die Spareffekte sind verglichen mit Wärmedämmmaßnahmen viel signifikanter.

Wie schlägt sich die Lösung im Vergleich zu mit Photovoltaik verschatteten Fenstern?

Die Lichtumlenkung nach innen erfolgt fast verlustfrei ohne großen technischen Aufwand, während die Photovoltaik immer noch einen vergleichsweise bescheidenen Wirkungsgrad hat. Das Kosten-/Nutzenverhältnis der Tageslichtnutzung ist unvergleichlich viel höher. Dazu kommt der Erlebniswert des Tageslichts in Innenräumen und die positive Wirkung des natürlichen Lichtspektrums auf die Gesundheit der Nutzer.