Es ist ein Klassiker: Kurz vor der Abnahme weist die eingebaute Verglasung plötzlich Kratzer auf. Wann hat der Auftraggeber solche visuellen Beeinträchtigungen hinzunehmen, welche rechtlichen Möglichkeiten hat der Auftragnehmer – und wie lassen sich Fehler bei der Glasreinigung verhindern?

Im zweiten Schadensfall, der im ift Online-Seminar "Bauen mit Sachverstand – Jurist und Sachverständiger im Gespräch" betrachtet wurde, ging es um eine Innenverglasung für ein Treppenhaus, auf deren Oberfläche deutliche Kratzer zu erkennen waren – und auch Mörtelreste. Das Gebäude war gerade erst fertiggestellt worden.
Hinnehmbare Kratzer oder nicht? BF-Richtlinie als Bewertungsmaßstab
Wie der ift-Sachverständige Felix Fischbacher erläuterte, hatten die Kratzer keinen Einfluss auf die Materialeigenschaften des Glases. Insofern galt es für ihn rein die visuelle Beeinträchtigung zu bewerten. Ob ein Kratzer hinnehmbar ist oder nicht, lässt sich auf der Basis einschlägiger Beurteilungsrichtlinien entscheiden. Neben der DIN EN 1279 nannte Fischbacher insbesondere die BF-Richtlinie 006/2019 "Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas für das Bauwesen".
Dort heißt es mit Blick auf Innenverglasungen, dass die Gläser "bei normaler (diffuser), für die Nutzung der Räume vorgesehener Ausleuchtung unter einem Betrachtungswinkel vorzugsweise senkrecht zur Oberfläche" geprüft werden sollen, und zwar in einem Abstand von mindestens einem Meter. Zu fokussieren sei der Hintergrund, nicht die Scheibe selbst. "Im konkreten Fall haben wir die Bewertung bei Kunstlicht vorgenommen und in einem Betrachtungsabstand, wie er beim Vorbeigehen im Treppenhaus üblich ist“, erläuterte der Sachverständige. Unter diesen Bedingungen stellte er zahlreiche auffällige Kratzer fest, die nach der BF-Richtlinie nicht zulässig sind.