Glasschäden Teil 4 Erhöhte Stressbelastung und die Folgen

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Glasschäden

Wird der Druck zu groß, dann kommt der Bruch zeitversetzt. Oder: Je breiter, umso schneller kracht’s. Dass ist das Fazit von Fachbuchautor Ekkehard Wagner in seiner Analyse von Glasschäden durch Drucksprung.

Starke Reflexionsverzerrungen an Isolierglas aufgrund des Doppelscheibe-Effekts. - © Wagner

Wärmedämmung ist der wichtigste Bereich, in dem moderne Isolierglassysteme eingesetzt werden, wobei vielfältige Möglichkeiten des Mehrfachnutzens solcher Verglasungssysteme vorhanden sind: Schallschutz, Sonnenschutz, Angriffhemmung und Sicherheitseigenschaften lassen sichproblemlos mit der hochwärmedämmenden Beschichtung
kombinieren. Die Vielfalt der Kom-
binationsmöglichkeiten, die sich hier nicht aufgeführten lässt, stellt Planern und Bauherren ein breites Anwendungsspektrum zur Verfügung.

Je breiter der Scheibenzwischenraum, desto größer der Isolierglas-Effekt

Überall dort, wo Anwendungsgrenzen erreicht werden, können Probleme auftreten, wenn Materialeigenschaften überstrapaziert oder der Einsatz nicht mehr entsprechend den Produkteigenschaften erfolgt. So ist der Trend zu hochwärmedämmenden Verglasungen von den Zweifach-Isoliergläsern längst zu den Dreifach-Isoliergläsern gewechselt. U-Werte der Verglasung unter 1,0 W/m²K freuen den Verbraucher, der mit Werten von 0,7 W/m²K oder noch niedriger verwöhnt wird.

Je breiter der Gesamt-Scheibenzwischenraum, desto größer auch der Isolierglas- oder Doppelscheiben-Effekt.

Ekkehard Wagner

Dabei müssen alle Formate und Größen herstellbar sein. Wer jetzt noch möglichst preiswerte Systeme haben möchte, bleibt bei Argon als Füllgas im Scheibenzwischenraum (SZR) anstelle von Krypton oder Argon/Krypton-Mischungen und erweitert den Scheibenzwischenraum bis auf zwei mal 14 Millimeter, zwei mal 16 Millimeter oder gar zwei mal 18
Millimeter, um den niedrigst möglichen U-Wert bei kostengünstigster Glasfüllung und somit niedrigst möglichem Preis zu erhalten. Hier beginnt die Problematik solcher Systeme: je breiter der Gesamt-SZR, desto größer auch der Isolierglas- oder Doppelscheiben-Effekt, also das Ein- und Ausbauchen der beiden äußeren Scheiben aufgrund von Temperatur-, Luftdruck- und/oder Höhenunterschieden zwischen Herstell- und Einbauort.

Kein Druckausgleich mit der Umgebung möglich

Da der SZR von Mehrscheiben-Isolierglas von der Umgebungsluft hermetisch abgeschlossen ist, gelten hierbei die physikalischen Gasgesetzmäßgkeiten. Das heißt, der hermetisch abgeschlossene SZR lässt keinen Druckausgleich mit der Umgebung zu. Die Temperatur- und Druckverhältnisse am Tage der Produktion des Mehrscheiben-Isolierglases sind somit eingeschlossen. Bei allen Änderungen von Temperatur oder Luftdruck verändert sich die Stellung der Scheiben zueinander, es kommt zu konvexen oder konkaven Durchbiegungen der Außenscheiben, das Isolierglas baucht aus oder ein, ähnlich einem Dosenbarometer. Wäre dies nicht der Falle und die Umgebungsluft könnte bei Druckänderungen in den SZR eindringen, wäre das Isolierglas aufgrund der eindringenden Feuchtigkeit innerhalb weniger Wochen oder Monate im SZR beschlagen.

Verzerrungen in der optischen Ansicht

Dieser Effekt zeigt sich bei allen intakten Isolierglassystemen. Erkennbar ist er oft sehr einfach an der Optik der Scheiben: konvexe oder konkave Veränderungen der Scheibenplanität führen zu Verzerrungen in der optischen Ansicht. Das Foto oben links zeigt ein solches Beispiel der deutlich verzerrten Reflexion in der Außenansicht. Wird diese optische Verzerrung nicht gewünscht, kann man die Dicke der Außenscheibe gegenüber der Innenscheibe deutlich erhöhen. Dadurch wird das Ein- oder Ausbauchen der Außenscheibe reduziert. Es ist notwendig, die Innenscheibe wesentlich stärker zu bauchen und auch mehr Belastung aufzunehmen und auszuhalten. Wer zu unbedacht vorgeht, riskiert sehr schnell Glasbruch. Insbesondere, wenn neben den unterschiedlichen Glasdicken zusätzlich ungünstige Scheibenformate - wie lange und schmale Handtuchgrößen - die  einwirkenden Lasten auf das Glas verstärken und damit zum Bruch führen. Die DIN 18008 weist auf diese Problematik hin, indem sie kritische Abmessungen aufzeigt: 2-fach-Isolierglas mit Scheibenbreiten der kurzen Kanten unter 600 Millimeter und bei 3-fach-Isolierglas unter 700 Millimeter sind erheblich bruchgefährdet.

Physikalische Grundgesetze beachten

Die Problematik des zu starken Ein- oder Ausbauchens von Isolierglaseinheiten und der damit verbundenen erhöhten Stressbelastung von nicht vorgespanntem Glas bis zum Glasbruch kann bereits bei Gesamtscheibenzwischenräumen ab zirka 24 Millimeter auftreten. Wer diese physikalischen Grundgesetze außer Acht lässt, muss im Extremfalle mit kostspieliger Schadensbehebung rechnen.

Veränderung des Glasvolumens

Das im Scheibenzwischenraum eingeschlossene Gas verändert sein Volumen bei Temperatur- und Luftdruckänderungen.

Die Problematik des zu starken Ein- oder Ausbauchens von Isolierglaseinheiten kann bereits bei Gesamtscheibenzwischenräumen ab zirka 24 Millimeter auftreten.

Allein Temperaturveränderungen um ein Grad Celsius verändern das Gasvolumen um 1/273. So verändert sich das Volumen des SZR bei Temperaturveränderung um 27 Grad Celsius auch um zehn Prozent. Bei zwei mal 14 Millimeter SZR und ein  Quadratmeter Größe (z.B. 50 x 200 Zentimeter, zirka 28 Liter Gasvolumen) bedeutet das eine Veränderung um 2,8 Liter.

Da sich kleinformatige Scheiben nicht stark durchbiegen können, führt das zu einer starken Druckveränderung im SZR und zu einer Spannungserhöhung im Glas, die im Extremfall bis zum Glasbruch führen kann.

Drei Parameter für Doppelscheibeneffekt

Dieser Doppelscheibeneffekt wird immer durch drei Parameter beeinflusst, diese sind: Temperaturänderungen (Sommer zu Winter), Luftdruckänderungen sowie Einbau in anderen Höhenlagen als der Produktionsstandort. Zu diesen Parametern können weitere Einflussgrößen kommen, die diesen Effekt zusätzlich negativ beeinflussen: große Scheibenzwischenräume, kleinformatige Scheiben ungünstiges Seitenverhältnis (lange, schmale Gläser), unterschiedliche Glasdicken, absorbierende Glasaufbauten, Glas mit verminderter Bruchfestigkeit, gewölbte Gläser sowie Sprossenisolierglas.

Durch derart starke Spannungen verursachte Glasbrüche zeigen einen typischen Verlauf: sie beginnen in Scheibenmitte und laufen in den Eckbereich aus. Da Glas die Eigenschaft besitzt, hohe Belastungen durchaus einen gewissen Zeitraum, aber nicht dauerhaft, auszuhalten, können Glasbrüche auch Monate beziehungsweise Jahre nach dem Einbau entstehen,
abhängig von Stärke und Einwirkungsdauer der Extremwetterlage.