Die vier Erfolgsfaktoren Zeit, Geld, Sicherheit/Statik und Gewicht Dieser Mann schaut genau hin

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Nach 20 Jahren im Geschäft und eigenen Erfahrungen bei Gartner, als Konstruktionsleiter im Metallbau und in der Architektenberatung für die Glasindustrie fragt der doppelt diplomierte Ingenieur Peter Kasper auch mal, ob es etwas weniger sein darf – zum Wohle seiner Kunden.

Er rechnet ... und rechnet ... und rechnet: Von seinem Ingenieurbüro Glass Metal Consulting in Gundelfingen aus unterstützt Peter Kasper bauausführende Betriebe vor allem mit statischen Nachweisen für deren Fassaden-, Wintergarten- und Carportprojekte; wie so oft steckt dabei der Teufel im konstruktiven Detail. - © Kober

Wie erklärt sich eigentlich in Anbetracht eines ansonsten wachsenden Markts der Rückgang von fast sechseinhalb Prozent im Segment Einscheiben-Sicherheitsglas (ESG)? Das Minus von 6,4 Prozent hatte B+L Marktdaten in Bonn jüngst im Auftrag des BF ermittelt. Peter Kasper beantwortet die Frage mit einem Hinweis auf den zunehmenden Termindruck: „Da die Lieferzeiten der Industrie bei VSG signifikant kürzer sind, nehmen viele meiner Kunden das Mehrgewicht von durchschnittlich zehn Kilo pro Quadratmeter in Kauf und greifen statt zu acht Millimeter ESG und VSG zu zwei mal sechs Millimeter VSG. Dazu kommt das Thema ESG-H, das für zusätzliche Verzögerungen sorgt, weil ja in der Regel mit der Inbetriebnahme des HST-Ofens gewartet wird, bis eine Charge komplett ist.“ Für die Industrie, deren ESG-Kapazitäten nach Einschätzung des Glasfachmanns nicht ursächlich sind für die Wartezeiten, ist der Effekt angenehm: Sie verkauft dadurch mehr Glas.

Der 50-Jährige, Diplom-Ingenieur sowie Diplom-Wirtschaftsingenieur, hat sich 2001 in der Wahlheimat Gundelfingen selbstständig gemacht und betreibt sein Beratungs- und Ingenieurbüro Glass Metal Consulting (GMC) seit 2007 in Vollzeit; für die GFF schreibt Kasper (siehe den exklusiven Fachbeitrag in dieser Ausgabe!) regelmäßig und häufig mit viel Resonanz. Das liegt daran, dass der gebürtige Leipziger die Mechanismen der Branche nicht zuletzt durch seine Tätigkeit bei Gartner, deretwegen er Anfang der 90er-Jahre an die Donau zog, im Metallbau und in der Glasindustrie genau kennt und sich nicht scheut, diese entsprechend zu benennen. Beispiel Glasdickenbemessung: So wird in Fachkreisen immer wieder die Frage heiß diskutiert, inwiefern der sog. Schubverbund bei glasstatischen Berechnungen zur Geltung kommen soll; in der aktuellen DIN 18008, Teil IV, die Kasper freiweg als „nicht so gut gelungen“ bezeichnet, findet der Schubverbund keine Berücksichtigung, dafür wurde die Spannungsfestigkeit pauschal um zehn Prozent nach oben gesetzt.

Was versteht man unter Schubverbund? Je nach dem Zustand der Folie – Polyvinylbutyral (PVB) wird bei Temperaturen von mehr als 23 Grad Celsius weich, ist aber bspw. im Winter steif – können sich die beiden VSG-Scheiben bei vollem Schubverbund wie eine monolithische Scheibe verhalten und entsprechend höhere Lasten aufnehmen; von Spielern im konstruktiven Glasbau immer wieder gerügt, ist es in Deutschland nicht zulässig, der statischen Berechnung einen solchen Schubverbund zugrunde zu legen.

Anderenfalls ließen sich mit dünneren Aufbauten weitaus bessere Werte für Spannungs- und Verformungsnachweise erzielen. Den stattdessen anhaltenden Trend zu dickeren Glaspaketen, zum Vorteil der Hersteller, begünstigen laut Kasper nicht unwesentlich die marktgängigen Berechnungsprogramme bzw. die einschlägige Software: Hier verweist der 50-Jährige auf von ihm selbst geschriebene Programme, deren Ergebnisse ohne Sicherheitsrisiken – in Abwesenheit eines Prüfingenieurs haftet er als Dienstleister teils vollumfänglich für die gemachten Angaben zur Tragfähigkeit – nicht selten geldwerte Vorteile für den Anwender bringen würden. Konkret rate jeder Glashersteller aus nicht ganz uneigennützigen Motiven bei einem klassischen Dreifachaufbau zu drei mal sechs Millimeter Glasdicke; dagegen lässt sich laut Kasper das Float in der Mitte häufig vier Millimeter dick ausführen, ohne dass deshalb die Statik gefährdet wäre. Das aber ergibt gerechnet auf eine Fläche von 100 Quadratmeter für sich genommen bereits eine Einsparung von 800 Euro. Der Ingenieur, der über reichlich Normungserfahrung verfügt und dessen zahlreiche Widersprüche, mitunter verfasst im Verbandsauftrag, gut dokumentiert sind, weiß um das strukturelle Problem des Handwerks. Während große Hersteller oftmals gleich mit mehreren Sitzungsteilnehmern in den wichtigen Gremien vertreten sind, sei es für viele bauausführende Betriebe schlicht nicht machbar, zum Selbstkostenpreis an der Interessenvertretung mitzuwirken. Dass Normung durchaus Lobbyarbeit sein kann, meint Kasper nicht böse; es ist für ihn schlicht ein Fakt.

Zu große Sicherheitspuffer kosten Marge

Der (Wirtschafts-)Ingenieur zählt 15 regelmäßige Kunden in seiner Kartei, für die er per annum 50 bis 60 Aufträge abwickelt; zusätzlich ist Peter Kasper als Sachverständiger tätig. Seine Auftraggeber sind überwiegend Betriebe bis 50 Beschäftigte, die Wert darauf legen, selbst mit den statischen Berechnungen für das jeweilige Bauvorhaben nichts zu schaffen und hurtig verlässliche Ergebnisse in der Hand zu haben. Dabei nimmt der 50-Jährige eigenen Angaben zufolge seine Verantwortung auch in wirtschaftlicher Hinsicht ernst: Dazu zählt er Aussagen zur Statik, mit denen die Handwerker auf der sicheren Seite sind, ohne aber für über Gebühr vorgesehene Sicherheitspuffer mit einem Verzicht auf Marge zu bezahlen. Darüber hinaus gibt der Insider zu bedenken, dass der Bau auch weiterhin für alle Beteiligten bezahlbar bleiben müsse: Werde die Preis- bzw. Kostenspirale zu sehr angezogen, habe dies auf Sicht negative Auswirkungen auf alle Marktteilnehmer, auch aus den Reihen der herstellenden Industrie.

Dass die Normung und deren Ausprägung in einzelnen Märkten bisweilen bei den Fachleuten für Kopfschütteln sorgen, belegt Peter Kasper am Beispiel der europäischen EN 1991; das Papier sieht hinsichtlich der zulässigen Schneehöhe auf Wintergärten einen sog. Abtau­effekt vor, den im Detail die ISO 4355 darstellt. Dort heißt es, aufgrund der für Bauteile mit einem U-Wert von schlechter als 1,0 W/m2K anzunehmenden Abtauleistung infolge des Wärmedurchgangs sei für Innentemperaturen ab acht Grad Celsius eine um den Faktor 0,63 reduzierte Schneehöhe anzunehmen: Konkret sind das 63 Zentimeter anstelle von einem Meter. Kasper, der den Wärmedurchgangskoeffizienten für ein Wintergarten-Glasdach auf 1,5 W/m2K taxiert, sieht diese Voraussetzung demnach ebenso erfüllt wie die Innentemperatur von acht Grad Celsius. GFF sagt er: „Ich hatte mich gefreut, als ich die neue Norm studiert habe. Aber dann habe ich das sog. nationale Anwendungsdokument gelesen.“ Tatsächlich ist damit die in EN 1991 und ISO 4355 festgehaltene Ausführungsbestimmung obsolet, da im Deutschland-Papier plötzlich der Temperaturfaktor auf 1,0 erhöht ist. Nach Einschätzung Kaspers ist diese Ablehnung, einen Abtaueffekt anzusetzen, auf die durch die Baubehörden geltend gemachten Sicherheitserfordernisse zurückzuführen. Das aber hat Auswirkungen: Wenn die vollen Schneehöhen berechnet werden müssen, sind bei Glas- und Profildicken höhere Werte erforderlich. Laut Kasper verteuert dies den Bau unnötig: „Ein Wintergarten, der 50.000 Euro kosten würde, beläuft sich dann auf 70.000 Euro. Das kann Kunden verschrecken.“