Zeitreise in Glas Die Schrecken des Ersten Weltkriegs auf Kirchenfenstern

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Gestalten mit Glas

Zum seltenen Genre der so genannten Kleindenkmäler, die unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland, England und Frankreich entstanden, gehören Glasmalereien und Bleiverglasungen in Kirchen. Sie thematisieren die Schrecken des Krieges auf ihre ganz eigene Weise.

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    Das Foto zeigt einen französischen Soldaten im Chor der Kirche von Semur-en-Auxois (Bourgogne).
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    Dieser verwundete Soldat braucht die Hilfe einer Krankenschwester.
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    In Semur-en-Auxois zeigt diese Glasmalerei auf einem Kirchenfenster amerikanische Soldaten im Gefecht und als Verwundete im Lazarett.
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    Dieses Kirchenfenster illustriert in acht Szenen das schreckliche Gesicht des Krieges: Familien nehmen (teils für immer) Abschied, Soldaten ziehen auf das Schlachtfeld hinaus.

Die charakteristischen Glasmalereien entstanden damals ungefähr zur gleichen Zeit in mehreren Kirchen Deutschlands, Englands und Frankreichs und sind oft mit auffallender Liebe zum Detail gestaltet. Während die Fenster im Zweiten Weltkrieg in zahlreichen Städten Deutschlands zerstört und danach auch nicht mehr ersetzt wurden, finden sich in der Bourgogne sowie in der Region Nord-Pas-de-Calais in Frankreich Glasmalereien, die den Stellungskrieg, den Nahkampf und den Gaskrieg schonungslos darstellen. Für die Ausgestaltung von Kirchenfenstern sind dies außergewöhnliche, ja regelrecht befremdliche Szenen.  Häufig unterstützt die französischen Soldaten im Hintergrund, vom Himmel herab Jeanne-d’Arc, die Jungfrau von Orléans. In Semur-en-Auxois im Norden von Burgund existiert eine große Glasmalerei, welche amerikanische Soldaten im Gefecht und als Verwundete im Lazarett zeigt. Im Begleittext unterhalb des Fensters heißt es:

„Zur Erinnerung an die Toten des 310. Infanterie-Regiments der 78. Division der amerikanischen Armee, welche während des Großen Krieges zwischen 1917 und 1918 gefallen sind und von denen die meisten in französischer Erde ruhen.“

Eines der wenigen gut erhaltenen deutschen Kriegsfenster findet sich in Überlingen am Bodensee im gotischen Münster der Stadt. Es handelt sich um ein großartiges Werk, angefertigt im Jahr 1920 von der Mayer’schen Hofkunstanstalt in München sowie signiert von dem Glaskünstler Franz-Xaver Zettler. Die Mayer’sche Hofkunstanstalt war damals eine Glaserei mit mehr als 500 (!) Mitarbeitern, welche in der Glaskunst den Münchner Stil etablierte. Acht Szenen illustrieren die Zeit des Krieges. Die Darstellung beginnt mit dem Ausschellen der Kriegsnachricht durch den Stadtbüttel. Es folgen der Abschied von der Familie und der Auszug der Soldaten aus der Heimat. Die nächste, sehr lebendige Szene zeigt den Schützengraben, inklusive Stielhandgranate und Brustpanzer, welcher erst im Jahr 1917 eingeführt und nur selten eingesetzt wurde, die Verwundung und der Tod des Soldaten beschließen die Folge. Erschien in Frankreich unter dem Titel „Les Vitraux Patriotiques“ eine ganze Bücherreihe über diese Fenster, blieb diese Kunstrichtung in Deutschland völlig unbeachtet – bis heute.