Intelligente Roboterlösung für Losgröße eins „Die Knochenarbeit erledigt die Maschine.“

Ihre langjährige Zusammenarbeit trägt erneut Früchte: Ein Automatisierungsspezialist und ein Maschinenhersteller haben erstmals eine Prozesslinie mit drei integrierten Robotern entwickelt, welche die Produktivität in der Flachglasindustrie weiter steigert und die Kosten senkt.

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    Jochen Günther, Leiter der Abteilung Maschinenbau bei Knittel Glas, und sein Team haben seit 2002 etwa 150 Robotersysteme in der Flachglasindustrie aufgebaut.
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    Die neue Linie mit zwei Kantenschleifmaschinen von Lattuada und drei Robotern von Knittel Glas ist eine leistungsfähige Alternative zum klassischen Vierseiter.
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    Erhöhung der Leistungsdichte: Die zwischen den Maschinen installierten Roboter steuern das Be- und Entladen der Scheiben.

Die Abteilung Engineering von Knittel Glas unterstützt die Flachglasindustrie mit kundenspezifischen Robotersystemen, um den Automatisierungsgrad zu steigern und die Produktionskosten der Unternehmen zu senken. Dabei sind sowohl Einzelstationen als auch ganze Prozesslinien automatisierbar. Auch bestehende Anlagen lassen sich nachrüsten. „Seit 2002 haben wir etwa 150 Automatisierungssysteme in der Glasindustrie aufgebaut“, erklärt Jochen Günther, Leiter der Abteilung Maschinenbau bei der Waldemar Knittel Glas Bearbeitungs GmbH im nordrhein-westfälischen Bielefeld. Die Erfolgsformel: Ein Standardroboter wird je nach den Kundenanforderungen mit Modulen, z.B. zum Säumen, Schleifen und Polieren von Flachglas, sowie spezieller Software kombiniert.

Roboter vermisst jedes Werkstück

Seit vielen Jahren kooperiert Knittel Glas mit dem italienischen Maschinenhersteller Lattuada. „Als Familienunternehmen haben wir die gleiche DNA“, beschreibt Günther die Basis der Zusammenarbeit. „Man kann sich aufeinander verlassen.“ Jetzt haben beide Partner eine erweiterte Linie entwickelt, die zwei Kantenschleifmaschinen mit drei Robotern kombiniert. Dabei bringt Knittel Glas das Know-how im Bereich der Konstruktion und Programmierung sowie die Robotertechnik in die Kooperation ein.

Anlagen mit einem oder zwei Robotern sind bereits Standard. „Neu bei dieser Linie ist die Integration von drei Robotern – einem Messroboter sowie zwei Zufuhr- und Wenderobotern“, ergänzt er. „Damit haben wir den nächsten Entwicklungsschritt erreicht.“ Die Linie verarbeitet Abmessungen bis maximal 2,80 mal 3,20 Meter und Glasdicken von zwölf Millimeter. Die Tragkraft der Roboter beträgt 300 Kilogramm, wobei bis zu 1.000 Kilogramm möglich sind.

Dank der Vermessung jedes einzelnen Werkstücks lassen sich der Anlage verschiedene Scheibenformate mit unterschiedlichen Glasdicken und Oberflächenstrukturen zuführen – und das in beliebiger Reihenfolge. Die zwischen den Schleifmaschinen installierten Roboter steuern das Be- und Entladen sowie den Weitertransport der Scheiben. „Das System ist optimal für die Losgröße eins geeignet“, versichert der Maschinenbauingenieur. „Die Einzelfertigungen sind ein wachsender Zukunftsmarkt in der Glasindustrie.“

Bekämpft den Fachkräftemangel

Laut Günther amortisiert sich der Einsatz solcher Robotersysteme oft bereits nach kurzer Zeit – dank geringerer Produktionskosten, des höheren Automationsgrads, der Verbesserung der Lieferfähigkeit und der Reduzierung der Rüstzeiten um bis zu 40 Prozent. Darüber hinaus sei die Robotertechnik in Zeiten des Fachkräftemangels ein gewinnbringendes Tool in der Fertigung. Die Bedienung sei einfach, erfordere weniger Personal und der Bediener profitiere von einer deutlichen körperlichen Entlastung. „Die Knochenarbeit verrichtet die Maschine“, sagt der Experte. Mögliche Bedenken hinsichtlich der Rationalisierung von Arbeitskräften kann er ausräumen: „Ich habe bisher noch kein Unternehmen erlebt, dass im Zuge der Automatisierung Mitarbeiter entlassen hat“, beteuert er. Im Gegenteil: Wenn die Maschine ihre Arbeit verrichte, könne sich der Bediener einem anderen Job widmen. Dadurch sei die Tätigkeit weniger eintönig.

Ein weiteres Kriterium ist die Erhöhung der Leistungsdichte. „Durch den gestiegenen Wettbewerbsdruck ist der Leerlauf eine Katastrophe für die Glasindustrie“, weiß Günther. Die Linie sei optimal für den Mehrschichtbetrieb geeignet. Die Remote-Control-Funktion ermögliche die Fernwartung und durch die IoT-basierte Dateninfrastruktur könnten interne Zustände erfasst, Produktionszahlen ausgelesen und Probleme vermieden werden. Auch die Schnittstellenbetreuung aus einer Hand sei ein Vorteil für den Kunden.

Bis zu 376 Schleifmeter im Test

Ein Jahr lang haben der Ingenieur und sein Team zusammen mit Lattuada an dem System getüftelt. Nach der erfolgreichen Testphase bei Knittel folgen der Abbau und die Auslieferung an einen Kunden in der Schweiz. „Zurzeit schaffen wir mit einer Abmessung von einem mal einen Meter eine Schleifleistung von 272 Meter in der Stunde mit Eckenstoßen – das entspricht 68 Glasscheiben“, sagt Günther über den aktuellen Stand. Im Format von zwei mal einen Meter liege die derzeitige Schleifleistung inklusive Eckenstoßen bei 376 Meter pro Stunde. Das entspreche einer Kapazität von 62 Elementen. „Wir arbeiten weiter an der Optimierung der Anlage, aber die Ergebnisse zeigen bereits jetzt, dass wir mit unserer Lösung eine leistungsfähige Alternative zum klassischen Vierseiter haben“, hebt er hervor.

Der Schlüssel zu mehr Flexibilität

Bei der Entwicklung von Roboteranlagen ist Knittel Glas keine Herausforderung zu groß. Derzeit arbeiten die Automatisierungsexperten daran, in den Dreh- und Wenderoboter einen Barcodeleser zu integrieren, sodass mittels Scanner sämtliche Daten einer Scheibe erfasst werden und der Messroboter entfallen kann. Ein weiterer Entwicklungsschritt könnte die Moblität der Roboter sein, die als autonome Transportfahrzeuge flexibel in der Produktion einsetzbar sind. „Wir leben von der Kreativität der Glasindustrie und greifen überall dort an, wo es Probleme gibt“, fasst Günther zusammen.