EU-Projekt Mem4win Das Fenster der Zukunft ist multifunktional

Das Fenster der Zukunft soll besser isolieren, Energie liefern und den Energieeintrag in den Raum steuern. Gleichzeitig soll es Funktionen übernehmen wie Beschattung, Lichtlenkung, Beleuchtung und Schallreduktion. Geht nicht? Geht doch, wie das Projekt Mem4win zeigt.

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    © Holzmann Medien
    Zwischenergebnis des Projekts Mem4win: ein Fassadenexponat mit Vierfach-Iso, 1,6 Millimeter dünnen Scheiben sowie integrierten OLEDs und Solarkollektoren
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    © Lisec
    Geeignet für Dünnglastechnologien: Mit VPL von Lisec lassen sich u.a. OPV-Module und OLEDs diffusionsdicht in ein Glas/Glas-Laminat einkapseln.

In dem von der EU geförderten Projekt Mem4win (abgekürzt für Membranes for Windows, Membrane für Fenster) entwickeln koordiniert von Lisec zwölf Unternehmen aus Industrie, Wissenschaft und Forschung eine neue Isolierglas-Einheit für die Vierfach-Verglasung mit ultradünnen Glasmembranen. Diese soll als rahmenloses, zu öffnendes Fenster für die direkte Anwendung in der Fassade verwendbar sein. Die Ziele sind hochgesteckt: Der Wärmedurchgang soll im Vergleich zu bisher erreichten U-Werten um die Hälfte reduziert werden, auf 0,3 W/m2K. Durch den Einsatz von vorgespanntem Dünnglas soll das Gewicht der Fenster um 50 Prozent (!) sinken – und: Obwohl die einzelnen Gläser bei Weitem dünner sind als bei vergleichbaren Fenstern, soll die Lärmdämmung um zirka 20 Prozent besser werden.

Smart durch funktionelle Schichten

Darüber hinaus ist es das Ziel des Projekts, unterschiedliche Funktionen modular in die neue Vierfach-Isolierglaseinheit zu integrieren:

  • Mikrospiegel für Sonnenschutz und Tageslichtsteuerung (Uni Kassel)
  • organische Photovoltaik (OPV) zur Stromerzeugung (Belectric OPV)
  • Solarkollektoren für die thermische Energieerzeugung (Energy Glas)
  • organische Leuchtdioden (OLEDs) für die künstliche Beleuchtung (Philips)

„Im Fall von Vierfach-Isolierglas stehen acht Glas­oberflächen für Beschichtungen zur Verfügung. Man hat mehr Möglichkeiten, diese mit AR-, Low E- oder eben funktionellen Schichten zu versehen“, sagt Lisec-Entwickler Markus Jandl. Die meisten funktionellen Schichten sind nach seinen Angaben sehr feuchte- sowie sauerstoffempfindlich. Um eine lange Lebensdauer zu erreichen, müssten sie gegen diese Umwelteinflüsse abgekapselt werden. „Durch die Verwendung von diffusionsdichten Materialien wie Glas und Butyl für die Randversiegelung anstelle von Kunststoffen lässt sich eine um das 700-Fache bessere Wasserdampfdiffusionsdichtheit erreichen“, erläutert Jandl. Lisec hat ein neues Vakuumlaminierverfahren für die Kapselungstechnologie entwickelt, die bei der Produktion von PV-Modulen bereits zum Einsatz komme und speziell im Hinblick auf Smart Glass-Anwendungen großes Potenzial habe.

Bei dem Projekt Mem4win wird laut Jandl an der Isolierglasaußenscheibe die OPV einlaminiert, um z.B. Energie für den autarken Fensterantrieb oder die Mikrospiegel zu gewinnen. „Eine Stromversorgung zum Fenster hin ist nicht erforderlich“, sagt der Entwickler. Die OLEDs werden in die Isolierglasinnenscheibe einlaminiert und beleuchten den Innenraum. Die Mikrospiegel im SZR dienen zur Licht­lenkung bzw. Beschattung. Für die transparenten Stromzuleitungen zu den Mikrospiegeln bzw. -ableitungen von den PV-Zellen ist es geplant, Graphen einzusetzen. Damit ließen sich teure Rohstoffe wie Silber oder Indium-Zinnoxid ersetzen, die bislang für die Herstellung transparenter, leitfähiger Schichten nötig waren.

Scheibenaufbau mit Dünnglas

Eine wesentliche Rolle bei der Umsetzung des Projekts Mem4win spielt der Vierfach-Scheibenaufbau mit Dünnglas. „Dünnglas ist ja mehr eine Membran als eine Scheibe. Das ermöglicht die Aufnahme der Klimalasten im Glas und eine Entlastung des Randverbunds“, erläutert Andreas Mader von Lisec. Erst dadurch seien Elementbreiten von mehr als 50 Millimeter möglich. Für eine zusätzliche Entlastung des Randverbunds sorgen flexible Abstandhalter. Tests beim ift Rosenheim hätten bestätigt, dass das Vierfach-Isolierglas bei Verwendung von Dünnglas und flexiblen Abstandhaltern trotz 72 Millimeter Paketdicke Gasleckraten von nur 0,6 Prozent im Jahr aufweist. Diese Werte seien mit herkömmlichem Zweifach-Isolierglas nur schwerlich erreichbar.

Freie Sicht durch AR-Beschichtung

Um die Membranfunktion zu erreichen, weisen die inneren Gläser laut Mader eine Glasdicke von weniger als zwei Millimeter auf. Durch einen asymmetrischen Isolierglasaufbau mit einer dickeren Außen- und einer dünneren Innenscheibe lasse sich ferner eine wesentlich bessere Fassadenoptik erzielen: Die Klimalasten werden nach innen abgeleitet. „Mit einem SZR von 20 Millimeter und einer Argon-Füllung erreichen wir einen Ug-Wert von 0,3 W/m²K“, fasst Mader zusammen. Ein g-Wert von mehr als 50 Prozent und eine Lichttransmission von mehr als 75 Prozent seien möglich. An den Positionen 2, 4 und 6 des Scheibenaufbaus sind Low E-Schichten aufgebracht. Um den Lichttransmissionsnachteil einer zusätzlichen Scheibe aufzuheben, lassen sich die restlichen Flächen laut Mader mit AR-Beschichtungen versehen und die Lichttransmission um bis zu 20 Prozent erhöhen. In naher Zukunft sollen diese beidseitig beschichteten Gläser für Glasdicken von weniger als zwei Millimeter am Markt erhältlich sein.

Wegen der großen Durchbiegung der Membranscheiben – hervorgerufen durch die Klimalasten – müssen die Gläser laut Mader eine erhöhte mechanische Festigkeit aufweisen. Außerdem würden durch die Low E-Beschichtungen an der Glas­oberfläche Temperaturen von bis zu 80 Grad Celsius entstehen, so dass das Glas eine erhöhte Temperaturwechselbeständigkeit aufweisen müsse. „Mit thermisch vorgespannten Gläsern lassen sich beide Belastungsfälle bestens abdecken“, betont Mader. Mit der Luftkissen-Vorspanntechnologie von Lisec lassen sich nach seinen Angaben zwei Millimeter dünne Gläser auf ESG vorspannen. Die Glasdicken von nur 0,9 Millimeter seien thermisch behandelbar, um eine erhöhte Biegezugfestigkeit und Temperaturwechselbeständigkeit zu erreichen. „Durch das Luftkissen wird die Glasoberfläche nicht berührt, wodurch beidseitig beschichtete Gläser vorspannbar sind und keine optischen Verzerrungen auftreten.“

Dünnglas im Dreifach-Iso

Die Vorteile von Dünnglas finden laut Mader bereits mit zwei Millimeter dicken, thermisch vorgespannten Gläsern im Dreifach-Isolierglas Anwendung: „Das Projekt Mem4win zeigt, dass sich diese Vorteile durch die Verwendung noch dünnerer Gläser (zum Beispiel mit 0,9 Millimeter Dicke) verstärken lassen.“ Damit so dünne Gläser verwendet werden dürfen, sei allerdings eine Anpassung der Norm notwendig.