Gastkommentar von Prof. Dr.-Ing. Jens Schneider "Das Argument der schlechteren Wirtschaftlichkeit greift zu kurz."

Die geplante Neufassung der DIN 18008-1 in puncto Sicherheitsglas wird kräftig diskutiert. Lesen Sie, welchen Standpunkt Prof. Dr.-Ing. Jens Schneider von der TU Darmstadt vertritt.

Prof. Dr.-Ing. Jens Schneider ist Leiter des Instituts für Statik und Konstruktion der TU Darmstadt und stellvertretender Obmann des Normenausschusses DIN 18008: Glas im Bauwesen – Bemessungs- und Konstruktionsregeln. - © Kober

Die geplante Neufassung der DIN 18008-1 wurde besonders in einem Punkt mit den Verbänden kontrovers diskutiert: Ist Sicherheitsglas auch unterhalb einer (Brüstungs-)höhe generell erforderlich? Hierzu gab es Bedenken, insbesondere zu wirtschaftlichen Aspekten, die im Normenausschuss intensiv beraten wurden. Aktuell wurde nach Abwägung aller Aspekte aus Sicherheit und Wirtschaftlichkeit folgende Formulierung gefunden: "Frei und ohne Hilfsmittel zugängliche Vertikalverglasungen sind auf der zugänglichen Seite bis mindestens 0,80 m über Verkehrsfläche mit Glas mit sicherem Bruchverhalten auszuführen." Der Begriff Brüstungshöhe wurde dabei nach den Anmerkungen aus den Verbänden bewusst vermieden.

Es soll dem Umstand angemessen Rechnung getragen werden, dass Glas in Menge und Größe zunehmend in Vertikalverglasungen eingesetzt wird, z.B. als bodentiefe Verglasung. Mit den bisherigen Regelungen besteht eine große Diskrepanz zwischen absturzsichernden Verglasungen und sonstigen leicht zugänglichen Vertikalverglasungen, an die keinerlei Anforderungen gestellt werden, obwohl sie leicht zu Bruch gehen können, z.B. durch Stoßeinwirkungen, und erhebliche Schadensfolgen auslösen können. Diese Regelung hat sich übrigens in ähnlicher Form auch in Österreich seit Längerem bewährt.

Erfahrungen aus der Praxis

Auch aus meiner eigenen Erfahrung – als Schüler und Student habe ich in einer Glaserei mitgearbeitet und bin jetzt auch als Sachverständiger tätig – gab und gibt es immer wieder Probleme mit dem Bruch solcher Verglasungen, z.B. großen Hebeschiebetüren, die in keiner Unfallstatistik zu finden sind. Natürlich gibt es aus verschiedenen Regelwerken, z.B. den Technischen Regeln für Arbeitstätten (ASR), den Unfallverhütungsvorschriften und den DGUV-Regeln bereits Forderungen nach Sicherheitsglas. Jedoch greift aus Sicht der Mehrheit des Normenausschusses das Hauptargument der schlechteren Wirtschaftlichkeit im Privatbereich und schlechten Verfügbarkeit von Wärmeschutz-Beschichtungen zu kurz, wenn gleichzeitig die Verglasungen immer größer und zahlreicher werden und ganze Außenwände ersetzen.

In der Norm abstrakte Regelungen zum Gefährdungspotential zu treffen, das sich aus der Nutzung und der konkreten Einbausituation ergibt, wäre grundsätzlich begrüßenswert, steht aber im Zielkonflikt mit einer gerade aus dem Handwerk immer wieder geforderten eindeutigen Regelung. Aus meiner Sicht könnte dies nur mit der Einführung von Schadensfolge-Klassen für Gläser gelingen, die aktuell auf europäischer Ebene diskutiert werden. Bei einer solchen Bewertung könnten auch die Glasgrößen mit berücksichtigt werden, jedoch müsste der verantwortliche Planer oder Handwerker dann dem Bauherrn auch transparent mögliche Schadensfolgen darstellen.

Schadensfolge-Klassen als Lösung?

Arbeiten wir also weiter an innovativen Lösungen sowohl in der Normung als auch bei den Produkten, z.B. mit Dünnglas als Sicherheitsglas und integrativen Lösungen aus Fenster und Verglasung. Beides bietet noch viel Potential für Verbesserungen – ebenso wie bei der Einführung der Regelungen zu Überkopfverglasungen und zu absturzsichernden Verglasungen lebt der Glasbau von Veränderungen und hat sich damit in den vergangenen Jahren nicht schlecht entwickelt.