Normen, Richtlinien und Verordnungen für das Bauwesen Wann sind Regeln der Technik eigentlich allgemein anerkannt?

Der Umgang mit dem Bauproduktenrecht, die Anwendung von Normen und der Inhalt des neuen Bauvertragsrechts – wer bei diesen Themen noch Unsicherheit zeigte, war am Ende des Praxisforums von ö.b.u.v. Sachverständigen Gerhard Riegler auf dem aktuellen Stand.

Praxisforum in Langenbruck: Die zirka 20 Teilnehmer hören sich die Ausführungen von Prof. Christian Niemöller zum neuen Bauvertragsrecht an. - © Metzger

In welchem Verhältnis stehen Bauordnungsrecht und die Bestimmungen des EU-Binnenmarkts? Wie verpflichtend ist die CE-Kennzeichnung von Bauprodukten und welche Bestimmungen gibt es? Nachdem ö.b.u.v. Sachverständiger Gerhard Riegler vor zwei Jahren eine Fortbildungsveranstaltung zum Thema Bauproduktenrecht mit mehr Fragen als Antworten verlassen hatte, entschied er sich, selbst ein Seminar zu organisieren. Mit zirka 20 Teilnehmern – von Architekten über Sachverständige bis hin zu Bauunternehmen und ausführenden Betrieben – und hochkarätigen Referenten fand dieses nun in Langenbruck nahe Ingolstadt statt. Vorträge zu Bauvertragsrecht und Normungswesen rundeten das Praxisforum ab.

Bauprodukt an der Schnittstelle

Dr. Christian Hofer, stellv. Leiter des für das Bauordnungsrechts zuständigen Referats 24 im Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr, sowie Dipl.-Ing. Georg Feuchtgruber, im selben Ministerium Referent für die Marktüberwachung harmonisierter Bauprodukte, gingen in ihren Vorträgen auf das Verhältnis von EU-Bauproduktenrecht und nationalem Bauordnungsrecht ein. Wie sie betonten, befindet sich das Bauprodukt an einer delikaten Schnittstelle: Während die EU über Bauproduktenverordnung (BauPVO) und harmonisierte Normen den freien Warenverkehr im EU-Binnenmarkt regelt, sind die Mitgliedsstaaten auf nationaler Ebene für die Bauwerkssicherheit zuständig und geben u.a. in Bauordnungen und Technischen Baubestimmungen entsprechende Anforderungen an die Errichtung von Bauwerken vor.

„Aufgrund des untrennbaren Zusammenhangs zwischen Bauprodukt und Bauwerk müssen beide Systeme kompatibel sein“, sagte Hofer. Teilweise Inkompatibilität führe bislang allerdings zu erheblichen Problemen. Zum Beispiel wenn auf nationaler Ebene Produktleistungen gefordert sind, die in den harmonisierten Produktnormen nicht als wesentliche Merkmale enthalten sind und dementsprechend nicht deklariert werden können.

Was tun bei lückenhaften Normen?

Die deutsche Praxis, zusätzliche nationale Produktanforderungen für CE-gekennzeichnete Produkte zu stellen, hatte der EuGH im Jahr 2014 bekanntlich für nichtig erklärt: Der freie Warenverkehr werde dadurch eingeschränkt. Das Urteil bezog sich auf die damals gültige Bauproduktenrichtlinie, die mittlerweile von der BauPVO abgelöst ist. Der Kern des Urteils ist laut Hofer aber übertragbar. Seiner Auffassung nach sind bei „lückenhaften Normen“ in begründeten Fällen zusätzliche verwendungsbezogene Produktregeln durchaus möglich – und zwar wenn sie von erheblicher Relevanz sind, um die Bauwerksanforderungen zu erfüllen. Zusatzanforderungen seien hingegen ausgeschlossen, falls mit den harmonisierten Verfahren und Methoden lediglich kein Einverständnis in technischer Hinsicht bestehe.

Bauwerksbezogene Anforderungen und besondere Einbaubestimmungen sind in den länderspezifischen Bauordnungen bzw. Technischen Baubestimmungen aufgeführt. Georg Feuchtgruber riet den am Bau Beteiligten, sich Klarheit zu verschaffen, welche Anforderungen Bauprodukte in den jeweiligen konkreten Einzelfällen bauaufsichtlich erfüllen müssen, welche Anforderungen jenseits der bauaufsichtlichen Regeln sinnvollerweise an Bauprodukte zu stellen sind bzw. gestellt sind, und ob die Bauprodukte diese hinreichend erfüllen. Ist die Leistungserklärung zu einer erforderlichen Produktleistung nicht möglich, kann der Hersteller freiwillige Angaben machen. Diese müssen durch prüffähige technische Dokumentationen belegt sein.

Warum Auftragnehmer das Bauvertragsrecht lieben

Rechtsanwalt Prof. Christian Niemöller von der Rechtsanwaltsgesellschaft SMNG stellte den Teilnehmern vor, welche Neuerungen sich durch die Reform des Bauvertragsrechts zum 1. Januar 2018 ergeben haben. Der Unternehmer sei nun vielfach besser gestellt, sagte der Fachmann – nicht nur durch den sog. Lieferantenregress ( GFF berichete). Beispiel Nachträge und Nachtragsvergütung (§ 650b,c BGB): Der Unternehmer sei zwar verpflichtet, auf Wunsch des Bestellers ein Angebot über die Mehr- oder Mindervergütung zu erstellen – im Fall einer Änderung des vereinbarten Werkerfolgs aber nur, wenn ihm die Ausführung der Änderung zumutbar ist; nur unter dieser Voraussetzung kann der Besteller bei Uneinigkeit diese Änderung auch anordnen. „Der Gesetzgeber will damit die Ausschreibungskultur fördern“, sagte Niemöller. „Im Idealfall soll es gar keine Nachträge geben.“

Für das ausführende Unternehmen kommt es noch besser: Die Höhe des Vergütungsanspruchs darf es nämlich unabhängig von der Urkalkulation nach den tatsächlich erforderlichen Kosten ermitteln – mit angemessenen Zuschlägen für allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn. „Der Auftragnehmer wird gezielt gestärkt und soll durch Nachträge nicht in Verluste getrieben werden“, erläuterte Niemöller. Was sicherlich nicht freundschaftsstiftend sein wird: Kommt es zu Streitigkeiten über die Höhe der Nachtragsvergütung, kann der Unternehmer über eine einstweilige Verfügung während der Erbringung der Bauleistung eine Anzahlung in Höhe von 80 Prozent seines Nachtragsangebots durchsetzen. „Der Gesetzgeber geht also davon aus, dass kein Auftragnehmer ein um mehr als 20 Prozent überteuertes Angebot vorlegt“, schmunzelte der Fachanwalt.

Abnahmefiktion und Zustandsfeststellung

Auch bei der Abnahme (§ 640 BGB) gibt es Neuerungen. Als abgenommen gilt ein Werk demnach auch, wenn der Unternehmer dem Besteller eine angemessene Frist – Niemöller spricht von zwölf Werktagen – zur Abnahme gesetzt hat und der Besteller die Abnahme innerhalb dieser Frist nicht unter Angabe mindestens eines Mangels verweigert hat. Verweigert der Besteller die Abnahme unter Angabe von Mängeln, hat er auf Verlangen des Unternehmers an einer gemeinsamen Feststellung des Zustands des Werks mitzuwirken (§ 650g BGB).

Bleibt der Besteller einem vereinbarten oder einem von dem Unternehmer innerhalb einer angemessenen Frist (sechs bis acht Werktage) bestimmten Termin zur Zustandsfeststellung unbegründet fern, so kann der Unternehmer die Zustandsfeststellung auch einseitig vornehmen. Ist das Werk dem Besteller verschafft und in der Zustandsfeststellung ein offenkundiger Mangel nicht angegeben, wird vermutet, dass dieser nach der Zustandsfeststellung entstanden und vom Besteller zu vertreten ist.

Welchen Status hat eine Norm?

Gerhard Riegler selbst ging zum Abschluss auf das Verhältnis von Normen und allgemein anerkannten Regeln der Technik ein. Eine Regel der Technik kann nach seinen Angaben nur dann allgemein anerkannt sein, wenn drei Bedingungen gleichzeitig erfüllt sind: Sie muss sich in der Wissenschaft als theoretisch richtig durchgesetzt haben, sie muss in den betroffenen Fachkreisen bekannt sein und sie muss sich in der Praxis bewährt haben. Die Konsequenz: „Die Neuerscheinung einer Norm kann in der Regel nur schwer die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben. Eine Norm ist eine Empfehlung, welche sich erst als anerkannte Regel der Technik etablieren soll“, sagte Riegler.

Was ihn darüber hinaus ärgert: Es werde zunehmend über funktionierende und schadenfreie Baulösungen gestritten, welche, wegen der Abweichung von der DIN-Norm, vermeintlich falsch und schadenträchtig sein könnten. Dabei skizziere eine Norm nur einen möglichen Mindeststandard, mit dem der Werkerfolg erreichbar sei. „Probleme entstehen immer dann, wenn im Streitfall Prinzipenreiter die Praxis kompromisslos an der Theorie messen wollen“, sagte Riegler. Innovationen würden dadurch verhindert.

Greift der Staat in die Normung ein?

In seinem Vortrag sparte Riegler nicht mit Kritik an einer interessengesteuerten Regulierungswut. Sei die Grundidee der DIN-Normen noch sinnvoll gewesen, reiche heute ein Blick auf die Internetseite des Normungsinstituts, um festzustellen: Unternehmen haben durch den Sitz in einem DIN-Gremium die Möglichkeit, ihre „technischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mitzugestalten“. Unterstützung für seine Position hatte Riegler zuvor schon von Christian Hofer („Normung muss man sich leisten können“) bekommen. Er stellte in Aussicht, dass in Zukunft der Staat wieder intensiver bei der Normung mitwirke. Ebenso soll den am Bau Beteiligten wie Sachverständigen und ausführenden Unternehmen eine gewichtigere Rolle zukommen.