Nachgefragt Dr. Albert Rössler: „Chemie ist nicht Lego“

Der österreichische Lackhersteller hat eine neue Wasserlackfabrik eingeweiht. F&E-Leiter Dr. Alber Rössler spricht im GFF-Interview über die Vorteile des neuen modularen Produktionsverfahrens, selbstheilende Beschichtungen und die Trends der Zukunft.

Dr. Albert Rössler ist Leiter für Forschung & Entwicklung bei Adler. - © Adler

GFF: Herr Dr. Rössler, Adler hat die nach eigenen Angaben modernste Wasserlackfabrik Europas eingeweiht. Was zeichnet die neue Fertigung aus?
Dr. Rössler: Was unsere Branche betrifft, ist die neue Fertigung in Europa derzeit sicherlich einzigartig. Durch das modulare Produktionsverfahren haben unsere Verarbeiter zwei wesentliche Vorteile: Dazu gehört die gleichbleibend hohe Qualität; wir produzieren automatisierter und prozessstabiler. Zudem sind wir schneller: Der Kunde profitiert von kürzeren Durchlaufzeiten und einer dementsprechend kürzeren Wiederbeschaffungszeit für sein Produkt.

Wie sieht das Verfahren konkret aus?
Es gibt Module, die man hinzufügen kann, um aus einem Produktstamm heraus eine entsprechende Vielfalt zu generieren. Das kann ein Glanzgrad sein, das können Farbtöne sein oder das kann die Viskosität betreffen. Eigenschaften lassen sich durch das Modul-Verfahren intelligent kombinieren, ohne jedes Produkt von Grund auf neu fertigen zu müssen.

Lacke nach dem Baukasten-Prinzip. Das klingt einfach.
Das Verfahren darf man sich nicht so vorstellen wie Lego. Während man Legosteine einfach zusammenbauen kann, gibt es in der Chemie sehr viele Wechselwirkungen, die man berücksichtigen muss. Die Produktarchitektur, die hinter dem Verfahren steckt, erfordert sehr viel Know-how. Sie bietet uns letztendlich aber den Vorteil, die Kundenwünsche – jeder möchte ja gerne sein individuelles Produkt mit Losgröße 1 – effizient abzubilden. Das können wir hier realisieren.

Mit der neuen Fertigung setzt Adler ein Zeichen für Wasserlacke. Wie ist die Akzeptanz dieser Produkte?
Wir bieten unseren Kunden im Wasserlackbereich ein Vollsortiment. Grundsätzlich haben wir zu jedem Lösemittellack das entsprechende wasserbasierte Gegenstück, welches der Verarbeiter nutzen kann. Im Fensterbau ist es so, dass nahezu die gesamte Branche heute Wasserlacke anwendet. Die Systeme bringen im Vergleich zu den alten Alkydharzlacken auch Vorteile mit sich: Sie trocknen schneller. Der Fensterbauer ist somit produktiver.

Es gibt aber wahrscheinlich auch Branchen, die zurückhaltender sind.
Bei den Schreinern/Tischlern gibt es oft noch Vorbehalte und Berührungsängste. Von den Leistungseigenschaften sind Wasserlacke den lösemittelbasierten Lacken aber absolut ebenbürtig, bei den Endeigenschaften der Oberfläche gibt es keine Unterschiede. Der Anwender profitiert vielmehr von einem umweltfreundlichen, nachhaltigen Produkt, das sich feuerungefährlich lagern lässt. Auf der Fertigungsseite muss der Verarbeiter sich natürlich auf Wasserlacke umstellen, d.h. er braucht Spritzgeräte aus Edelstahl, er muss den passenden Leim verwenden etc. Das ist ein gewisser Aufwand – der aber handelbar ist.

Sind das Möbel- und Fenstersegment zwei strikt voneinander getrennte Bereiche bei Adler?
Lacke für die Möbel- und Fensterindustrie stellen jeweils völlig andere Anforderungen: Während im Innenbereich die Systeme wesentlich härter sein können, brauchen wir im Außenbereich die Elastizität für Temperaturschwankungen oder das Witterungsverhalten. Es stehen auch jeweils ganz andere Normen hinter den beiden Bereichen. Nichtsdestoweniger ist es der große Vorteil von Adler, dass wir beide Felder kennen, beide Technologien bespielen und so auch gegenseitig voneinander lernen. Wir haben immer wieder Technologien aus dem Möbelsegment, die wir in die Fensterbranche bringen – und umgekehrt. Das Fenster ist ja heute vermehrt gewissermaßen ein Möbelstück. Insbesondere bei Holz/Alu-Elementen lassen sich viele Dinge umsetzen, die man aus der Möbelbranche kennt.

Mit der SH-Technologie hat Adler die erste selbstheilende Fensterbeschichtung entwickelt. Wie revolutionär ist die Technologie?
Bei Holzlacken für den Außenbereich ist die SH-Technologie definitiv eine Revolution. So eine Entwicklung gibt es vielleicht alle zehn Jahre einmal, rein technologisch gesehen ist das ist ein Riesenschritt nach vorne. Der Kunde erhält gewissermaßen ein Sorglos-Paket bei Hagelschlag oder mechanischen Verletzungen. Er gewinnt Zeit für die Wartung: Das Wartungsintervall wird hinausgezögert, indem der Inhalt der Mikrokapseln kleine Risse versiegelt. Die Verbindung zum Holz wird geschützt, es kommt zu keiner Feuchteunterwanderung, Folgeschäden wie Abblättern oder Pilzbefall werden verhindert – großartige Produktvorteile, die es vorher nicht gab.

Welche Trends beobachten Sie aktuell in der Branche?
Es bewegt sich derzeit viel im Bereich der Lackiereffizienz. Dabei geht es sowohl um Material- als auch um Energie- und Prozesseffizienz. Entsprechende Fragen drehen sich beispielsweise um den Schleifprozess, die Auftragsmenge und die Anzahl der Schichten. Auch Funktionalitäten werden neben Farbe und Haptik immer wichtiger. Sehr viel tut sich momentan auch in der Applikationstechnik mit ganz neuen Technologien wie dem Excimer-Strahler. UV-härtende Technologien sind in der Möbelbranche sehr stark verbreitet, wären aber auch für den Fensterbau hochinteressant. Ferner werden uns alle Themen der Digitalisierung fordern, im Kundenkontakt und in der Abwicklung. Völlig neuartige Innovationen beim Service und bei den Geschäftsmodellen werden die Branche verändern.

Nicht zuletzt mit der Fridays for Future-Bewegung kommt das Thema Nachhaltigkeit wieder ins Bewusstsein der Menschen. Macht sich das bei Ihnen bemerkbar?
Der Holzfenstermarkt entwickelt sich stabil. Nachhaltigkeit ist dabei ein großes Thema. Wir bekommen von unseren Kunden viele Rückmeldungen, dass das ein Thema ist, das die Menschen beschäftigt: Nachwachsende Rohstoffe, biobasierte Systeme und emissionsarme Lacksysteme sind gefragt. Wir selbst sind in den vergangenen Jahren mit einem Cradle to Cradle-Konzept auf den Markt gegangen. Die Idee ist, dass ein Produkt am Ende seines Lebenszyklus wieder in den natürlichen oder technischen Kreislauf zurückgeführt wird, indem es kompostiert oder recycelt werden kann – ganzheitliches Denken sozusagen, so wie unsere Unternehmensphilosphie.