An die 150.000 offene Stellen gibt es im Handwerk, zudem fehlen bis zu 20.000 Auszubildende – jedes Jahr. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) fordert, vermehrt Flüchtlinge an den Arbeitsmarkt heranzuführen. Lesen Sie einen Erfahrungsbericht über Chancen und Grenzen.
Viele Unternehmen in Deutschland engagieren sich für die Integration von Geflüchteten. Laut einer Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) haben zirka zehn Prozent der Betriebe bereits Erfahrungen mit Menschen gemacht, die im Zuge der Flüchtlingswelle seit 2014 nach Deutschland gekommen sind. Knapp dreieinhalb Prozent aller Unternehmen haben demnach schon mindestens einen Geflüchteten eingestellt. Dazu zählt die Glaserei Saul im niedersächsischen Braunschweig: „Im Frühjahr 2018 waren wir auf der Suche nach einem Auszubildenden und haben ein Stellengesuch bei der Agentur für Arbeit geschaltet“, erinnert sich Geschäftsführer Oliver Voth. Kurze Zeit später sei die Bewerbung eines Flüchtlings aus Afghanistan ins Haus geflattert. „Beim Vorstellungsgespräch hat er einen guten Eindruck gemacht, deshalb haben wir uns für eine Zusammenarbeit entschieden“, berichtet Voth. Der Einstellungsprozess und die Kommunikation mit den Behörden seien – nicht zuletzt dank der Unterstützung des Integrationsberaters – reibungslos verlaufen. Mittlerweile verstehe der Jugendliche, der seit etwa anderthalb Jahren in Deutschland lebt, relativ gut Deutsch. Zwar sei er noch zurückhaltend, was das Sprechen angehe, aber das verbessere sich zusehends. „Wir sind zufrieden“, sagt Voth über seinen Schützling, der dank des Lehrvertrags für drei Jahre in Deutschland geduldet ist.
Gute Zwischenprüfung abgelegt
Dass Integration gelingen kann, zeigt auch die Erfolgsgeschichte der Firma Jakob Rottler aus dem baden-württembergischen Freiburg. Der Fachbetrieb für Rollläden, Sonnenschutz, Fenster und Torbau hat vor zirka zwei Jahren einen Geflüchteten aus Kamerun eingestellt, zunächst als Praktikanten, später als Helfer. Der 27-Jährige sei handwerklich sehr geschickt, berichtet Inhaber Heinrich Abletshauser. 2017 habe er ihn schließlich als Auszubildenden unter Vertrag genommen. „Inzwischen hat er seine Zwischenprüfung absolviert und dabei besser abgeschnitten als der zweite Auszubildende in unserem Betrieb“, ergänzt er. Der Jugendliche lebe in einer kleinen Mietwohnung ungefähr 20 Kilometer vom Arbeitsort entfernt. „Sein Ziel war es immer, aus der Sammelunterkunft herauszukommen“, sagt der Firmenchef, der auch Präsident des Bundesverbands Rollladen + Sonnenschutz (BVRS) ist.
Acht Nationalitäten im Betrieb
Auch TMP Fenster + Türen mit Hauptsitz im thüringischen Bad Langensalza setzt auf eine multikulturelle Firmenkultur. Zurzeit sind dort acht Nationalitäten vertreten. Neben Fachkräften aus Rumänien, Polen, Russland, Syrien, Vietnam und dem Iran beschäftigt das Unternehmen einen Praktikanten aus Eritrea. Und wie sind die Erfahrungen? „Sehr unterschiedlich“, resümiert Bernhard Helbing, geschäftsführender Gesellschafter. Vor drei Jahren habe er für vier Monate einen Flüchtling aus Serbien eingestellt. Nach Ablauf des befristeten Arbeitsvertrags habe er diesen nicht verlängern können: „Leider fehlte ihm die Motivation und es hat zwischenmenschlich nicht geklappt“, äußert er. Der junge Mann habe oft Bauchschmerzen gehabt und eine Mitarbeiterin musste die schweren Bauteile bewegen, während er zuschaute.
Zum Teil kämen die Flüchtlinge mit zu hohen finanziellen Erwartungen in die Betriebe, sagt Helbing. Bei einem Geflüchteten aus Syrien beispielsweise habe es arbeitstechnisch keine Einwände gegeben, aber er habe zu hohe Gehaltsansprüche gestellt. Am Ende sei aufgrund fehlender Deutschkenntnisse eine geförderte Ausbildung im kaufmännischen Bereich nicht möglich gewesen. Sehr positiv hat Helbing einen Geflüchteten aus dem Kosovo in Erinnerung. Seine Kinder waren bereits fest in Deutschland integriert. Er habe seine Probearbeitszeit erfolgreich absolviert und sich mit allen gut verstanden. „Leider musste er wieder zurück in seine Heimat, weil der Kosovo im Oktober 2015 zum sicheren Herkunftsland erklärt wurde“, bedauert Helbing
Von Hürden und Hindernissen
Generell wünschen sich Betriebe eine bessere Zusammenarbeit mit Ausländerbehörden – zum Teil seien die Bearbeitungszeiten für Anträge auf Arbeitsaufnahme zu lang, heißt es. Als mögliche Hürde kann sich auch der tägliche Anfahrtsweg erweisen. Die meisten Flüchtlinge besitzen weder Führerschein noch Auto und in ländlichen Regionen sind öffentliche Verkehrsmittel oft nur eingeschränkt nutzbar. „Fahrgemeinschaften mit Kollegen sind nicht immer realisierbar, auch wenn wir hier unterstützend agieren“, sagt Helbing. In größeren Städten dagegen scheinen die An- und Abreise weniger schwierig zu sein: „Unser Auszubildender fährt 30 Minuten mit dem Zug, dann steigt er in die Straßenbahn um, die direkt vorm Betrieb hält“, sagt Firmenchef Voth aus Braunschweig. Das bestätigt Abletshauser aus Freiburg: „Die Anreise aus der 20 Kilometer entfernten Nachbargemeinde ist kein Problem.“ Zurzeit sei der Geflüchtete außerdem dabei, seinen Führerschein zu machen.
Geduld, Zeit und klare Regeln
Laut Bundesagentur für Arbeit gingen im September 2018 zirka 289.000 Geflüchtete einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, weitere 72.000 Personen hatten einen Minijob. Die mit 31,6 Prozent vergleichsweise geringen Quoten zeigten, dass die Integration in den Arbeitsmarkt einen langen Atem braucht. Oft erschwerten geringe bzw. mangelnde Sprachkenntnisse sowie fehlende Berufsabschlüsse die schnelle Integration in Beschäftigungsverhältnisse.
„Wenn wir nicht nur punktuell Erfolge erzielen wollen, muss der Sprachausbildung mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden“, fordert Helbing. Nur so sei Integration langfristig möglich. Darüber hinaus müssten den Geflüchteten Themen wie Arbeitsweise, Gleichberechtigung, Disziplin, Grundgesetz, Kultur und christliche Religion vermittelt werden. „Dabei tragen auch wir als Unternehmer ein hohes Maß an Verantwortung“, ergänzt er. Sein Fazit lautet: „Flüchtlinge können – wenn richtig organisiert – dazu beitragen, dass sich die Situation in Hinblick auf den Fachkräftemangel entschärft.“ Allerdings benötige man in dieser Angelegenheit viel Geduld, Zeit und klare Regeln.