VFF-Jahreskongress Inside 16./17. Mai, Bad Homburg „Wenn Tschorn kommt, werde ich Präsident.“

200 Teilnehmer aus der Fenster- und Fassadenbranche sind zum VFF-Kongress nach Bad Homburg gekommen. Sie erlebten eine würdige Verabschiedung von Ulrich Tschorn nach13 Jahren als Geschäftsführer und hörten Interessantes u.a. zum Thema Digitalisierung.

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    Achim Hannott (Öffentlichkeitsarbeit, PR), RA Prof. Christian Niemöller (Baurechtler Kanzlei SMNG), Oskar Anders (Vorsitzender Gütegemeinschaft), die früheren Präsidenten Bernhard Helbing (TMP) und Franz Hauk (F.R. Hauk Stahl- und Leichtmetallbau), Detlef Timm (Fensterbau Timm), seit 2016 im höchsten Ehrenamt des Verbands, und (v.li.n.re.) der heutige Geschäftsführer Frank Lange verabschiedeten Mr. VFF Ulrich Tschorn (3. v.li.) und seine Frau Anita.
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    Prof. Winfried Heusler: „Roboter können vieles besser – aber eben nicht alles.“
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    Christian Anders: „Selbstlernende Maschinen sind in der Branche Mangelware.“
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    Nicolai Jörg (li.) von Willi Jörg Fenster- und Türenbau nahm von AK Marketing-Vorsitzendem Helmut Meeth den Marketingpreis des Verbands für die Nachhaltigkeitsstrategie des baden-württembergischen Fensterbaubetriebs entgegen.

Letzteres zu transportieren ist nicht einfach; es erschwert die deutsche Tradition des Namedroppings: also dafür zu sorgen, dass Begriffe die Wenigsten noch hören können, ehe die meisten sie schlüssig konkret erklären könnten. So differenzierte Schüco-Senior Vice President und Honorarprofessor Prof. Winfried Heusler zwischen der Generierung bspw. eines mp3-Files aus einem Film (engl. digitization) und der Nutzung digitaler Technik etwa in Form von Blockchains zur Schaffung von Pay on demand-Modellen im Internet (engl. digitalization) – eine Unterscheidung, die das deutsche Wort „Digitalisierung“ nivelliert. Freilich habe das Schreiben einer PDF-Datei aus einem Datensatz weder intellektuell noch in der Wertschöpfung etwas mit Plattformen wie Uber zu tun. Auch was die Adaption der Segnungen der Robotik angeht, wägte der Hochschullehrer ab, eine Vielzahl der Tätigkeiten in Produktion und Verwaltung seien leichtsam automatisierbar: „Aber die Führung sollte beim Menschen liegen, der Roboter ein Assistent sein“. Wenn es um emotionale, soziale Intelligenz geht, sei dieser „auf lange Zeit weit unterlegen“, im Gegensatz zu sensomotorischen und kognitiven Fertigkeiten, wo die Maschinenwesen schon heute Überragendes leisteten. Umso mehr müsste auf diese menschlichen Skills ein Schwerpunkt in der Schule gelegt werden: „Wer da nichts zu bieten hat“, sagte Heusler, „der kann einpacken.“ In eine ähnliche Kerbe schlug am Rednerpult Christian Anders, der darauf blickte, auf welchem Level die Branche in Sachen Digitalisierung angekommen sei. Bauteile und Produkte seien durchaus heute schon identifizierbar, ob mittels RFID-Chip oder aufgedruckter Magnetstreifen. Der nächste Step sei es, dass die Bauteile kommunizierten, um für den Menschen in der Systembetreuung etwa Wartungsbedarf erkenntlich zu machen, ehe Reklamationen ins Haus flattern. Der Metallbau-Unternehmer verdeutlichte dies an einem Beispiel: „Wenn der Drehtürantrieb seine 5.000 Zyklen hinter sich hat, generiert er eine Email und weist darauf hin, dass in spätestens drei Wochen eine Wartung ansteht.“ Die Vorteile sind klar: reduzierter Verwaltungsaufwand, geringeres Versagensrisiko und gute Planbarkeit der Wartungsarbeiten, am Ende ein zufriedener Nutzer. Dagegen gibt es laut Anders in der Welt des Fensters bisher kaum selbstlernende Systeme.

Veränderungsbereitschaft ist das Schlüsselwort

Welche Schlussfolgerungen zog der Insider aus den prognostizierten Auswirkungen auf die Branchenstrukturen? Erstens: Wenn digitalisierte Prozesse in den Unternehmen Einzug halten, dann wird das einen Impact auf Hierarchien und Entscheidungswege haben; das bedeutet, die Hierarchien würden flacher, der Einzelne erhält mehr Verantwortung übertragen und muss Vertrauen spüren. Zweitens: Die Fensterleute tun gut daran, ihr Fachwissen in die Gestaltung der digitalisierten Prozesse einzubringen: „Sonst geben uns andere die Prozesse vor, und das ist nicht gut für uns.“ Ein Stück weit sei das Phantom Digitalisierung ein Platzhalter für beliebige, neue Phänomene, die in immer kürzerer Zeit auf uns einwirken. Am Ende, lautete die Synthese von Anders’ Vortrag, erwächst daraus die Notwendigkeit zur Veränderungsbereitschaft.

Dass diese mehr denn je im Bereich des Personals gefordert ist, erfuhren die Teilnehmer am zweiten Tag, an dem der Fachkräftemangel im Fokus stand. Eindrucksvoll war, was Handwerksunternehmer Martin Rossmanith aus Heidelberg schilderte: Weil die Gymnasialquote zwischenzeitlich im Einzugsbereich bei 80 Prozent liege und kaum mehr Ausbildungskandidaten für das Handwerk übrig blieben, hatte er mit anderen Unternehmern das Experiment gewagt, interessierte junge Menschen aus dem zu Beginn der Dekade stark geschwächten Spanien mit vielen Arbeitslosen nach Deutschland zu holen. Nach professioneller Vorbereitung selbst auf diplomatischem Weg und der expliziten Ermunterung seitens des spanischen Staates sowie nicht unbeträchtlichen Investitionen u.a. in monatelange Sprachkurse absolvierten zwei Spanier bei Rossmanith die Ausbildung. „Wir haben keine qualitätsvolle geregelte Zuwanderung“, sagte der Unternehmer, der in einem zweiten Step gezielt den Kandidaten aus dem Kosovo die Chance zur Ausbildung gab bzw. gibt.

13 Jahre Uli Tschorn

Emotionaler Höhepunkt war die Verabschiedung von Ulrich Tschorn nach 13 Jahren als Geschäftsführer. Dabei glückte Bernhard Helbing, dem früheren Präsidenten, ein Überraschungscoup, als er unversehens die Bühne stürmte und seine Bedingung verriet, sich 2006 wählen zu lassen: „Wenn Tschorn kommt, werde ich Präsident.“ Der Rest ist Geschichte, Verbands- und Branchengeschichte, aus der Schlaglichter wie die RAL-Montagebibel – von Helbing so apostrophiert – in die Zeit des VFF-Geschäftsführers Taschorn fallen. Lesen Sie im Folgenden das Interview mit dem aktuellen Präsidenten Detlef Timm, der ebenfalls seine Entscheidung für das Ehrenamt mit dem hartnäckigen Werben des Verbandschefs erklärt. Oder, wie der Berliner auf der Bühne sagte: „Uli, Du bist immer ein Verkäufer geblieben.“