Nach DIN 18008 lauert mit DIN 1279 das nächste Problem Was die 0,8 Meter-Regelung mit den Kratzern bei ESG zu tun hat

Nachdem Dipl.-Ing. (FH) Eberhard Achenbach in der vergangenen Ausgabe bereits gegen die 0,8 Meter-Regelung der überarbeiteten DIN 18008 argumentiert hatte, legt er jetzt in einem Punkt nach. Es geht dabei um die Kratzeranfälligkeit bei ESG und die visuelle Beurteilung der Qualität.

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    Visuelle Beeinträchtigungen: Typische und nicht vermeidbare Streulichteffekte über Haarkratzer bei ESG (wenn ausgeleuchtet)
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    Die Zunahme von ESG durch die 0,8-Meter-Regelung dürfte laut Achenbach Streitigkeiten über sog. Haarkratzer massiv befördern.
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    Auch solche visuellen Probleme nehmen laut Achenbach zu: Wie hat man den ESG-Stempel anzuordnen? Waagerecht oder senkrecht – und muss deswegen die Einheit aufwändig ausgetauscht werden?

In der vorangegangenen Ausgabe der GFF wollte ich darauf hinweisen, dass mit der Überarbeitung der DIN 18008 in den Teilen 1 und 2 nicht mehr alles so geplant und ausgeführt werden kann, wie man es im Handwerk seit Jahrzehnten abgewickelt hat. Nun kann man sagen: Alles ändert sich – oder wie der Gelehrte es ausdrückt: „Panta rhei“ (Heraklit). Denn es kommt einem so vor, dass man bewährte Handhabungen und den Umgang mit dem Werkstoff Glas so beeinflusst und normativ steuert, dass eine klare und eindeutige Regelung und Aussage nicht mehr möglich erscheinen, wenn man sich beispielsweise mit den Inhalten der Neuerarbeitung der beiden Normenwerke DIN 1279 und DIN 18008 befasst.

Neben der DIN 18008 und der wesentlichen Änderung, dass die 0,8 Meter-Regelung eingeführt werden soll – was hoffentlich noch zu verhindern ist – soll über die DIN 1279 Glas im Bauwesen – Mehrscheiben-Isolierglas, Teil 1, außerdem der altbewährte visuelle Beurteilungsstandpunkt verändert werden bzw. wurde bereits verändert. Um nicht falsch verstanden zu werden: Es geht hier nicht um die Verteidigung des Standpunkts. „Nur das Seiende gibt es, das Nichtsein ist nicht“ (Parmenides) – oder anders ausgedrückt: Man sollte doch an Bewährtem festhalten.

Worum geht es und warum die Aufregung?

Was ist in den vergangenen fünf Jahren passiert und warum hört man den Anregungen und den entdeckten Widersprüchen nicht zu, die man bereits des Öfteren vorgetragen bzw. darauf hingewiesen hat? An dieser Stelle soll nochmals auf den Fragenkatalog der vergangenen GFF -Veröffentlichung verwiesen werden, den man beantworten könnte, bevor die 0,8 Meter-Regelung eingeführt wird. Es ergibt sich eine Vielzahl von bisher unbeantworteten Fragen, die bleiben, wenn der Text in der Normenreihe DIN 18008 so übernommen wird. Ein Auszug:

  • Wie soll sich der Fensterhersteller verhalten, wenn er die Baugegebenheiten nicht kennt, er die Elemente vorfertigen muss und Angaben fehlen?
  • Wie soll sich der Glaser verhalten, wenn er eine künstlerische Glasveredelung zu berücksichtigen hat, z.B. Glasschmelztechnik, Echtantikglas, Bleiverglasung, Oberflächenveredlung etc.?
  • Muss dann jedes Mal die Zustimmung im Einzelfall (ZiE) erfolgen?
  • Darf man noch Gussglaserzeugnisse, gewölbte Glaseinheiten, Schmelzgläser etc. verwenden?
  • Wie beurteilt man die Haarkratzeranfälligkeit bei ESG?

Die Krux mit der visuellen Beurteilung

Hervorzuheben sind der Hinweis auf die bekannte Kratzeranfälligkeit bei Einscheiben-Sicherheitsglas (ESG) und die sich daraus ergebende visuelle Beurteilung, wenn solche Glaserzeugnisse eingebaut und genutzt werden. In der DIN 18361 Verglasungsarbeiten der VOB/C wurde bei der Überarbeitung der folgende, bis dahin gültige und hilfreiche, Absatz ersatzlos gestrichen bzw. nicht mehr aufgenommen: „Floatglas muss in seiner Oberfläche plan, klar, durchsichtig, klar reflektierend und verzerrungsfrei sein. Vereinzelt auftretende, nicht störende kleine Blasen und unauffällige Kratzer sind zulässig.“ Insbesondere der letzte Satz war hilfreich für den glasverarbeitenden Betrieb, wenn wieder einmal eine Endverbraucherin bzw. ein Endverbraucher in unmittelbarer Aufsichtsbetrachtung – und mit Ausleuchtungshilfsmittel und Markierungszetteln bewaffnet – auf kleinste Bläschen und/oder Kratzer verwies. Wie soll man sich dann verhalten?

„Weil nun der Hinweis auf die Zulässigkeit von kleinen, nicht störenden Blasen sowie unauffälligen Kratzern fehlt, wird es in Zukunft zu nicht enden wollenden Streitigkeiten kommen, welcher Bewertungsmaßstab gelten soll bzw. was zuvor vereinbart worden ist oder nicht.“

Was waren das doch bis 2016 für argumentativ gute Zeiten, wenn man auf die Glaserhandwerksnorm DIN 18361 verwies und dann diesen Satz zitieren konnte. Dies hat häufiger als gedacht geholfen, viele Betriebe konnten darob eine Einigung erzielen. Das ist nun vorbei. Die DIN 18361 in der neuen VOB (Ausgabe 2016) beinhaltet diesen Hinweis nicht mehr. Es wird bei der Auflistung entscheidender Normen unter Absatz 2.1, Glaserzeugnisse, die DIN 1279, Teil 1, genannt. In diesem Normenteil soll also die visuelle Qualität beschrieben sein, nach der der Einbauzustand zu beurteilen ist? Was indes nicht beachtet wird: Dass man mit dem Bewertungs- und Betrachtungsabstand von drei Meter die übliche Praxis von zirka einem Meter bei der Anwendungsrichtlinie „Beurteilung der visuellen Qualität von Glas für Bauwesen“ ausgrenzt. Als Konsequenz muss man wissen, dass man drei Beurteilungskriterien geschaffen hat:

  • drei Meter Betrachtungsabstand nach der DIN 1279, Teil 1 – wenn dies so kommen wird
  • einen Meter Abstand nach der Verarbeiterrichtlinie
  • direkte Aufsicht aus der Sicht der Verbraucher, als gewöhnliche Nutzung

Da nun der Hinweis auf die Zulässigkeit von kleinen, nicht störenden Blasen sowie unauffälligen Kratzern fehlt, wird es in Zukunft zu nicht enden wollenden Streitigkeiten darüber kommen, welcher Bewertungsmaßstab gelten soll bzw. was vereinbart worden ist oder nicht.

Streitfälle bahnen sich an

Da mit der Zunahme der Verarbeitung von Einscheiben-Sicherheitsglas (ESG) zu rechnen ist, soll darauf hingewiesen werden, dass im Abschnitt 3.1.3 der DIN 18361 die DIN 18008 in den Teilen 1 bis 5 als anerkannte Verarbeitungsregelung aufgelistet ist. Somit ist diese Normenreihe Vertragsbestandteil und, wie bereits beschrieben, Grundlage bei der Beurteilung von Rechtsstreitigkeiten – genauso wie die DIN 1279.

Es wird, wenn man die 0,8 Meter-Regelung so einführt, zu Auslegungs- und Widerspruchsdiskussionen kommen, wie man die Inhalte zu verstehen und umzusetzen hat. Der Einsatz von ESG wird diese Haarkratzer-Problematik befördern, so dass es zu ähnlichen, nicht lösbaren Streitigkeiten kommen wird wie beim Versuch, die Quadratur des Kreises vorzunehmen. Wenn Unbedarfte über den Sinn und die Deutung der Kreisquadratur diskutieren und einem dann vermitteln wollen, dass man den rechnerischen Zusammenhang der Quadratur des Kreises schon lösen könne und werde, so sollte man doch daran denken, dass eine Lösung nur über den Kompromissweg möglich ist.

Wer Visionen hat, sollte zum Arzt

Die beiden Regelwerke DIN 1279, Teil 1, und DIN 180008 sollten vor der endgültigen Veröffentlichung noch inhaltlich besprochen und geändert werden, damit es nicht zu unkontrollierbaren Stimmungen und Streitigkeiten kommt. Zum Schluss vielleicht noch der Hinweis auf das Jerusalem-Syndrom: Man sollte nicht seinen Illusionen, Selbsttäuschungen und/oder Visionen verfallen sein, wenn man sich mit Normeninhalten auseinanderzusetzen hat; nach dem Motto: Es wird schon gutgehen und es wird allen am Bau Beteiligten helfen, wenn man die Inhalte erst einmal veröffentlicht hat.