Gurkenfenster auslagern oder selbst produzieren? Vielfalt ist nicht immer das Optimum

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Wünscht sich der Kunde ein Fenster, dessen Form aus dem rechten Winkel fällt, muss der Fensterbauer knallhart kalkulieren, wenn er selbst Hand anlegen will. Oder er holt Fachleuteins Boot, die sich auf Sonderelemente spezialisiert haben.

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    Viele runde Fenster schmücken die Firmenfassade von Ventana. Das Unternehmen fertigt Sonderfenster und -türen aus Kunststoff.
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    Mitglied der Geschäftsleitung bei Hermann-Blösch, dem Zulieferpartner für Sonderlösungen: Harald Bürzle-Hermann
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    Stefan Schwanekamp ist geschäftsführender Gesellschafter bei Ventana, dem Vollsortimenter in Vreden.
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    Auf Sonderformate aus Holz ist Hermann-Blösch in Weißenhorn spezialisiert.

Erinnern Sie sich noch an das Gurkenthema, das vor Jahren das Europäische Parlament beschäftigte? Von 1988 bis 2009 gab es in der Europäischen Union eine Regelung, deren Sinn darin bestand, für Gurken eine bestimmte Optik festzusetzen. Länge, Durchmesser und Form waren exakt definiert. Klar, dass die so genannte Gurkenverordnung seinerzeit die Gemüter der Europäer erregte.

Weit weniger hitzig, dafür aber fachlich umso facettenreicher verhält sich die Diskussion, wenn es um sog. Gurkenfenster geht. Schon vor Jahren prägte Harald Bürzle-Hermann, vom Fenstersonderbaubetrieb Hermann-Blösch, diesen eingängigen Begriff für alle Fenstersonderanfertigungen fernab des rechten Winkels. Das Weißenhorner Familienunternehmen, aber auch der Fenstersonderbaubetrieb Ventana in Vreden müssten sich komplett neu erfinden, wenn es etwas Vergleichbares im Fensterbau gäbe: nämlich ein für alle verbindliches Normfenster. Aber so ist es natürlich nicht. Im Fensterbau zählt Vielfalt.

Auf Aufwand und Ertrag achten

Ganz gleich, ob oval, rund oder dreieckig; Ungewöhnliche Formen und Aufbauten machen den Unterschied und zeigen, was in der Branche heute technisch machbar ist. Wobei wir beim eigentlichen Thema wären. Denn längst nicht alle Fensterbauer wagen sich selbst an kniffelige Sonderanfertigungen heran. Und das aus gutem Grund: Es zählt sicher zu den schwierigsten Aufgaben, die Fensterbauer in Zusammenhang mit Sonderformen zu meistern haben, variabel, effizient und dabei rentabel zu produzieren. Viele Faktoren spielen zusammen. Allen voran zählen das handwerkliche Können, die personelle Kapazität eines Betriebs, die Fertigungsorganisation, aber eben auch die Möglichkeiten, die der Maschinenpark so hergibt. „Natürlich sind handwerkliche Herausforderungen für den Fensterbauer eine gute Sache. Wenn jedoch Sonderformate nicht vernünftig kalkulierbar sind, sollte sich ein Betrieb schon fragen, ob es sinnvoll ist, dabei selbst Hand anzulegen“, rät Geschäftsführer Bürzle-Hermann, dessen Betrieb Sonderformate für Fenster und Türen aus Holz und Holz/Aluminium herstellt. Daher sei es ratsam, jeden Sonderbau betriebswirtschaftlich auf Herz und Nieren zu prüfen. „Wer diese Frage für sich ehrlich beantwortet, wird häufig zu dem Ergebnis kommen, dass die Eigenfertigung von Sonderelementen, bei geringen Stückzahlen, am Ende ein Minusgeschäft ist und im schlimmsten Fall mit teuren Reklamationen einhergehen kann, weil dafür die Praxis und Routine fehlen.“

Investition in Material und Personal

Stefan Schwanekamp, geschäftsführender Gesellschafter von Ventana, sieht das ganz ähnlich: „Den Fenstersonderbau in Bezug auf gebogene Fenster auszulagern, ist für jeden Fensterhersteller sinnvoll. Die Anforderung an technische Gegebenheiten sind mittlerweile sehr gestiegen, so dass sich nur große Stückzahlen und damit eine kontinuierliche Auslastung der Maschinen rechnen.“ Für den spezialisierten Anbieter von Sonderfenstern und -türen aus Kunststoff sind die ausgefallenen Formate wie Oval-, Kreis- und Schrägfenster Produktionsschwerpunkt und damit Standard. „Selbst die Maschinen, die Software und auch das Werkzeug für Biegevorgänge kommen bei uns nicht von der Stange, sondern sind firmenimmanente Entwicklungen. Selbstverständlich sind unsere Mitarbeiter speziell geschult.“ Unterm Strich rät zwar auch Schwanekamp nicht grundsätzlich davon ab, in Eigenregie Sonderlösungen zu fertigen, allerdings sollten Aufwand und Ertrag dabei nicht in Schieflage geraten. Denn die Marktsituation, der Preisdruck und nicht zuletzt bürokratische Hürden machten es für viele Betriebe schon schwierig genug. In dieser Gemengelage sei es besser, sich auf seine Stärken in Produktion, Montage und der individuellen Kundenberatung zu fokussieren, empfiehlt ebenfalls Bürzle-Hermann. Vor diesem Hintergrund sollten etwaige Investitionen in Maschinen wohlüberlegt sein. „Muss eine Maschine alles können oder ist es unter Umständen doch besser, eine einfachere, aber dafür schnellere Technik einzusetzen, die zwar nicht jede Variante ermöglicht, aber dafür dazu geeignet ist, die jeweiligen Hauptprodukte konkurrenzfähig zu produzieren?“ Ein klarer Fall ist nach Ansicht Schwanekamps das Biegen von Profilen: Angesichts der Kammernolympiade der zurückliegenden Jahre stünde dieses Thema nicht ernsthaft zur Diskussion. „Jeder Fensterbaubetrieb lagert heute dieses Segment aus, weil nur noch hochgradig spezialisierte Fachbetriebe die modernen und sehr komplexen Profile bewältigen.“

Service und Lieferzeiten

Sowohl Ventana als auch Hermann-Blösch unterstützen Fensterbauer von der Konstruktion bis zum fertigen Angebot. Den zeitlichen Ablauf des Gesamtprojekts gefährdet die externe Fertigung von Sonderfernstern nicht, im Gegenteil. „Gerade kleinere Betriebe kennen meiner Erfahrung nach ihre Grenzen sehr gut“, berichtet Schwanekamp. Für diese sei es ratsam, ihre Kapazitäten für rechtwinklige Elemente zu bündeln und ihre Produktpalette mithilfe von Sonderbau-Fachbetrieben zu erweitern. Daher kämen Verzögerungen bei der Wiedereingliederung in den Auftrag kaum vor. „Grundsätzlich ist es das Ziel, den Ablauf des Gesamtauftrags nicht zu stören. Auf der anderen Seite kann ein Sonderelement nicht immer in derselben Zeit fertiggestellt werden wie ein rechteckiges Fenster“, erklärt im GFF -Gespräch Bürzle-Hermann. Daher sei eine enge Absprache mit dem Betrieb wichtig, um den Endkunden nicht unnötig warten zu lassen. Bei Hermann-Blösch seien Lieferzeiten von drei Wochen üblich. Ausgeliefert wird direkt mit firmeneigenen Fahrzeugen ohne eine Beschriftung. „Schließlich treten wir als die verlängerte Werkbank des Handwerkers auf“, sagt er.

Bei großen Kunden mit hohem Auftragsvolumen bietet Ventana feste Lieferzeitvereinbarungen, die an den Produktionstakt der Kunden angepasst sind. „Grundsätzlich geben wir direkt in der Auftragsbestätigung eine feste Lieferzeit an, und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine Kleinstmenge oder einen Großauftrag handelt“, erklärt Schwanekamp. Feste Lieferrouten ermöglichten es, auch einzelne Fenster oder kleine Stückzahlen zum Kunden auszuliefern. Für Großkunden würden Bestelltage abgestimmt, damit die Aufträge genau in deren Produktionsablauf eingebaut werden können.Digitalisierung auch im Sonderbau

Industrie 4.0 und digitale Transformation – auch im Fenster- respektive im Sonderbau ist die Zeit nicht stehen geblieben. Bürzle-Hermann sagt: „Sicherlich gibt es Branchen, für die das Thema noch mehr im Vordergrund steht. In der Fertigungssteuerung und Produktion jedoch ist die Arbeit in weiten Teilen nur noch digital zu bewältigen.“ Bei Ventana, erläutert Stefan Schwanekamp, wüssten die Kunden besonders die Möglichkeit zu schätzen, Schablonen für Fenster mit unregelmäßigen Radien zu digitalisieren, was in der Konsequenz Präzision und Qualität in der Produktion bedeute. Zudem erhielten die Kunden, die ein Fenster selbst verglasen wollten, nunmehr die exakten Glasmaße. Auf diese Weise könne sich der Kunde eine Papierschablone sparen. „Am Ende des Tages“, ergänzt Harald Bürzle-Hermann, „bleibt der Fensterbau jedoch ein Handwerk, in dem Kunden betreut werden und vor Ort montiert wird.“ Das sei zwar nicht immer einfach, aber nach wie vor „der wichtigste Bereich, um sich im Markt vom Wettbewerb und von der Konkurrenz aus dem Import abzuheben“, ist er überzeugt. Ähnlich argumentiert Schwanekamp: Eine vollständige Automatisierung sei im Sonderbau nicht möglich, es werde immer zu großen Teilen Handarbeit bleiben.

Sonderelemente – ein Ausblick

„Insgesamt nimmt der Sonderbau im Bereich Bogenfenster, Schrägfenster etc. ab, da sich die Architektur in eine andere Richtung entwickelt. Der Anteil der Sonderfenster bei Neubauten sinkt von Jahr zu Jahr, während auf der anderen Seite die Nachfrage nach Hebeschiebe-Türen zunimmt“, erläutert Stefan Schwanekamp. Doch mit dem Trend hin zu immer größeren, breiteren und höheren sowie damit auch teureren Elementen kämen gleichzeitig höhere Anforderungen an die EDV, das Fertigungs-Know-how und nicht zuletzt an die Komplexität der Profil- und Beschlagsysteme auf unsere Branche zu.

Fazit: Einfacher wird’s nicht

„Fenster in hoher Qualität mit angemessenem Aufwand herzustellen, wird in Zukunft also tendenziell komplizierter, nicht einfacher“, resümiert der Unternehmer.