Hintergrund Unternehmer dringend gesucht – nur Produktivität ist zu wenig

Die glasstec hat reichlich Gelegenheit zu einer Bestandsaufnahme geboten. Wir haben uns mit einem Branchenurgestein unterhalten und sagen, warum ESG-H in absehbarer Zeit verschwinden wird. Und wieso dann für einige der Ofen aus sein könnte – ein Hintergrundbericht zur Messe.

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    Durchblick: Als ich einmal bei Lisec eine Schleifscheibe wechselte...
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    Autoklavenfreies Laminieren – hier eine Versuchsanlage am Stand von Robert Bürkle
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    Melanie Eggerstedt (Bohle) erklärt am Laufwagen das Handling von MasterTrack FT.

„Vielen in der Branche mangelt es bei uns heute an Mut und Kompetenz.“ Wumms! Der Mann, der diesen Satz formuliert, möchte nicht genannt werden. Er kennt die Glasszene seit Jahrzenten, aus unterschiedlichen Perspektiven – und wir nehmen ihm trotz des Statements die ehrliche Sorge um seine Branche und deren Wettbewerbsfähigkeit ab. Was meint er genau? Ein gutes Beispiel ist das Schauspiel, das sich seit geraumer Zeit bei den, auf den ersten Blick, gefragten und gewünschten Mediengläsern verfolgen lässt. Auch dem GFF-Reporter ist nicht verborgen geblieben, dass die Wegbereiter – z.B. aus dem Lager der Bauchemiker – nach teils spektakulär präsentierten Versuchsaufbauten, wie sie etwa auf den GPD 2016 zu sehen waren, in der jüngsten Vergangenheit der Agonie anheimgefallen zu sein scheinen. Hinter vorgehaltener Hand ist klar zu vernehmen, woran es hapert: „Die Technik ist fertig. Aber um größere Formate herzustellen, bedarf es jetzt entsprechender Investitionen in erste Produktionsanlagen.“ Die kommen nicht; dabei ist man versucht, zu fragen: Wenn nicht jetzt, wann dann in solche Zukunftschancen investieren?

Phantomthema Digitalisierung

Das erinnert ein wenig an die Ausrede, die Handwerkern oft vorgehalten wird: Jetzt kann ich mich nicht fortbilden, wo ich kaum Zeit finde, all die Aufträge abzuarbeiten! Lightglass aus Österreich und Halio von AGC sind technisch unterschiedliche, interessante Wege zum Ziel einer interaktiven Fassade. Auffällig ist, auch wenn die kolportierten 1.000 Euro pro Quadratmeter abseits der Leuchttürme ein Mondpreis sind: Die Reflexe in der Branche sind immer die gleichen; wer nichts zum Thema in der Pipeline hat, rüffelt den Mitbewerb ob der vermeintlich nicht vorhandenen Aussichten auf Markterfolge.

Ähnlich ist das beim Phantomthema Digitalisierung. Die Überlegungen reichen selten bis zur Produktseite, erstrecken sich fast ausschließlich auf die Herstellprozesse beim Verarbeiter/Veredler. „Und dann“, sagt unser Gesprächspartner achselzuckend, „wundern sich alle, wenn Firmen, die konsequent in Automatisierung investiert haben, aber dennoch mit dem Brot- und Butter-Produkt Iso alleine keine Existenzberechtigung mehr haben, trotz der Anstrengungen pleitegehen.“ Zwar stellten die diversen Kooperationen in der Gruppe ein komplettes Sortiment dar; als reiner Isolierglashersteller indes Beratungskompetenz aufzubauen, hält unser Insider für nicht zielführend: „Was sollen diese Leute machen? Dem Architekten brauche ich kein Iso vorzustellen, das kennt er seit Jahrzehnten.“ Dazu passt, dass in A+W die Firma gerade dem Forum Glastechnik im VDMA beigetreten ist, deren Geschäftsführer Peter Dixen einst (9/16; 122) in GFF gefordert hatte, Themen wie die Nachverfolgbarkeit von Glaslieferungen nicht nur in Monstermärkten wie den USA und Russland in die oftmals auf die Smart Factory beschränkten 4.0-Überlegungen einzubeziehen; wie Lasertechnik und Softwarekonzepte Scheiben entlang des Lebenszyklus von der Fertigung bis zu Maintenance-Aufgabenstellungen im Gebäude identifizier- und handelbar machen, bildet Hegla gerade innerhalb der eigenen Gruppenarchitektur ab: Am Ende weist der Rechner via z.B. RFID – bei Globals vom Schlage eines Gartner längst Realität – die schadhaften oder erneuerungsbedürftigen Gläser aus, schickt vorab die Daten an den Produzenten und sorgt so für planbare Prozesse an den Megatall Buildings dieser Welt – und irgendwann vielleicht auch an Standardbauten. A propos Maintenance: Die im GFF-Praktikercheck zur glasstec 2016 gezeigte VR-Datenbrille ist diesmal vielfach zu sehen, die Branche bereitet sich auf den grassierenden Fachkräftemangel vor. Da schließt sich womöglich der Kreis zum Bottleneck, wie es auch die sexy Smart Glazing-Visionen behindert: „Die Unternehmen sind heute gefordert, hybride Aufbauten zu gestalten; in Wahrheit jammern aber viele schon, wenn sie ein Sprossengitter einbauen sollen.“

ESG-H vor dem Aus?

Und dann das Dauerthema Preis: De facto gibt es belastbare Hinweise, dass vielfach gerade die, die fachöffentlich Schnäppchenmentalität rügen, selbst Mehrwertleistungen zum Standardtarif anbieten. Nicht zuletzt mit dem Hinweis auf schaltbare LC-Technologien hat Robert Bürkle fast unbemerkt seinen Prozess Inline Flat Lamination (IFL) bzw. in EasyLam IFL die Produktionstechnik für das autoklavenfreie Verfahren vorgestellt; die Vorbereitung der eigentlichen Lamination erfolgt unter Vakuum in einer Flachpresse, die Taktzeit soll bei weniger als zehn Minuten liegen. Spontan fallen einem da Debatten um die Haltezeiten für die Temperaturen beim Heißlagerungsverfahren (HST) für ESG-H ein; damit könnte es in Kürze vorbei sein. Wie GFF auf der Messe en passant erfuhr, läuft ein Forschungsvorhaben, in dem bis Ende 2019 Detektionsmöglichkeiten für Nickelsulfideinschlüsse erprobt werden; das Ziel ist es, mit entsprechenden Kamerasystemen die potenziellen Spontanbruchverursacher so zweifelsfrei zu identifizieren, dass sich der Heat Soak Test im Idealfall erledigt hätte: zum Nachteil der Anbieter entsprechender Ofentechnik. Wie dem auch sei: Details wie das komfortable Handling des Glas-Schiebetürsystems Bohle MasterTrack FT sprechen für sich; ohne Produktnutzen verpufft die beste Produktivität.