Beurteilung der visuellen Qualität von Glas im Bauwesen Unter welchen Bedingungen ist Glas frei von Mängeln?

Die DIN EN 1279, Teil 1, und die Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas für das Bauwesen schaffen in ihrer jeweils jüngsten Ausgabe unterschiedliche Beurteilungskriterien. Dipl. Ing. (FH) sowie ö.b.u.v. Sachverständiger Eberhard Achenbach erläutert Hintergründe und Folgen.

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    Visuelle Beeinträchtigungen: Typische und nicht vermeidbare Streulichteffekte über Haarkratzer bei ESG (wenn ausgeleuchtet)
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    Saugerabdruck: nur bei Ausstrahlung zu erkennen
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    Punktförmige Veränderungen von außen betrachtet: bei direkter Aufsicht wahrnehmbar, von innen nach außen nicht
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    Haarkratzer: nur mithilfe der Markierung zu erkennen

Mit dem Ausgabestand Oktober 2018 sind zwei wesentliche Grundlagenarbeiten zur visuellen Beurteilung von Glas im Bauwesen erschienen. Es handelt sich um die Stoffnorm DIN EN 1279, Teil 1, Glas im Bauwesen mit Ausgabedatum Oktober 2018, und die von den Fachverbänden unterstützte und erarbeitete „Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas für das Bauwesen“, ebenfalls mit diesem Ausgabedatum. Beide Publikationen setzen die jahrzehntelange Grundlagenarbeit auf dem Gebiet der Qualitätsanforderungen an das Basisglaserzeugnis Float sowie an eingebautes Glas im Bauwesen fort.

Bewertung von Glasflächen im Lauf der Zeit

Ist damit dem subjektiven Qualitätsempfinden Genüge getan, entstehen so die gewünschte Klarheit und Sicherheit bei der Beurteilung von Glas im Bauwesen? Oder welche neuen und wesentlichen Herausforderungen bedeutet das für Verarbeiter, Gutachter, Endverbraucher, Hersteller sowie die Händler, die mit dem Werkstoff Glas im Bauwesen und in der Verarbeitung und Nutzung zu tun haben? Schließlich: Wie wird sich der betroffene Endverbraucher zukünftig verhalten?

Das eingebaute Isolierglas hat sich aus der Sicht der Endverbraucher – über die Jahrzehnte – von einem Bauteil Glas hin zum Kunst- und Gestaltungsobjekt Außenfassade bzw. Inneneinrichtung entwickelt und wird nach Willkür und Eigenempfinden bewertet. Als man anfangs der 1980er-Jahre gemeinsam in Fachkreisen das Thema der Bewertung von Glasflächen angegangen ist, da setzten es sich die Beteiligten zum Ziel, ausgehend von subjektiven Annahmen Vorgaben für einen Qualitätsstandard zu formulieren, der eine zunehmend objektive Auffassung und Annahme erzielen sollte.

Neue Herausforderungen durch Floatglas

Doch diese anfängliche Euphorie verblasste sehr schnell. In den Arbeitskreisen wurde fieberhaft danach gesucht, wie man die Qualität definieren sollte. Es war und ist bekannt gewesen, dass die Stoffnorm DIN 1249, Glas im Bauwesen, aus den 1970er-Jahren bei dem damals geläufigen Fensterglas (Ziehglas) Merkmale wie Schlieren, Blasen, Ziehspuren etc. klassifiziert hatte. Doch mit dem Aufkommen des planen Floatglases und der Ablösung des Ziehglases (Fensterglases) mussten neue Herausforderungen angenommen werden. Man hatte sich dann in den 1980er-Jahren helfen können und als Vorgabe das übernommen, was in der damals gültigen DIN 1279, Teil 3, Spiegelglas, vorformuliert war: „Spiegelglas muss in seiner Oberfläche plan, klar, durchsichtig, klar reflektierend und verzerrungsfrei sein. Vereinzelte, nicht störende kleine Blasen und unauffällige Kratzer sind zulässig.“ So wurde die Qualitätsvorgabe in die Glaserhandwerksnorm DIN 18361, Verglasungsarbeiten, in der VOB/C übernommen.

Nützliche Argumentationshilfe

Eine solche Formulierung half bei Auseinandersetzungen, wenn der Endverbraucher nach seinen eigenen Annahmen und Vorgaben die Glasoberfläche kontrollierte und die Abnahme verweigerte, weil er Blasen und/oder Kratzer oder Sonstiges vorfand. Mit dieser jahrzehntelangen Grundqualitätsvorgabe ließ sich argumentieren – und die Rechtsprechung hatte sich daran orientiert. Da nunmehr die Streitfrage der Abstände, der Lichtverhältnisse und/oder der Durchsichtsbetrachtung bzw. Aufsicht sowie Vormarkierung nicht geklärt und beschrieben war, wurde in der Vergangenheit die Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas für das Bauwesen erarbeitet.

Dieses Dokument war hilfreich und wurde auch bei Gerichtsauseinandersetzungen gerne übernommen sowie als Grundlage für die abschließende Qualitätsbeurteilung herangezogen. Der Richtlinieninhalt, der durch die Neufassung Oktober 2018 ersetzt wurde, orientierte sich an dem Gesetzestext sowie an der Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB).

Was ist unter „gewöhnlicher“ Nutzung zu verstehen?

Dort ist in Sachen der Gewährleistungsverpflichtung u.a. beschrieben: „Eine Leistung ist zurzeit der Abnahme frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Auftraggeber nach der Art der Leistung erwarten kann.“ Ein solcher Gesetzestext ist schwierig zu verstehen. Es bedarf der Interpretation und der Vereinfachung, diese Inhalte auszulegen und umzusetzen. Was ist denn „gewöhnliche“ Nutzung? Häufig werden bei der qualitativen Bewertung der Durchschnitt und/oder die „mittlere Art und Güte“ als Gewöhnlichkeit verstanden. Eine Markierung von bestimmten festgestellten Kratzern, Blasen, Interferenz-erscheinungen oder Saugerabdrücken bei direkter Sonnenbestrahlung ist allem Anschein nicht damit gemeint. Auch ist ein Badezimmer, bei dem die Glasfläche bei der Nutzung verhangen ist, anders gewöhnlich genutzt als eine Panoramaglasdurchsicht im Wohnzimmerbereich. In der Regel wird die Glasfläche bei der Durchsicht genutzt und erfüllt mit zirka 70 Prozent Funktionen wie Sonnen-/Wärmeschutz, Schallschutz, Einbruchhemmung, Alarmgebung etc. – und mit einem Anteil von zirka 30 Prozent Gestaltungsaufgaben wie Farbgebung, Planität und Klarheit.

2018 als Wendepunkt?

Es ist schwierig, die gewöhnliche Nutzung zu definieren. Dies ist aber von 1980 bis 2018 gelungen, da man die Erfahrung aus den Gerichtsverfahren auf die Tagesgeschäfte übertragen konnte. Auch fanden diese Richtlinien bis 2018 eine Grundlage in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zwischen Kaufleuten und Kaufleuten bzw. Kaufleuten und Verarbeitern. Das war die Vergangenheit und gilt oder galt bis heute. Ist nun alles vorbei und das Durcheinander komplett?

Zuerst einmal das Beruhigende: Es gibt eine Vielzahl von Bewertungskriterien für die visuelle Qualitätsbeurteilung. An oberster Stelle im judikativen und exekutiven Bewertungsumfang ist die Gewährleistungsdefinition mit dem bereits genannten „gewöhnlichen Nutzungshinweis“ gegeben. In den AGB sind die Details ausgearbeitet. Dabei geht man in der Regel von dem aus, was ein unbedarfter und unvoreingenommener Betrachter zu erwarten hat, wenn er die Raumnutzung zugrunde legt. Er blickt von innen nach außen in der Durchsicht.

Größerer Betrachtungsabstand in DIN EN 1279, Teil 1

Seit dem Jahr 2016 gibt es in der DIN 18361, Verglasungsarbeiten, der VOB/C nicht mehr den Hinweis, dass unauffällige Kratzer und Bläschen zulässig sind. Dafür verweist man, genauso wie in der Bauregelliste, auf die nun seit dem Oktober 2018 eingeführte und modifizierte Stoffnorm DIN EN 1279, Teil 1, Allgemeines, Systembeschreibung, Austauschregeln, Toleranzen und visuelle Qualität, und hier genauer auf den Abschnitt zur visuellen Qualität von Mehrscheiben-Isolierglas (MIG) in Anhang F (normativ). Darin werden – entgegen der bisher üblichen und gängigen Praxis – ein Betrachtungsabstand von mindestens drei Meter und eine Betrachtungszeit von bis zu einer Minute je Quadratmeter genannt. Dies bedeutet beispielhaft, dass man bei einer Glasfläche von drei mal zweieinhalb Meter (= siebeneinhalb Quadratmeter) die Glasfläche bis zu siebeneinhalb Minuten durchzubetrachten hat. Werden dabei und bei dem Abstand von drei Meter auffallende und störende Kratzer, Bläschen etc. erkannt, dann verwendet man die in der Norm aufgeführte Fehlertabelle und vergleicht den Ist-Zustand mit den normativen Vorgaben; dies zur DIN EN 1279, Teil 1. Parallel kam die von den Verbänden herausgegebene „Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas für das Bauwesen“ raus, um mehr Sicherheit zu geben und um die Qualität nach ästhetischen Gesichtspunkten zu beschreiben.

Richtlinie vs. DIN-Norm

Es findet sich in diesem Geltungsbereich und bei der Prüfung eine Abänderung des Betrachtungsabstands auf einen Meter. Man bezieht sich nicht länger auf die Glasfläche in Quadratmeter, sondern auf den laufenden Meter Glas. Man geht dabei von einer Betrachtungszeit von einer Minute aus. Beispiel: Bei einer Hebeschiebe-Tür mit der Gesamtbreite von fünf Meter bedeutet dies eine Betrachtungszeit von bis zu fünf Minuten bei der Durchsicht. „Von bis zu …“ – das entspricht nach mathematischen Regeln einer Zeitspanne von einer Sekunde bis zu 60 Sekunden.

Zudem wird in dieser Richtlinie im Geltungsbereich das Verbundsicherheitsglas (VSG) expressis verbis ausgeschlossen. Das heißt, Isoliergläser mit dem Einsatz von VSG lassen sich nach dieser Richtlinie nicht mehr beurteilen. So ist der Geltungsbereich zu lesen und zu verstehen. Wer legt nun fest, wie man in Zukunft mit den Widersprüchlichkeiten umzugehen hat? Soll man empfehlen, diese neuen Regeln in die AGB nicht aufzunehmen, bis man eine einheitliche und gemeinsame Regelung gefunden hat, einen Konsens bei Verbrauchern, Verarbeitern, Händlern, Herstellern und Fensterbauern? Oder soll man neue eigene Regeln erarbeiten, welche die gängige und die erfolgreiche Vergangenheits- und Gegenwartspraxis mit der Ein-Meter-Regelung – ohne Zeitangabe, Quadratmeter-Angabe und Bezug auf den laufenden Meter – umsetzen? Auch könnte man Isoliergläser bestehend aus VSG dann wieder mitbewerten.

Wie geht es weiter?

Abschließend ist der Hinweis erlaubt, dass es der judikativen Seite zuzuordnen ist, die Verhältnismäßigkeit und den Begriff wesentlicher bzw. unwesentlicher Mangel respektive Wandlung und Minderung zu klären bzw. zu definieren: „Ist die Beseitigung des Mangels für den Auftraggeber unzumutbar oder ist sie unmöglich oder würde sie einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordern und wird sie deshalb vom Auftragnehmer verweigert, so kann man die Vergütung mindern.“

Diese aus den aktualisierten Vorgaben resultierende Diskussion um die neuen Inhalte wird zeigen, ob sich die Gesetzesvorgabe „gewöhnliche Nutzung“ und/oder „unauffällige Kratzer und Blasen“ wieder anwenden lässt. Oder ob die DIN EN 1279, Teil 1, und die neue „Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas im Bauwesen“, Oktober 2018, sich doch so umsetzen und anwenden lassen; anderenfalls stünde der Branche alsbald eine Überarbeitung ins Haus.