Fassade 19, Augsburg Standsicherheit im Fokus

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Als fixer Termin im Jahreskalender von Fassadenspezialisten gilt die Fassadentagung in Augsburg. In dem Jahr standen die Fachvorträge zu den Themen Bemessung, Befestigung sowie Montage im Fokus, GFF fasst die wichtigsten Erkenntnisse daraus für Sie zusammen.

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    Die textile Membran des thyssenkrupp Testturms in Rottweil sieht nicht nur gut aus – sie reduziert auch die Querschwingungen des Turms.
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    Eine Präsenzveranstaltung kann dieses Jahr nicht stattfinden – eine Online-Session ist die passende Alternative.

Die Anforderung an die Standsicherheit einer Fassade ist elementar, auch bei hohem Eigengewicht der Bauteile, geringer Materialdicke, wechselnden Windlasten und komplexen Geometrien. Doch wie lassen sich diese teils erheblichen Anforderungen erfüllen? Wie erfolgt die Lastübertragung der oftmals tonnenschweren Fassadenbauteile auf das Tragwerk? Welche Rechenmodelle und Lastannahmen liegen der Bemessung der Verbindungsstücke und Verankerungsschrauben zugrunde? Und wie werden die rechnerischen Ergebnisse in der Praxis ausgeführt? Um diese Fragen ging es auf der Tagung Fassade 19, die das Institut für Bau und Immobilie (IBI) der Hochschule Augsburg Ende Februar ausrichtete. Mehr als 230 Gäste aus Wissenschaft und Lehre, Fassadenbau und -planung hörten sich die Fachvorträge der Referenten zum Thema „Die standsichere Fassade – Bemessung, Befestigung, Montage“ an.

Textilmembran verringert Querschwingungen

Holger Hinz, Teamleiter und Prokurist bei Werner Sobek Stuttgart, erläuterte zum Auftakt derTagung die besonderen Herausforderungen bei der Planung und Realisierung des 246 Meter hohen Testturms von thyssenkrupp in Rottweil. Besonders anspruchsvoll war nach seinen Angaben die Planung der textilen Membran, die den Turm über seine gesamte Höhe umkleidet. „Es galt nicht nur Fragen der Montage und der Windbelastung zu berücksichtigen, sondern auch Aspekte der Wartung, der Witterungsbeständigkeit etc.“, sagte Hinz. Hierfür seien zahlreiche Abstimmungsgespräche mit diversen Herstellern ebenso wie Materialbegutachtungen, Tests und Versuchsaufbauten erforderlich gewesen. „Eine Membran aus Stoff ist bisher noch nie in dieser Größe gebaut worden.“

Die Textilmembran des Testturms besteht aus einem PTFE-beschichteten Glasfasergewebe. Das Gewebe hat unterschiedliche Öffnungsgrade und Maschweiten – mit zunehmender Höhe verringert sich die Dichte des Gewebes. Die Textilmembran ist an sechs spiralförmig um den Turm verlaufenden Stahlrundrohren befestigt. Die Rohre verlaufen mit einem Abstand von 1,80 Meter zur Außenkante der Stahlbeton-Konstruktion. Neben der gestalterischen Funktion bietet die Textilverkleidung technische Vorteile. Zum einen sorgt die textile Verkleidung für Witterungsschutz. Sie verschattet die Betonstruktur und reduziert so die durch Sonneneinstrahlung induzierten, teilweise erheblichen Spannungen. Des Weiteren entsteht durch die spiralförmige Anordnung eine sog. Scruton-Wendel, ein strömungsstörendes Element. Diese beeinflusst die Wirbelablösung am Turm und verringert die Beanspruchung durch Querschwingungen um zirka 40 Prozent. Da die textile Verkleidung die Schwingungen nicht vollständig zu eliminieren vermag, wirkt diesen im Turminneren zudem ein Dämpfersystem (Schwingungstilger) entgegen.

„Die fallen doch immer runter“

Einen Überblick über mögliche Befestigungs- und Verankerungslösungen bei vorgehängten hinterlüfteten Fassaden stellte Dr.-Ing. Ralf Ruhnau, Sachverständiger für Betontechnologie und Präsident der Baukammer Berlin, vor. Er begann seinen Vortrag mit einer Anek­dote. „Vorgehängte Fassaden? Die fallen doch immer runter“, habe der Taxifahrer zu ihm auf dem Weg zum Veranstaltungsort gesagt. Warum diese Wahrnehmung in der Bevölkerung verankert ist, versuchte er im Anschluss zu klären. Seine Ansatzpunkte: Zum einen gehörten die Berechnung und die konstruktive Durchbildung von Außenwandbekleidungen nicht zu den Grundleistungen der Tragwerksplanung gemäß HOAI, Teil VIII. Weiterhin seien die Berechnung und die Durchbildung hinterlüfteter Außenwandbekleidungen in der Regel nicht Bestandteil der Ausbildung der Bauingenieure. Viele Fassadensysteme seien zudem in Form von bauaufsichtlichen Zulassungen und/oder über Zustimmungen im Einzelfall (ZiE) geregelt, die in Planung sowie Ausführung zu beachten sind.

„Leider führen diese Zusammenhänge dazu, dass die konstruktive Durchbildung der Fassadensysteme und deren Ausführung häufig mangelhaft sind“, sagte Ruhnau. Fehler in der Planung und Ausführung von Befestigungs- und Verankerungsmitteln führen dabei in der Regel zu standsicherheitsrelevanten Problemen, die nur durch umfangreiche Rückbau- und Sanierungsmaßnahmen zu beheben sind. „Einzig durch eine sorgfältige Überwachung der Planung und Ausführung ist eine Reduzierung der umfangreichen Schäden insbesondere auch bei der Befestigung und Verankerung der Fassadenkonstruktion möglich.“ In diesem Zusammenhang hob er hervor, dass die Vielfalt der Normen- und Regelungswelt den kreativ denkenden Ingenieur nicht ersetze, sondern ihn umso notwendiger mache.

Sonderfälle beachten

Hohe Bauteilgewichte, geringe Festigkeiten der angrenzenden Außenwand und Einbaulagen außerhalb der tragenden Wand – mit solchen Situationen sind Fenstermonteure immer häufiger konfrontiert. Wolfgang Jehl, Sachverständiger sowie stellvertretender Prüfstellenleiter am ift Rosenheim, erläuterte, dass aufgrund dieser Entwicklungen das Thema Fensterbefestigung im Zuge der zurückliegenden Aktualisierung des RAL-Montageleitfadens grundlegend überarbeitet worden sei. Der Leitfaden unterscheidet nun zwischen Standardfall, Sonderfall 1 und Sonderfall 2. Während im Standardfall lediglich die anerkannten Regeln der Technik bezüglich der Anordnung von Trag- und Distanzklötzen sowie die Einhaltung der Befestigungs- und Eckabstände bei der Auswahl geeigneter Befestigungsmittel zu beachten seien, ist im Sonderfall 1 im Zuge der Werkstatt- und Montageplanung eine statische Bemessung durchzuführen. Der Sonderfall 1 kommt beispielsweise zum Tragen, wenn die Außenwand aus hoch wärmedämmenden Ziegelsteinen besteht. „Das Mauerwerk ist mittlerweile eine der Schwachstellen bei der Befestigung“, sagte Jehl. Auch bestimmte Fensterformate machten eine Detailplanung erforderlich. An einem einfachen Beispiel rechnete er vor, dass die Kräfte, die auf Eck- und Scherenlager wirken, um 294 Prozent ansteigen, wenn ein und dasselbe Fenster statt im stehenden Flügelformat im liegenden Format realisiert wird. „Meine Empfehlung lautet: Führen Sie dies nicht aus.“

Der Sonderfall 2 beinhaltet Fenster und Außentüren mit besonderen Anforderungen, z.B. die absturzsichernde Ausführung oder den Einbau einbruchhemmender Elemente. Hier sind in der Regel Nachweise, auch hinsichtlich der Anbindung an den tragenden Baukörper, durch Statiker oder Prüfstellen zu führen. Hilfestellung zur statischen Bemessung gibt neben dem Leitfaden der ift-Montageplaner (www.ift-service.de). Anhand von Auswahlkriterien nimmt das Tool eine Fallunterscheidung vor. Im Sonderfall 1 werden die Auflagerkräfte anhand der objektspezifischen Eingaben ermittelt und dem Nutzer als pdf-Datei ausgegeben. Erfolgt die Planung mit einer Firmenversion, in der diverse Befestigungsprodukte hinterlegt sind, beinhaltet das die Auswahl des geeigneten Befestigungsprodukts.

Zulassung von Konsolen aus PVC

Zusammenfassung weiterer Vorträge: Falk Beckmann vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) sprach über Zulassungs- und Genehmigungsverfahren für thermisch getrennte Wandhalter und Konsolen aus Kunststoff für vorgehängte hinterlüftete Fassaden, die zwar in Analogie zum, aber derzeit außerhalb des Eurocodes zu führen sind. Den diskussionsintensiven Prozess der Homogenisierung der europäischen Normen mit den erforderlichen Kompromissen im Verhältnis zur bisherigen nationalen Normung stellte Prof. Dr. Christian Schuler, Professor für Glas- und Fassadenbau an der Hochschule München, in seinem Vortrag „Bemessung und Befestigung von Glaselementen – nationale Anwendung versus europäische Bemessung“ anhand von E DIN 18008, Teil 1 und Teil 2, im Vergleich zu E DIN EN 16612 und zu Eurocode 11 dar.

Dr. Anette Ritter-Höll, ö.b.u.v. Sachverständige der IHK München-Oberbayern für die Bewertung und Beurteilung von Naturstein im Bauwesen und in der Denkmalpflege, setzte sich mit der neuen DIN 18516, Teil 3, auseinander. Insbesondere der inzwischen in der Norm geforderten Nenndicke für Natursteinplatten (die auch eine Unterschreitung des Werts um zehn Prozent grundsätzlich einschließt) steht sie aus Sachverständigensicht kritisch gegenüber. Sie empfiehlt Bauherren, ausschreibungstechnisch und vertraglich – und damit über die Mindestanforderung der Norm hinausgehend – eine Mindestdicke von 30 Millimeter zu fixieren. Nur so ließen sich gravierende technische Mängel und Schäden vermeiden.