Parallel-Gesellschaften

Reinhold Kober, Chefredakteur GFF - © Foto:privat

Der Baden-Württembergische Handwerkstag (BWHT) hat 1.500 Betriebe befragt, welche Kriterien für sie einen guten Standort ausmachten. Das Ergebnis ist aus meiner Sicht nicht überraschend: 62,3 Prozent der Unternehmen aus dem Bauhauptgewerbe, mithin also fast zwei Drittel, ranken auf dem Topplatz eine „gute Anbindung ans Straßennetz“. Tatsächlich sind abgesehen von der Erreichbarkeit der einzelnen Betriebe in den jeweiligen Kommunen (gerade auf dem Land) zusätzlich viele Hauptverkehrsachsen in einem bedauernswerten Zustand. Dabei ist neben funktionierenden Mobilfunknetzen und einem schnellen Internet (in besagter Umfrage mit 43 Prozent auf Platz zwei der wichtigen Standortfaktoren) die Mobilität für eine Wirtschaftsnation wie Deutschland eine unabdingbare Voraussetzung, der Drohnentransport durch die Luft lässt ja noch auf sich warten. Zusätzlich verschärfen das Problem all die smarten Shopper, die täglich neue Bestellungen via Online-Versandhandel per Mausklick tätigen. Denn so wenig (auch für E-Autos) der Strom einfach nur aus der Steckdose kommt, so klar ist auch, dass die Waren aus noch so virtuellen Einkaufswelten am Ende ganz analog zugestellt werden müssen. Doch dafür, mit elektrischen Antriebskonzepten oder dem guten, alten Verbrennungsmotor, hat die Politik, die sich sonst gern unaufgefordert neue Betätigungsfelder als Verordnungsgeber sucht, die Aufgabe, eine zeitgemäße Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Zumal ein sinnvolles Klimaschutzziel wie die schrittweise Verlagerung des Schwerlastverkehrs auf die Schiene seit den 90er-Jahren auch dank einer unternehmerischen Gesamtperformance beim langjährigen Staatsbetrieb Deutsche Bahn (hallo, Herr Kühnert), die ihresgleichen sucht, im Debattenstatus verharrt. Die Grüne Partei ist der große Gewinner der Europawahlen 2019, aber jetzt braucht es Antworten. Denn es scheint fast, als hätten sich viele Fundamentalkritiker von Wirtschaftsförderung, Straßenbau und Automobilindustrie, deren Steuerungsimpulse sich vielfach auf die Einführung neuer Abgaben und bedingungsloser Staatsleistungen beschränken, vom Anspruch verabschiedet, zu sagen, wo es hingehen soll: Welche Unternehmen sollen dafür die Voraussetzungen erwirtschaften, wenn die Ware immer schlechter zum Kunden kommt, kaum einer mehr bereit ist, trotz aller Automatisierung die Jobs in Produktion und Montage zu übernehmen, und im Speziellen die dringend benötigte Bautätigkeit durch Investitionshemmnisse und Sozialismus-Fantasien gebremst wird. Dass junge Menschen sich öffentlich engagieren und Themen auf die politische Agenda bringen, die nach ihrer Meinung nicht ausreichend priorisiert werden, ist gut. Aber zur Verantwortung gehört es auch, sich zu überlegen, wie es mit dem Wirtschaftsstandort Deutschland weitergehen soll.

Bis zum 5. September wählen Sie auf www.gff-magazin.de unter folgenden Vorschlägen das exklusive GFF-Wunschthema für die Novemberausgabe.

1. Schöne Schale, dämmender Kern: Wie Fensterhersteller mit einem Materialmix die unterschiedlichen Anforderungen an Bauelemente meistern.

2. Transparenz, Verschattung, Lüftung: GFF stellt Konzepte für ein angenehmes Innenraumklima vor und sagt auch, was das für die Fassade bedeutet.

3. Hey teacher, leave us kids alone: Wie die Meisterschulen in der Branche aufgestellt sind und welche Kriterien bei der Auswahl eine Rolle spielen.

Ihr

Reinhold Kober