Das Baukastenprinzip in der Fenster- und Fassadenbranche Modulares Bauen: Was es ist und wie es funktioniert

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Modulares Bauen als Trend in der Fenster- und Fassadenbranche? GFF zeigt an zwei Beispielen, was dahintersteckt, inwiefern das Konzept in der Branche angekommen ist und wie Handwerk, Industrie und Planung von dieser Art des Bauen profitieren.

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    In Modulbauweise in kurzer Zeit erneuert: Das Offenbacher Regionalzentrum von Cramo umfasst zirka 4.000 Quadratmeter.
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    Diese Abbildung zeigt am Beispiel Fenster, wie modulares Bauen aufgebaut ist.

Nach nur drei Wochen Montagezeit war es so weit: Die Mitarbeiter von Bauequipment-Vermieter Cramo haben ihre modernen Arbeitsplätze im neuen Regionalzentrum Rhein-Main in Offenbach bezogen. „Die modulare Bauweise hat sich an unserem neuen Standort bestens bewährt“, sagt Thomas Letzing, District Manager bei Cramo. Die Tür- und Fensterelemente tauschten die Monteure dank der Paneelbauweise ohne Schwierigkeiten innerhalb kürzester Zeit aus. Sogar bei laufendem Betrieb – während die 250 Beschäftigten weiter ihrer Arbeit nachgingen – sanierte Fassadenspezialist Anders Metallbau, heute ein Unternehmen der Hilzinger-Gruppe, 2012 innerhalb von nur fünf Monaten das Hans-Böckler-Haus in Düsseldorf, ein im Jahr 1968 errichtetes Büro- und Geschäftsgebäude in Stahlbeton-Skelettbauweise mit einer Fassadenfläche von 5.000 Quadratmeter.

Die Automobilbranche als Vorbild

Für die neue Fassade hatten sich Architekt und Bauherr für die, speziell für Sanierungsprojekte entwickelte, Modernisierungsfassade ERC 50 von Schüco entschieden. Das System überzeugte durch eine Doppelverglasung, integrierten Sonnenschutz und eine einfache Montage: Im ersten Schritt entfernten die Profis die vorhandenen Natursteinplatten. Dann sicherten sie die Bestandsbrüstungen und brachten dort die Befestigungskonsolen für die neue Fassade an. Die Fenster- und Fassadenelemente montierten die Spezialisten vor die Bestandsfassade; die alten Elemente entfernten sie am Schluss von innen und brachten die aufbereiteten Natursteinplatten wieder an. „Die Terminplanung der Arbeiten und Abschnitte war entscheidend für den Erfolg der Maßnahmen. Das Fassadensystem ERC 50 ist durch seinen hohen Vorfertigungsgrad sowie die Vielzahl an Arbeiten, die sich von außen realisieren lassen, für eine Sanierung bei laufendem Betrieb ideal“, sagt Christian Anders, Geschäftsführer der Metallbaufirma. Laut Prof. Ulrich Sieberath, Leiter des ift Rosenheim und Gastgeber der jährlich stattfindenden Rosenheimer Fenstertage – einer Veranstaltung, bei der das Thema modulares Bauen erstmals im Jahr 2013 aufgegriffen wurde – leitet sich das modulare Bauen vom Baukastenprinzip der Automobilhersteller ab und entspricht so dem Zusammenfügen vormodulierter, vorgefertigter Komponenten mit definierten Schnittstellen und einem möglichst hohen Vorfertigungsgrad. Wie Prof. Dr.-Ing. Winfried Heusler, Leiter Global Building Excellence bei Schüco International, erläutert, kann sich die Modularisierung auf das ganze Gebäude (z.B. einzelne Raummodule), auf einzelne Gewerke (z.B. die Fassade) oder auf Bauelemente (in der Werkstatt vorgefertigte Fassadenmodule) beziehen. „Innerhalb eines Fassadenmoduls interagieren beispielsweise die Rahmen- und die Füllungselemente miteinander. Die Rahmenelemente werden wiederum aus Bausteinen – Alu- und Kunststoffprofilen sowie Beschlägen und Zubehör – über definierte Schnittstellen zusammengesetzt.“ Beide Experten sind sich sicher, dass das modulare Bauen dazu beiträgt, individuelle Kundenwünsche noch besser zu erfüllen; und dass dadurch im Bauwesen Variantenvielfalt entsteht. Und zwar mit weniger Kosten. „Der Hauptvorteil des modularen Bauens liegt in der Minimierung der inneren Komplexität bei Beibehaltung der äußeren Individualität“, formuliert Heusler. Wesentliche Argumente dafür seien eindeutige und sicher beherrschbare Schnittstellen sowie klare Verantwortlichkeiten zwischen den Komponenten und Gewerken: in Planung, Ausschreibung, Ausführung und Gewährleistung. „Die Grundlage sind ausgereifte und qualitätssichere Plug and Play-Module, welche sich einfach und sicher planen, montieren und demontieren lassen.“ Änderungen innerhalb von Modulen wirkten sich nicht auf andere Module aus. Dies bringe für alle Beteiligten Vorteile hinsichtlich Kosten, Qualität und Zeitaufwand sowie bezüglich Flexibilität und Risiken; für Planer und Hersteller wie für Bauherren und Mieter. In Bezug auf die immer komplexer werdende Fenstertechnik, sagt Sieberath, bedeute das, „dass sich Fenster und Fassaden als Energiemanager in der Außenwand künftig aus viel individueller vorgefertigten Baugruppen an die verschiedenen Bedürfnisse des Gebäudes anpassen lassen“. Das schließt u.a. die Integration von Sonnenschutz, Photovoltaik oder Photothermie sowie von Antriebs- und Steuerungstechnik ein. Ein entscheidener Vorteil sei es, die Vorfertigung verstärkt von der Baustelle in die Fertigung zu verlagern und modernere Technik, wie Klebetechnik, einzusetzen.

Zukunftsaufgabe: gemeinsam Schnittstellen definieren

Prof. Dipl.-Ing. Andreas Fuchs, Architekt und Dozent im Fachbereich Architektur und Bauingenieurwesen der Hochschule RheinMain in Wiesbaden, meint, dass veraltete, überholte, ja gänzlich fehlende Gebäudetechnik, die eingeschränkte Funktionalität von Fenstern und Sonnenschutz sowie die mangelnde Dichtigkeit und schlechte Dämmwerte die überwiegenden Schwachstellen im Gebäudebestand seien. Dazu böten die bekannten Wärmedämmverbundsysteme für einen Großteil der Bestandsarchitektur in Deutschland keine zufriedenstellende Antwort. „Die architektonische und funktionale Transformation des Gebäudebestands erscheint unumgänglich.“ Daher sei eine Modernisierung im laufenden Betrieb, wie sie unser Beispiel in Düsseldorf zeigt und wie sie die Beeinträchtigung für die Nutzer minimiere, optimal. „Dafür ist es ideal, dass die Arbeiten mithilfe modularer Bauteile überwiegend außerhalb des Gebäudes zu erledigen sind.“ Wo liegen die Beschränkungen für diese Art des Bauens? Sieberath sagt: „Eine besteht sicher darin, als Hersteller, aber auch im Vertrieb mit der Komplexität fertigzuwerden.“ Eine wesentliche Herausforderung sei es, unterschiedliche Akteure und Hersteller für die Zusammenarbeit zu gewinnen, gerade was die Definition der notwendigen Anforderungen und die Beschreibung der Schnittstellen sowie Austauschregeln im modularen Baukasten anbelangt. Heusler sieht den Knackpunkt ebenfalls bei den Schnittstellen zum Baukörper sowie zum Sonnenschutz hin: „Geht es um die Zusatzausstattung von Fenstern bezüglich elektronischer Sicherheit hinsichtlich Einbruchmeldung und Automation sowie einer kontrollierten natürlichen Lüftung über mechanische Fenster sowie um deren Anbindung an die Gebäudeleittechnik à la SmartHome, stellt die Modularisierung die Ausnahme dar.“

Hier konnten sich nach Aussage des Experten an den geometrischen und elektrischen Schnittstellen zwischen den einzelnen Gewerken und Herstellern bisher keine Standards durchsetzen, „obwohl gerade dabei die Modularisierung ihre Vorteile voll ausspielen könnte“. Beide Fachleute sehen die Hersteller/Systemhäuser in der Pflicht, die letztlich dafür verantwortlich seien, die Baukästen in der und für die Praxis umzusetzen. Sieberath: „Ihr Feedback bildet den Maßstab bei der Bewertung, ob die Baukastenlösung praktikabel und umsetzbar ist. Sie sollten die Chance sehen, durch die Vielfalt an Kombinationsmöglichkeiten ihre Produkte künftig noch besser im Markt zu platzieren.“ Anders als Heusler, der – vergleichbar mit der Automobilindustrie  – im Zuge des modularen Bauens von einer Marktbereinigung ausgeht, kommt der Institutsleiter zu einer abweichenden Einschätzung: „Nur auf der Grundlage des Baukastenkonzepts kann der uns so wichtigen Struktur mittelständischer und kleiner Hersteller die Möglichkeit geboten werden, dem finanziellen und personellen Potenzial größerer Hersteller Paroli zu bieten. Diese Betriebe nutzen durch das  Konzept die Kompetenz der Zulieferer zur Entwicklung zukunftsfähiger Produkte.“