So erreicht das Passivhaus die Endkunden Mehr Wohnqualität statt schlechtem Gewissen

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Wie haben sich das Passivhaus und das dazu passende Fenster entwickelt? Und mit welcher Vertriebsstrategie begeistern Hersteller und Monteure ihre Kunden für den Gebäudestandard? Diese Fragen hat GFF auf der Passivhaustagung in Heidelberg gestellt und liefert Antworten.

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    Auf der Exkursion nahmen Besucher der Passivhaustagung das Passivhausquartier Bahnstadt in Heidelberg unter die Lupe.
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    Smartwin hat sein filigranes Fenster Solar in der Variante Solar XL für Übergrößen mit 200 Kilogramm Tragkraft pro Flügel weiterentwickelt – zwei Millimeter mehr in der Tiefe, einem Überschlag und starken Bändern sei dank.

Wie viel teurer ist ein Passivhaus eigentlich als andere Gebäudetypen? Diese Frage dominiert die Diskussion um den energieeffizienten Baustandard und drängt viele Entscheider trotz positiver Eigenschaften in eine andere Richtung. „Zirka vier bis fünf Prozent kostet ein Passivhaus mehr als der durchschnittliche Gebäudestandard“, sagt Professor Eckart Würzner, Oberbürgermeister der Stadt Heidelberg, im Verlauf der Passivhaustagung „Besser Bauen!“ in seiner Heimatstadt. Er hat Erfahrungen mit dem Bau des Quartiers Bahnstadt gesammelt – dort entsteht bis 2022 eine Siedlung im Passivhausstandard. Die Bewohner der bisher fertiggestellten Häuser seien begeistert von der hohen Wohnqualität, von niedrigeren Heizkosten und dem höheren Wiederverkaufswert ihrer Immobilien. „Skepsis schlug uns von vielen Beteiligten in der Planungsphase entgegen“, beschreibt Würzner seine Erlebnisse. Als das erste Gebäude stand, hätten die Käufer und Mieter der Stadt die Wohnungen dann sprichwörtlich aus den Händen gerissen.

Mit weniger als 50 Cent pro Quadratmeter beziffert Professor Wolfgang Feist die Mehrkosten für ein Passivhaus. Nach Einschätzung des Passivhaus Institut (PHI)-Gründers seien Investoren der Hauptauslöser der stark steigenden Immobilienpreise, nicht energieeffiziente Bautechnologie. Diese Gruppe scheue angesichts der hohen Preise für durchschnittliche Gebäude den Bau im Passivhausstandard, um einige Prozent mehr Rendite bei deren Verkauf zu erzielen.

Fensterbauer erneuern Vertriebskonzept

Wie bringt die Branche das Passivhaus mit positiven, erlebbaren Vorteilen in die Köpfe der Kunden und lässt den moralischen Zeigefinger des Klimaretters unten? Diese Frage haben sich die handwerklich geprägten Fensterbauer der Kooperation Smartwin rund um den Fensterentwickler Franz Freundorfer gestellt. „Wir gehen direkt zum Kunden und berechnen ihm mit unserer eigenen Software genau, wie viel Energie und wie viel Geld er mit seinem Passivhaus oder mit Komponenten einspart“, erläutert der Fachmann. Danach zeigen die Smartwin-Mitglieder dem Interessenten grafisch auf, wann sich seine Investition rechnet und wie viel Geld er danach verdient. „Das Passivhaus muss so bezahlbar sein, dass wir kein Steuergeld für die Förderung brauchen“, betont Freundorfer. Beim Passivhausfenster sei das mittlerweile kein Problem. Allerdings müssten die Lüftung und die Gebäudehülle im Preis sinken.

Exklusiv, aber nicht teuer: das Lüftungssystem von Smartwin

Diese Herausforderung hat das Netzwerk angenommen und liefert nicht nur Fenster, sondern unter dem Label Smartshell ein selbst entwickeltes, komplett gedämmtes Wandsystem für Passivhäuser.

„Wir gehen direkt zum Kunden und berechnen ihm genau, wie viel Energie und auch wie viel Geld er mit seinem Passivhaus oder mit Komponenten spart.“

Das Fenster integrieren die Handwerker bei der vom PHI zertifizierten Lösung ohne Fugen in die Wand: Sie setzen den Fensterstock auf die Wandplatte und verschrauben ihn. So hat der Monteur klar definierte Anschlüsse, die Aufbau-Details liefert die Kooperation fix und fertig für die Baustelle. „Der Handwerker muss nichts planen, er kann sofort montieren“, stellt Freundorfer klar. Ein Element des Passivhauses war dem Tüftler immer noch zu teuer: die zentrale Lüftungsanlage für saubere Luft im gedämmten Haus. Also entwickelten die Kooperationspartner ein eigenes Lüftungssystem für weniger als 1.000 Euro, das sie exklusiv als Teil ihres Smartshell-Konzepts vertreiben. Smartvent sei mit Wärmetauscher, zwei Ventilatoren und intelligenter Steuerung um zirka 50 Prozent günstiger als durchschnittliche Lösungen am Markt. Das nächste Projekt ist in Arbeit: Statt einer Aluschale wird die Fenster von Smartwin in Kürze an der Außenseite eine Schale aus dem widerstandsfähigen Holzwerkstoff High Pressure Laminate (HPL) zieren – natürlich mit einer stattlichen Auswahl an Farben und Mustern.

Ziel: die Herzen berühren

Von der Sach- auf die Gefühlsebene: Anregungen für diesen Weg gab Bauingenieur und GFF -Praxistage-Moderator Ronny Meyer in seinem Vortrag „Wie erreicht das Passivhaus die Herzen?“. Aus seiner Sicht geht es darum, eine Geschichte zu erzählen, mit der sich die Menschen identifizieren, statt einfach Fakten herunterzubeten. Als Beispiel für ein gelungenes Storytelling nennt er den Film Titanic: „Trotz des tragischen Ausgangs ist das ein super Imagefilm für Kreuzfahrten – das muss man bei dem Ende erst mal hinbekommen.“ Alleine das Wort passiv sei schon nicht optimal geeignet, positive Gefühle beim Kunden zu wecken. Meyer empfiehlt, das Passivhaus als Trendprodukt zu kommunizieren, das einfach nur Spaß macht und die Lebensfreude steigert: „Nicht erzählen, wie es funktioniert, sondern was es kann.“ Er schlug Slogans vor, die diese Botschaft transportieren: „Passivhaus: Dein Zuhause“ oder „P.Haus – Dein Zuhause“. Musik unterstützt die emotionale Präsentation: perfekt, premium, privat.

Wo steht das Passivhaus 2019?

Feist nennt das Passivhaus als Schlüsselelement, um die Energiewende und die Abkehr von der bisherigen Energiewirtschaft in die Tat umzusetzen: „Wir haben die Welt versaut mit unserem hohen CO2-Ausstoß und müssen jetzt in 30 Jahren runter von fossilen Energieträgern.“ Deshalb sollten Bauherren bei ihrer Immobilie auf Dämmung, Lüftung und Fenster achten. Gerade in der Gebäudesanierung liege beim Einbau dieser Passivhauskomponenten ein großes Potenzial für die Energieeinsparung, um den Primärenergieverbrauch zu reduzieren. Der Bauphysiker sieht das Passivhaus in Deutschland und weltweit auf dem Vormarsch: „Wir haben Projekte auch in Südeuropa realisiert, unter anderem weil das Passivhaus im Sommer kühler ist als andere Baustandards.“ Der chinesische Markt und die dortige Politik hätten das energetisch effiziente Bauen entdeckt. Das PHI engagiert sich in China und veranstaltet dort vom 9. bis zum 11. Oktober 2019 in Gaobeidian die internationale Passivhaus-Konferenz. Vancouver und New York haben laut Feist mit ihren erfolgreichen Projekten als Vorreiter das Passivhaus weltweit ins Bewusstsein der Menschen gerückt.

Baustandard gesetzlich fordern?

Um die Energieeffizienz in Deutschland zu steigern, sieht Tilo Kurtz als Referatsleiter im Umweltministerium Baden-Württemberg die Politik in der Pflicht. Per Ordnungsrecht müsse sie im Neubau und in der Gebäudesanierung einen höheren Baustandard als bisher fordern und fördern. Er nannte die aktuell diskutierte CO2-Steuer als ein zusätzliches mögliches Mittel. Professor Eckart Würzner will keine Zwangsmaßnahmen der Politik, sondern einen finanziellen Anreiz für energieeffizientes Bauen, zum Beispiel als Bonuszahlung oder als Steuererleichterung.