Architekten berichten Energetische Sanierung einer Fünfziger-Jahre-Siedlung

Unter Berücksichtigung energetischer Erfordernisse und gestalterischer Anforderungen der Denkmalpflege wurde die denkmalgeschützte Boschetsrieder Siedlung in München-Sendling architektonisch saniert.

Die Boschetsrieder Siedlung, auch Siemens-Siedlung genannt, wurde in den 50er Jahren von Architekt Emil Freymuth erbaut, in den 80er Jahren modernisiert und erst nach dieser Sanierung als wegweisende Nachkriegsarchitektur unter Denkmalschutz gestellt. Seit Januar 1992 ist jedes einzelne Gebäude der Siedlung denkmalgeschützt. Der ursprüngliche Anlass zur Errichtung der Siedlung war die katastrophale Wohnsituation nach dem Krieg. Die kriegsbedingten Zerstörungen in der „Siemensstadt“ in Berlin waren der Grund für die Verlagerung von Werken und Verwaltung an andere Orte, unter anderem auch nach München.

Die Absicht, eine größere, einheitlich geplante, repräsentative Werkssiedlung nach modernsten Gesichtspunkten in Anknüpfung an die Berliner Wohntradition der Siemens Wohnungsgesellschaft zu errichten, bestand bereits frühzeitig. Ein nach Lage, Größe und Bodenbeschaffenheit günstiges Grundstück konnte auf dem Sendlinger Oberfeld an der Boschetsrieder Siedlung, nur wenige 100 Meter vom Siemens-Hauptwerk an der Hofmannstraße entfernt, erworben werden. Dem Kölner Architekten Emil Freymuth wurde der Auftrag für die Bebauungsplanung, die Entwurfsplanung und Ausführungsplanung übertragen. Als Ergebnis verschiedenen Reiser nach Mailand, Zürich und Basel entstand die größte geschlossene Wohnanlage der Siemens Wohnungsgesellschaft außerhalb Berlins. In der Zeitschrift „Baumeister“ vom April 1955 konnte man über die Siemens-Siedlung lesen, dass sie „städtebaulich und wohntechnisch eine große Leistung darstellt, aber auch in sozialer Hinsicht, denn der Bauherr hat freiwillig große finanzielle Leistungen übernommen“. Die Planung wurde auf der Brüsseler Weltausstellung 1958 im deutschen Pavillon als einziges Projekt zur Siedlungsgestaltung der jungen bundesdeutschen Republik der Weltöffentlichkeit präsentiert.

Die Aufgabe des Münchner Architekturbüros Koch+Partner war es, die Siedlung energetisch zu sanieren und gleichzeitig an den heute gültigen Wohnstandard anzupassen. Die eindeutige Vorgabe der Denkmalpflege war es, die Boschetsrieder Siedlung wieder auf den ursprünglichen Gestaltungsduktus der 50er Jahre zurückzuführen. Deshalb wurde ein Sanierungskonzept entwickelt, das einen Konsens zwischen den gestalterischen Belangen des Denkmalschutzes und den energetischen, bauphysikalischen und bautechnischen Erfordernissen schaffen sollte und somit letztendlich den Erhalt und gleichzeitig eine nachhaltige Aufwertung des Bestands für die Zukunft sichern soll. Der Bauherr selbst legte seinerseits besonders großen Wert auf die energetische Sanierung. So wurden beim dritten Riegel 63 Tonnen Kohlendioxid im Jahr eingespart. Der jährliche Primärenergiebedarf liegt bei 10,9 Kilowattstunden.

Wichtige gestalterische Aspekte wurden vor Beginn der Baumaßnahme mit dem Landesamt für Denkmalpflege und der Denkmalschutzbehörde anhand von Detailzeichnungen und Bemusterungen vor Ort festgelegt. Grundlage für die neue Planung waren Fotos aus der Entstehungszeit von 1952 bis 1953 sowie die Originalpläne von Architekt Freymuth. Außerdem konnte die Witwe von Freymuth befragt werden und wertvolle Hinweise zur Gestaltung der Siedlung geben.

Das ursprüngliche Farbkonzept der Siedlung wurde anhand von Bestandsuntersuchungen und Befundsicherung durch einen Restaurator rekonstruiert. Putzstrukturen und Farben konnten so festgelegt werden – sämtliche Details wurden mit der Denkmalpflege bemustert und freige geben.

Bereits in den 80er Jahren wurde die Siedlung zunächst von außen modernisiert, das heißt: Ein Wärmedämmverbundsystem (WDVS) wurde aufgebracht, die originalen Holzfenster wurden entfernt, stattdessen wurden Kunststofffenster eingebaut, die Haustüren ersetzt und auf das vorhandene Blechdach wurde eine Holzkonstruktion mit Blechdeckung gesetzt.

Die einzelnen Gebäude wurden dabei allerdings von außen komplett verändert, die feine Grafik der 50er Jahre war damit unkenntlich gemacht. Im Innenbereich sanierten die jeweiligen Mieter im Laufe der Jahre die einzelnen Wohnungen. Die Grundrisse aus der Entstehungszeit wurden jedoch nicht verändert. Diese zeichnen sich bis heute durch Großzügigkeit und Praktikabilität aus. So hatte von Beginn an jede Wohnung eine Speisekammer. Die Wohnzimmer sind nach Westen orientiert, die Küchen nach Osten. Die Balkone sind so angeordnet, dass sich die Nachbarn nicht gegenseitig stören. Dieses Konzept ist besonders bei den runden Balkonen sehr gelungen.

Bei der Sanierung optimierten die Planer lediglich die bewährten Grundrisse. So wurde der Flur im Eingangsbereich aufgeweitet, die Speisekammern in den Küchen wurden entfernt. Jede Wohnung erhielt dafür eine Abstellkammer. Sämtliche Bäder wurden mit einem Platz für eine Waschmaschine ausgestattet. Die für die 50er Jahre typische Fenster-Tür-Kombination in den Wohn- und Schlafzimmern wurde durch ein Fassadenelement ersetzt, bestehend aus einer bodenbündigen Festverglasung aus Dreifachverglasung und der daneben liegenden Balkontür. Dadurch verbessert sich der Lichteinfall in die Räume, und sie wirken großzügiger.

Alle Wohnräume sind mit hochwertigem Vollholz-Stäbchenparkett aus Eiche ausgestattet. Weiß lackierte Türen, teilweise mit Glaseinsatz, vervollständigen den Anspruch des Bauherrn an modern sanierte Wohnungen. Die nichttragenden Bimsdielenwände wurden ausnahmslos entfernt und durch 115-Zentimeter-Mauerwerk ersetzt. Die neuen Türen wurden alle auf 2,135 Meter Höhe gesetzt, auch die bestehenden Türöffnungen in den Flurwänden wurden an diese Höhe angepasst. Die sehr glatten Putzoberflächen in den Wohnungen wurden soweit möglich erhalten und die neuen Oberflächen an den Bestand angepasst.

Die mit Schadstoff belasteten Böden und Estriche mussten entfernt werden. Somit konnte ein neuer Bodenaufbau mit entsprechender Trittschalldämmung eingebaut werden. Generell war eine umfassende Schadstoffsanierung (PCB/Asbest) notwendig. Der Bauherr gab bei den ersten Wohnzeilen eine Sanierung nach EnEV (2007) minus 30 Prozent, bei den weiteren Zeilen eine Sanierung nach EnEV (2007) minus 50 Prozent vor, um sich an dem Modellvorhaben „Niedrigenergiehaus im Bestand“ der Deutschen Energie Agentur (dena) beteiligen zu können. Eine Solar- oder Photovoltaikanlage auf den Dächern wurde von den Denkmalpflegern abgelehnt.

Bei der Sanierung in den 80er Jahren wurden die schön gegliederten, zweifarbigen Holzfenster durch weiße, einflügelige Kunststofffenster ersetzt. Diese Fenster veränderten das Gesicht der Gebäude stark. Umso wichtiger war es, die Optik der neuen Fenster an die Originalfenster anzupassen. Nach 1:1-Bemusterungen von Fassade, Putzoberflächen, Farbgebung und Fenster vor Ort zusammen mit den Denkmalpflegern wurden bei den Riegeln A und B Polyurethan- (PUR-)Fenster mit Zweifachverglasung zur Ausführung freigegeben. Da beim dritten Riegel höhere energetische Anforderungen gestellt wurden, genehmigten hier die Denkmalpfleger Holz-Alu-Fenster mit Dreifachverglasung (Uw=1,1 W/m²K).

Durch die zweifarbig moosgrau und weiß gestrichenen Fenster wirken die Profile überaus schlank und entsprechen somit nahezu den Originalabmessungen. Die ursprüngliche Teilung der Fenster wurde mithilfe von Sprossen wiederhergestellt. Die neuen Fenster liegen komplett in der Ebene der zusätzlich aufgebrachten Außendämmung, um Wärmebrücken zu reduzieren, aber insbesondere um tiefe Fensterlaibungen, die bekanntlich so typisch für hochgedämmte Fassaden sind, zu vermeiden. Zusammen mit der ja noch bestehenden Außendämmung, auf die zusätzlich zehn Zentimeter WDVS aufgebracht wurde, sind die Außenwände jetzt ungefähr 17 Zentimeter stark gedämmt. Entsprechend dick wurde deshalb auch der Sockel gedämmt, um einen minimalen Rücksprung von zwei Zentimeter zu erhalten. Auch die Kellerfenster wurden nach vorne versetzt. Aufgrund dieser zusätzlichen Wärmedämmung verschmälerte sich der Dachüberstand. Um dies auszugleichen und das Originalmaß von 50 Zentimeter wiederherzustellen, verlängerten die Sanierer den Dachüberstand und planten eckige Regenrinnen ein.

Das lässt die Dachkante nunmehr noch schmäler wirken. Sehr wichtig bei der Fassadengestaltung war nämlich das Wiederherstellen einer für die 50er Jahre typischen schmalen Dachkante. Das vorhandene Dach wurde komplett zurückgebaut, die letzte Geschoss decke sowie die auskragenden Balkondächer wurden statisch ertüchtigt, die Dachsparren aus den 80er Jahren zu einer neuen Dachkonstruktion umgebaut und mit entsprechenden Dämmmaßnahmen wieder auf die vorhandene Betondecke gesetzt. Als Dachdeckung wurde Edelstahl gewählt, damit das anfallende Regenwasser über Rigolen versickern kann.

Als eines der wenigen Originalelemente aus den 50er Jahren stellte sich die alte Treppenhausfassade heraus. Experten restaurierten sie fachgerecht und fügten außerdem eine Zwei-Scheiben-VSG-Verglasung ein. Schließlich wurden die Hauseingänge durch eine großzügig verglaste Türkonstruktion ersetzt. Die Aufteilung und Farbgebung wurde wiederum an den Gestaltungsduktus der Originalhaustüren angelehnt. Die weiße Siemens-Siedlung aus der Erbauungszeit scheint so nach und nach wieder zum Leben zu erwachen. Großer Wert wurde in der Sanierung auf die Detailplanung gelegt, um Wärmebrücken so gut wie möglich zu vermeiden. Bei allen Gebäuden wurden Blower-Door-Tests und Thermografieaufnahmen vor und nach der Sanierung durchgeführt. Die Zusammenarbeit mit einem Sachverständigen der Deutschen Energie-Agentur (dena) war Voraussetzung, um alle energetischen Optimierungspotenziale
auszuschöpfen. Und sie lohnte sich auch noch in anderer Hinsicht: Im Ergebnis erkannte die dena die Leistung der an der Maßnahme Beteiligten an und verlieh dem Projekt Boschetsrieder Siedlung den renommierten dena-Energieeffizienzhaus-Preis für Mehrfamilienhäuser.

Da die einzelnen Gebäude hochgedämmt und luftdicht gestaltet sind, kann auf effiziente Wohnraumlüftung in Form von Zuluftautomaten, die einen dauerhaften Hygieneluftwechsel gewährleisten sollen, unter keinen Umständen verzichtet werden. Dadurch werden nicht zuletzt anderenfalls drohende Feuchteschäden in den Wohnungen vermieden.

Trotz des Wärmedämmverbundsystems und neuer Fenster konnte den Gestaltungszielen von Architekt Emil Freymuth zweifellos entsprochen werden. Schmale Kanten, schmale Profile, Farbigkeit und Oberflächen der 50er Jahre wurden genauestens rekonstruiert, die verbliebenen Originalbauteile wie beispielsweise die Treppenhausfassade, Handläufe und Balkongeländer wurden renoviert. Dass die Optik der 50er Jahre am Ende tatsächlich wiederhergestellt worden war, das bestätigten nicht zuletzt die, die es am besten wissen müssen: nämlich die Mieter, die seit der Entstehung der Boschetsrieder Siedlung dort leben.