Glaskunst für Studentenwohnungen in Paderborn Eine Frage der Perspektive

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Gestalten mit Glas

Schöner studieren: Eine Glaspassage, die zwei neue Gebäude miteinander verbindet, macht die Bewohner zum Thema und zeigt diese in ihrem Alltag. Erschaffen hat sie der Glaskünstler Thierry Boissel mit dem Ipachrome-Verfahren.

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    © Thierry Boissel
    Diese Brücke verbindet die beiden Shipshape-Gebäude, die Wohnraum für 99 Studenten mitten in Paderborn bieten.
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    © Thierry Boissel
    Die Szenen, die der Künstler gewählt hat, bilden den Alltag der Studierenden ab.
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    © Thierry Boissel
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    © Thierry Boissel
    Die Entwürfe stammen von Thierry Boissel, die Umsetzung von Glasmalerei Peters Studios, das Verfahren von Interpane.

An der Ecke Warburger Straße/Ripinger Weg, unweit der Universität Paderborn, hat der Spar- und Bauverein Ende des vergangenen Jahres 90 Studentenapartments errichten lassen. Durch den Knickpunkt, an dem die beiden Straßen aufeinandertreffen, haben die Paderborner Architekten von RSK eine außergewöhnliche Bauform entwickelt: Die Wohnungen verteilen sich auf zwei getrennte Baukörper, welche eine dreistöckige gläserne Passage miteinander verbindet. Die Passage weist Abmessungen von 9,84 mal 9,20 Meter auf.

Die gerundete Ecke des Gebäudes, die sich direkt im Knick befindet, erinnert beim Betrachten an einen riesigen Schiffsbug. Daraus erklärt sich auch der Name der Wohnanlage, Shipshape: Neben der wörtlichen Bedeutung „Schiffsform“ steht „ship shape“ im übertragenen Sinn für etwas, das tipptopp, also perfekt ist. Noch im November 2018 bezogen Studenten die ersten 44 Apartments in Haus 2, im Januar 2019 folgten weitere 46 Apartments in Haus 1. Nur drei Minuten sollen es von dort nach Angaben des Bauherrn, der Paderborner Wohnungsbaugesellschaft, bis zum Hörsaal sein.

Verbindung zwischen innen und außen schaffen

Die gläserne Passage, gern auch seemännisch als Brücke bezeichnet, ziert seit April 2019 ein Glaskunstwerk von Thierry Boissel, das sich über drei Stockwerke erstreckt. Der französische Künstler, Jahrgang 1962, zählt zu den bedeutendsten Glaskünstlern der Gegenwart. Seit 1991 leitet er die Studienwerkstatt für Glasmalerei, Licht und Mosaik an der Akademie der Bildenden Künste in München.

In der Gestaltung der Brücke sei er komplett frei gewesen, berichtet Boissel. Der einzige Wunsch des Bauherrn habe darin bestanden „dass man etwas sehe, das nicht zu plakativ sei“. Der Künstler fotografierte Studenten an der Paderborner Uni und übersetzte die Fotografien in verchromte Linien auf Glas. Die Szenen zeigen die Studenten nun in kleineren Gruppen, im Gespräch miteinander, in ihrer Freizeit oder auf dem Weg in den Hörsaal. „Ich wollte die jungen Menschen, die hier künftig wohnen werden, zum Hauptthema machen, sie in ihrem Alltag darstellen und dabei eine Verbindung zwischen dem Inneren und Äußeren des Gesamtgebäudes schaffen“, berichtet der Künstler. Seine Entwürfe kamen beim Auftraggeber, beim Spar- und Bauverein, entsprechend gut an.

Schattenspiel mit Spiegeltechnik

Boissel nutzte für die Umsetzung seiner Entwürfe das Ipachrome-Verfahren des Glasherstellers Interpane, das ursprünglich aus der Sonnenschutztechnik stammt. Dabei wird Chrom auf Glas aufgetragen, das auf beiden Seiten als Spiegel fungiert; „die Gläser sind damit beidseitig bespielbar“ – ein Verfahren, mit dem Boissel bereits vielfach gearbeitet hat. Die Fotos der Studenten wurden grob gerastert, am Computer nachgeschärft und in Schwarz-Weiß-Grafiken umgewandelt. Die Figuren selbst seien kaum verfremdet worden, erzählt der Künstler.

Die eigentliche Übertragung auf Glas, genauer auf ESG aus Floatglas, übernahmen dann die Glasmalerei Peters Studios: Sie fertigten die Schablonen, die nach exakten Maßgaben des Künstlers geplottert und geklebt wurden. Auch wenn Boissel seit vielen Jahren in München lebt, arbeitet er häufig in Paderborn, am Stammsitz von Peters: „Seit zwölf Jahren sind wir in unterschiedlichen Projekten immer wieder ein sehr gutes Team“, sagt Boissel, die Zusammenarbeit sei höchst produktiv. Danach gingen die Gläser – die einzelnen Scheiben sind zweieinhalb mal 2,25 Meter groß – zu Interpane, wo die Chrombeschichtung appliziert wurde. Nach dem Entfernen der Maskierungen wurden die Gläser dann zu Verbundsicherheitsglas verarbeitet.

Standpunktwechsel unerlässlich

In den Arbeiten von Thierry Boissel, die weltweit gefragt sind, geht es immer wieder um die Gestaltung des Lichts. Dieses wird in verschiedenen Schichten, Strukturen oder durch die Beschichtung des Materials eingefügt und sichtbar gemacht. In Zusammenspiel mit Licht wirken seine Glaskunstwerke, als wären sie kontinuierlich in Bewegung – dies ist auch bei der gläsernen Brücke in Paderborn der Fall, die die beiden Gebäudeteile miteinander verbindet.

Die Gestaltung seines neuesten Werks beschreibt Boissel als sehr zurückhaltend. Durch das jeweilige Licht seien die Figuren auf dem Glas mal sehr gut zu sehen, mal sehe man sie dagegen kaum. „Die Spiegelungen erzeugen endlose Variationen, die kontinuierlich mit dem Standort und der Perspektive des Betrachters wechseln“, sagt der Glaskünstler, die gewählte Art der Beschichtung verleihe dem Kunstwerk eine sehr subtile Wirkung: „An der Südseite ergibt sich je nach Wetterlage ein Schattenspiel nach drinnen. Von außen erkennt man nur, was man erkennen will. Und man nimmt es nur wahr, wenn man sich bewegt – zwei Meter weiter sieht der Schattenriss schon ganz anders aus.“ Mithilfe der Ipachrome-Technik lässt Boissel also die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen.