Glaskongress BF, 3.-4.4. Der König ist tot, es lebe der König

Die Situation bei der Sicherheitsglas-Pflicht wird immer unübersichtlicher: Mit Risikoabwägung weit gediehen, von der Bauaufsicht gekippt, rufen die Befürworter beim Glaskongress des BF in Stuttgart: April, April. In Paragraf 37 MBO sei geklärt, was die DIN 18008 neu durchsetzen sollte.

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    Stage time: Jochen Grönegräs (Hauptgeschäftsführer), Reinhard Cordes (bisher erweiterter Vorstand), Thomas Stukenkemper (geschäftsführender Vorstand), Dr. Klaus Huntebrinker (bisher erweiterter Vorstand), Klaus Köhler (neu im erweiterten Vorstand), Michael Elstner (geschäftsführender Vorstand), Hans-Joachim Arnold (neu als Präsident), Hannes Spiß (neu im erweiterten Vorstand), Thomas Dreisbusch (Arnolds Vorgänger, 19 Jahre Präsident), Ralf Vornholt, Florian Lindlbauer (v.li.n.re.; bde. erweiterter Vorstand)
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    Ebenfalls neu im erweiterten BF-Vorstand: Lutz Gethke
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    Bereichernd: das Referat von Dr. Andreas Kasper, SGG-Koryphäe
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    David O’Sullivan, Wiko in Lübbecke, lebt die Integration.

Das, sagen Hauptgeschäftsführer Jochen Grönegräs und Markus Broich, habe sich als Erkenntnis nun auch beim Verband Fenster+Fassade und dessen Normungsexperten Frank Koos durchgesetzt. Sie fragen sich jetzt, wie es möglich ist, dass eine ganze Reihe erfahrener Regelsetzer und Interessenvertreter über Jahre in die Disussion über etwas verstrickt ist, was – so jedenfalls der Tenor in Suttgart – obsolet, da bereits an anderer Stelle geklärt ist? Zumindest zeigt der Vorgang, wie wenig Transparenz in diesem Normungs-Geschäft vorhanden ist. Wie auch immer, es bleiben weitere Fragen: Wenn die Verkehrssicherheit – wie wiederum in Paragraf 16 MBO geregelt – „dem Schutz der Bewohner vor (...) Schaden an Leib, Leben, Gesundheit (...) dient“, heißt das dann, dass künftig unabhängig vom Abstand zur Verkehrsfläche der Einfachheit überall Sicherheitsglas eingesetzt werden muss (Vize-BIM Hermann Fimpeler wäre mit einer Verpflichtung bis zwei Meter Höhe einverstanden, wie er beteuert)? Es würde die gute Laune bei den Initiatoren erklären. Und: Halten die Einsprecher, wie z.B. der VFF, ihren Widerstand aufrecht? Was sagt die Bauaufsicht, die ja mit den steigenden Baukosten argumentiert hatte, zur Durchsetzung der Interessen über die von ihr selbst aufgemachte Hintertür – nach dem Motto: Die DIN 18008 ist tot, dann lebe die Musterbauordnung (MBO)?

Weniger spannend ging es bei der Wahl zum BF-Präsidenten zu. Wie gewohnt bei diesem Verband reibungslos erfolgte der Übergang von Thomas Dreisbusch auf Hans-Joachim Arnold, der sich, wie er auf der Bühne verriet, zunächst zierte („Die Antwort war: nein“), danach aber festgestellt habe, mit der Vorstandschaft und den verantwortlich handelnden Personen auf einer Linie zu sein, was die Grundvorstellung von Verband und Präsident anbelangt: „Ich bin nicht für den diplomatischen Dienst geboren und werde ganz sicher nicht das Vorherige einfach nur fortsetzen“, kündigte er an.

Erfrischend tränenlos

Weiters ist es dem Unternehmer wichtig, Zusammengehörigkeitsgefühl zu erzeugen: „Es muss unser Verband sein.“ Erfrischend tränenlos hatte sich zuvor der 19 Jahre als Präsident amtierende Thomas Dreisbusch, wie Arnold Mittelständler, wenngleich kaum vergleichbar, für das Vertrauen bedankt und sein Engagement vom durch den Vater verordneten Einstieg in den Juniorenkreis („Von diesem Netzwerk profitiere ich heute noch“) bis zur Mitarbeit im Präsidium überaus kompakt nachgezeichnet; dass die Beifallsbekundungen („Standing Ovations wären schön“) so recht erst vom Nachfolger intendiert waren, zeigt allenfalls, dass im Bundesverband Flachglas Sacharbeit vor Personen kommt. Außerdem stand auf der Urkunde, die Grönegräs dem scheidenden Präsidenten überreichte: „Niemals geht man so ganz.“ Für die auf eigenen Wunsch am Ende ihrer jeweiligen Wahlperiode ausgeschiedenen Reinhard Cordes und Dr. Klaus Huntebrinker (beide in Stuttgart anwesend) wählten die Mitglieder Lutz Gethke (Gethke Glas), Klaus Köhler (KÖWA Isolierglas) und Hannes Spiß (Isolar) in den erweiterten Vorstand; zuvor war einstimmig einer Satzungsänderung zugestimmt worden, die erlaubt, dass dieses Gremium künftig aus sechs (sieben wären möglich) statt wie bisher aus fünf Personen besteht.

ESG-H – her damit

Wie viel Fachkompetenz der Verband in seinen eigenen Reihen hat, illustrierte der Vortrag von Chemiker Dr. Andreas Kasper vom R&D Centre Herzogenrath von Saint-Gobain, der findet: „Der Heißlagerungstest ist besser als gedacht.“ Kein Wunder, könnte man sagen, schließlich will die Branche ja auch fürderhin ESG verkaufen. Aber was der 65-Jährige auf die Bühne bringt, ist das Ergebnis aus 25 Jahren Grundlagenforschung. Die wichtigste Aussage Kaspers lautet: „Die Restbruchwahrscheinlichkeit von heißgelagertem Einscheiben-Sicherheitsglas (ESG-H) ist um 25 Prozent geringer als bisher gedacht.“ Damit bezieht sich der Referent auf Berechnungen von Dr. Jens Schneider, TU Darmstadt. Diese Korrektur zu Gunsten des geheatsoakten Werkstoffs hat Auswirkungen auf etwaige Einsatzmöglichkeiten oder mal mindestens -wahrscheinlichkeiten: Mit einem Versagensrisiko von deutlich unter 10-6 erreicht ESG nach dem HST Sicherheiten, die in einer Liga mit Stahl und Beton spielen! Im Klartext heißt das: Legt man die Ergebnisse von Kaspers Untersuchungen zugrunde, würde eines von einer Million Bauwerke aufgrund von Glasbruch zu Schaden kommen. Dahinter steckt insbesondere die Erkenntnis, dass in der Fassade lediglich 39 Prozent der Scheiben brechen, die beim Heißlagerungstest zu Bruch gehen; das liegt daran, dass infolge der beim HST induzierten thermischen Spannungen im Ofen mehr kleine Nickelsulfideinschlüsse in der Zugspannungszone das Glas ebenfalls zum Brechen bringen, als dies im Gebäude der Fall ist (in der Fassade messen Fachleute Temperaturen bis 80, im Ofen bis 260 Grad Celsius). Das neue Gütezeichen heißgelagertes ESG der Gütegemeinschaft Flachglas (GGF) haben bisher drei Mitglieder in Anspruch genommen.

Fachkräfteproblem gelöst

Das hängt mit dem verzögerten Inkrafttreten der DIN 18008 zusammen, wie laut Grönegräs auch die noch nicht wieder eingeführte Vereinfachung bei der Bemessung kleinerer Scheiben: Ohne die in der Norm formulierten Anforderungen an ESG in der Fassade sei augenscheinlich „der Leidensdruck noch nicht groß genug“. Letzteres war bei Wiko Metalltechnik in Lübbecke anders, wie David O’Sullivan referierte: „Wir haben dringend Verstärkung in der Produktion gesucht, unsere Stellenanzeigen sind verpufft.“ Von sich aus entwickelte das Unternehmen eine Strategie, mit Dolmetscher, auf Leistungsanreizen beruhender Bezahlung („Wir sind keine Samariter – wenn du nicht arbeitest, gibt es kein Geld“) und z.B. dem Instrument der Probearbeit, und beschäftigt heute 18, 19 Flüchtlinge.