Glaskunst in der Architektur Den Fliesenspiegel durchbrechen

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Gestalten mit Glas

Weil die Bäder des neuen Kulturzentrums beim Fliesen zu steril wirkten, fügt Glaskünstlerin Heide Kemper kurzerhand eine einzelne Fliese aus Glas ein, die den Räumen auf Anhieb eine vollkommen andere Wirkung verleiht.

Zwischen den Jahren 1915/1916 entstand an der Dortmunder Immermannstraße die Straßenbahnhauptwerkstatt, ein noch heute beeindruckendes architektonisches Zeugnis der Indus-triebauten des frühen 20. Jahrhunderts. Als die Verkehrsbetriebe Anfang der 1990er-Jahre ein neues Quartier bezogen, folgte an gleicher Stelle das Kulturzentrum Depot, wo heute Architekten, Designer, Fotografen, Grafiker sowie bildende und darstellende Künstler arbeiten. Daneben gibt es Gastronomie, ein Theater und ein immer buntes Kulturprogramm, das von Ausstellungen, Märkten und Messen bis hin zu Tanz, Theater und Workshops reicht. Mehr als 40 Einzelpersonen, Gesellschaften, Vereine und Büros haben sich hier seit der Eröffnung 2001 etabliert. Zu den Begründerinnen des Kulturzentrums gehört die Glaskünstlerin Heide Kemper. Während die Stadt Dortmund das neue Zentrum finanziell unterstützte, mussten die neuen Mieter selbst viel Einsatz zeigen und das Gebäude sanieren. Eigenleistung war angesagt, und dazu gehörten auch die Sanitärbereiche. „Wir haben selbst gefliest, mit den klassischen 15 mal 15 Zentimeter großen Fliesen. Doch das Ergebnis wirkte steril wie eine Bahnhofstoilette“, erklärt Heide Kemper, die kurzerhand eines ihrer Glasbilder kleinschnitt, einfügte und damit den Fliesenspiegel für immer durchbrach. Geboren waren die „Toilettenfliesen“, die die Künstlerin seither mit einigem Erfolg produziert. „Bis heute wirkt diese eine Glasfliese auf der Depot-Toilette wie ein kleiner Brillant“, sagt die Künstlerin. Und dieser Brillant habe eine gewisse Nachfrage erzeugt, etwa in der gegenüberliegenden Kneipe, aber eben auch bei den Besuchern der Werkstätten.

Zusammenarbeit mit Architekten

Das habe letztlich auch zur Zusammenarbeit mit Architekten und Bauträgern geführt. „Sie treten meist in einem recht frühen Stadium an mich heran, wo noch nichts entschieden ist. Dann bin ich frei, meine Vorschläge zu machen und Räume mit Glas-akzenten auszustatten.“ So gibt es neben den sehr sparsam verwendeten Toilettenfliesen gestalterische Fortschreibungen in den Spiegeln und, wenn erforderlich, gläserne Hinweisschilder und Wandgestaltungen. Weil es derzeit einen Trend hin zu immer größerer Fliesen gibt, arbeitet sie zunehmend mit Glasstreifen, welche meist horizontal eingeklebt werden.

Wie Heide Kemper zum Werkstoff Glas kam? Auf dem Campus der Fachhochschule Dortmund, wo sie Objektdesign studierte, gab es eine Glaswerkstatt. „Allerdings war diese damals sehr dürftig ausgestattet, mit nur einem winzigen Fusingofen“, berichtet Kemper GFF .

Feuer für Glas gefangen

Während des Studiums besuchte sie einen Workshop zum Thema Fusingtechnik bei Detlef Tanz und fing sofort Feuer für den Werkstoff: Sie machte bei ihm ein Praktikum, kaufte sich anschließend einen umgerüsteten Töpferofen, stellte diesen ins Wohnzimmer und legte einfach los. „Ich habe nach dem Workshop sofort angefangen, Glas zu schmelzen, ohne darüber nachzudenken, wohin das führen könnte.“ Ihr Ofen sei der Grundstock für ihr eigenes Atelier gewesen, sagt Kemper. Ohne ihn würde sie heute vermutlich keine Glaskunst machen.

Der Fusing-Technik ist Kemper seither treu geblieben und hat mit eigenen und damit auch unverkennbaren Material- und Gestaltungsideen eine eigene künstlerische Handschrift entwickelt. So schmilzt sie zwischen mehrere Schichten Floatglas verschiedene Metalle, Blätter und Gräser oder Oxide und Farben. Asche entsteht, aber auch Luftblasen, welche das Licht reflektieren. Daneben kommt auch, besonders bei den Glasfliesen, farbiges Fusingglas zum Einsatz.

Karteikästen voller Glasfliesen

Heide Kemper bewirbt ihre Glasfliesen nicht aktiv. Für Interessierte hat sie Musterkästen mit Fliesen in der Größe von 15 mal 15 Zentimeter, fertigt diese aber in jeder anderen gewünschten Größe an. Das Schaufenster und ebenso die Glasfliesen, die sich hier an mehreren Örtlichkeiten wiederfinden, seien Werbeflächen für sie, sagt die Künstlerin. Aufgrund der vielfältigen Angebote des Kulturzentrums Depot gebe es dort viel Publikumsverkehr, der den Grundstock für ihre künstlerische Existenz bildet.