Von Wallner’schen Linien bis zu thermischen Sprüngen Bei Glasbrüchen geht 007Sieber das Herz auf

Glasermeister und ö.b.u.v. Sachverständiger Jürgen Sieber liest in Bruchbildern von Glas wie in einem offenen Buch. Die Teilnehmer der GFF-Praxistage erfuhren etwa, wie sie mit dem nötigen Hintergrundwissen nachweisen, dass sie für einen Riss in der Scheibe nicht verantwortlich sind.

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    Jürgen Sieber in seinem Element: Glasbrüche faszinieren den Glasermeister.
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    Als 00Sieber analysierte Jürgen Sieber das gesamte Spektrum an Glasbrüchen.

„Glasschäden sind für mich etwas Faszinierendes“, sagt Glasermeister und ö.b.u.v. Sachervständiger Jürgen Sieber zu Beginn seines Vortrags „Glas verträgt viel, aber nicht alles“. Dabei lässt jeder Glasbruch Rückschlüsse auf die bruchauslösende Spannung zu. Mit dem entsprechenden Fachwissen weisen Fensterbauer und Glaser so beispielsweise nach, dass der Glasbruch nicht ihnen anzulasten ist, sondern dieser beispielsweise thermisch verursacht oder auf Vandalismus zurückzuführen ist.

Grundsätzliches zum Bruchverhalten

Regelmäßigkeiten bei Glasbrüchen beschrieb Dr. Hans Jebsen-Marwedel bereits im Jahr 1950 in seinem Buch „Tafelglas“. Demnach gabeln sich die Haupt- und Leitsprünge in Ausbreitungsrichtung, in der Regel im Winkel von 40 Grad zueinander. „Die Gabelung zeigt wie ein Pfeil zu dem Rissursprung hin“, erklärt Sieber. Weiterhin bilden vorhandene Sprünge ein Hindernis für einen neuen Riss; ein Übersprung ist nicht möglich. Weitere Erkenntnisse: Spannungen im Glas macht polarisiertes Licht sichtbar; ein vom Rand ausgehender Sprung läuft beispielsweise ein vorhandenes Spannungsfeld an und wird von diesem eingefangen. Des Weiteren zeigen sog. Wallner’sche Linien die Richtung des Glasbruchs an. Die Linienformen unterscheiden sich dabei je nach Art der Zugspannung.

Mit diesem Hintergrundwissen macht der Handwerker den Ursprung des Risses und so das Bruchzentrum ausfindig. Zudem lässt sich bei mehreren Sprüngen die zeitliche Reihenfolge ihrer Entstehung ableiten. Gewohnt humorvoll und mit einem riesigen Fundus an Beispielfotos analysierte Sieber in der Folge diverse Bruchbilder. So sind beim Bruch von teilvorgespanntem Glas (TVG) beispielsweise kelchförmige Rissausläufe zum Glasrand hin sehr häufig. Ein weiteres Erkennungsmerkmal sind einzelne, dicht am Glasrand verlaufende lange Risse.

Thermische Risse erkennen

Sieber beobachtet nach eigenen Angaben aktuell eine Häufung von Hitzerissen. Diese entstehen beispielsweise, wenn der Endkunde Möbel o.Ä. direkt hinter die Verglasung stellt. Thermische Sprünge sind aufgrund zweier Merkmale recht eindeutig zu erkennen: rechtwinkeliger Einlauf und rechtwinkeliger Durchlauf. Im Durchlauf ist der Sprung immer rechtwinkelig, weil er auf dem kürzesten Weg verläuft. Der Einlauf in die Fläche verläuft ebenfalls immer auf direktem Weg von der Glaskante zur Kalt-/Warmzone. Beim Eintreten in diese Zone komme es sehr häufig zu einer deutlichen Richtungsänderung und zu einem mäanderförmigen weiteren Verlauf. Am Rissende bildet der thermische Sprung häufig ein sog. Häkchen aus. Wallner’sche Linien am ersten Richtungswechsel sind laut Sieber nur bei großen Glasdicken feststellbar.

Bei sehr starker Hitzebelastung kommt es zum sog. Palmsprung bzw. Fächerbruch – laut Sieber der mittlerweile häufigste thermische Bruch. Das Rissbild zeichne sich im Vergleich zum thermischen Normalsprung durch eine sehr kurze Gerade am Rissbeginn („Diese liegt oft unter der Glasleiste verborgen“) und durch eine palmartige Auffächerung aus.

Eine moderne und übersichtliche Zusammenfassung von Glasschäden mit Fotos zu nahezu jedem Bruchbild beinhaltet die vierte Auflage des Buchs „Glasschäden“ von Ekkehard Wagner, das bei GFF-Herausgeber Holzmann Medien erschienen ist. Interessierte bestellen es auf www.holzmann-medienshop.de.